VW-Abgas-Skandal:Niemand kontrolliert, niemand misst nach

Auspuff eines Dieselautos

Der Ausstoß von Stickstoffoxiden ist in der Realität oft höher als auf dem Prüfstand. Das zeigen verschiedene Tests unabhängiger Institutionen.

(Foto: dpa)

Klare Hinweise darauf, dass viele Dieselautos in Deutschland die Abgasgrenzwerte nicht einhalten, gibt es schon länger. Doch keine Behörde sah sich veranlasst, genauer hinzuschauen.

Von Thomas Harloff

Etwas verwunderlich ist es schon, dass es den griffig als "Diesel-Gate" bezeichneten Abgas-Skandal erst seit einigen Tagen gibt. Denn ähnliche Auffälligkeiten, wie sie die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA kürzlich an Dieselfahrzeugen von Volkswagen festgestellt hat, fanden ihre Pendants in Bayern und Baden-Württemberg bereits im April. Das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) und die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) testeten mit Hilfe des TÜV Nord und des ADAC drei Autos mit Dieselmotoren auf ihren Schadstoffausstoß. Die Ergebnisse fanden kaum Beachtung, hätten aber damals schon beunruhigen müssen.

Auf dem Rollenprüfstand, auf dem sowohl der Normverbrauch als auch die Emissionen eines Autos nach dem "Neuen Europäischen Fahrzyklus" (NEFZ) ermittelt werden, hielten die Autos die Grenzwerte ein. Ganz anders sah es jedoch aus, als die Prüfer die Autos auf öffentlichen Straßen und mit einem alltagsnahen Fahrprofil bewegten. Bei den Fahrten durch Stuttgart, München sowie über Landstraßen und Autobahnen überschritten alle drei Modelle die Euro-6-Grenzwerte für Stickstoffoxide um ein Vielfaches, obwohl sie nach dieser Abgasnorm zugelassen wurden. Je nach Fahrsituationen lagen die festgestellten NOx-Emissionen um den Faktor 1,6 bis 8,5 über dem zulässigen Grenzwert von 80 Milligramm pro Kilometer. In der Spitze stieß eines der Autos demnach 676,5 Milligramm des Stickstoffoxides pro Kilometer aus. Und das, obwohl die Prüfer nach eigenen Angaben einen moderaten Fahrstil pflegten und auf starkes Beschleunigen verzichteten.

Im Alltag dreckiger als im Labor

Unter den drei getesteten Autos befand sich ein Volkswagen, Modell CC 2.0 Blue TDI, mit Zweiliter-Turbodieselmotor. Aber auch ein BMW 320d Touring in der Efficient-Dynamics-Edition, die besonders sparsam sein und wenig Emissionen ausstoßen soll, und ein Mazda 6 Kombi 2.2 Skyactiv.

Nun sind die Ergebnisse dieser stichprobenartigen Überprüfung noch längst kein Beweis dafür, dass in diesen Autos eine manipulierte Software installiert war wie in den von der EPA beanstandeten US-Volkswagen. Auch die Verallgemeinerung, dass bei den Emissionswerten herstellerübergreifend im großen Stil optimiert, getrickst oder gar getäuscht wird, ist auf Basis dieses Tests unzulässig. Dass aber drei von drei Dieselautos in einem Test neutraler Instanzen die Schadstoffgrenzwerte nicht mehr einhalten, sobald sie auf der Straße statt auf dem Prüfstand fahren, sollte eine Warnung sein. Und eine Aufforderung, Autos vor ihrer Marktzulassung grundsätzlich von unabhängigen Institutionen auf den tatsächlichen Kraftstoffverbrauch und Schadstoffausstoß untersuchen zu lassen.

Wie Autos zugelassen werden

Die Voraussetzung, dass ein Fahrzeug für den europäischen Markt zugelassen werden darf, ist die standardisierte EG-Typgenehmigung. Um die zu erhalten, muss ein Hersteller sein Fahrzeug Prüfern eines anerkannten technischen Dienstes wie Dekra oder TÜV vorführen. Dabei werden allerhand Daten erfasst. Unter anderem muss das Auto hier nachweisen, dass es so sparsam und sauber ist wie vom Hersteller angegeben - im Rahmen des NEFZ, also auf dem Rollenprüfstand und nicht auf der Straße.

Die Daten und Unterlagen müssen dann einer weiteren Prüfung durch die entsprechende nationale Behörde standhalten. In Deutschland ist diese Behörde das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) - das jedoch keine eigene Werkstatt betreibt. Hat das KBA trotzdem etwas zu beanstanden, überprüft später wieder eine Prüforganisation, ob der Hersteller die Mängel beseitigt hat. Im Zweifel ist es dieselbe, die zuvor ein offensichtlich mangelhaftes Gutachten an die Flensburger Behörde weitergereicht hat.

Das KBA lässt zu, aber überprüft kaum

Zusätzlich führt das KBA nachträgliche "Konformitätsüberprüfungen" bereits genehmigter Produkte durch. Ein Auto kann also durchaus noch einmal nachgetestet werden. Das Attribut "stichprobenartig" wäre dafür jedoch eine massive Übertreibung. Im gesamten Jahr 2014 kam es zu 130 Konformitätsüberprüfungen von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen - im gleichen Zeitraum wurden aber 19 901 Typgenehmigungen erteilt.

Eine Quote, die sich durchaus als Verlockung für manipulationsbereite Autohersteller interpretieren lässt. Zumal beim Thema Schadstoffausstoß, wie Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe, im Deutschlandfunk sagte, "kein einziges Mal die Angaben der Automobilindustrie kontrolliert" wurden. "Obwohl es die Vorschrift gibt, stichprobenartig eigenständige Nachprüfungen zu machen, hat eine solche offizielle Nachprüfung nicht stattgefunden beim Kraftfahrtbundesamt. Das ist ein einzigartiger Skandal", sagt Resch.

Die Hersteller fürchten den neuen Fahrzyklus

Ob Abgasgrenzwerte oder offizielle Normverbräuche eingehalten werden oder nicht, ist offenbar kein Problem der existierenden Gesetze, sondern ein Problem der Kontrolle. Die Plausibilität von Herstellerangaben wird behördlich fast ausschließlich auf dem Papier überprüft, ein Realitätscheck auf der Straße findet von offizieller Seite nicht statt. Das bleibt bis auf Weiteres auch so, selbst wenn der NEFZ durch das World Light Vehicles Test Procedure (WLTP) ersetzt wird. Zwar steigen bei diesem Verfahren die Geschwindigkeiten und die Länge des Tests, aber er wird weiterhin auf dem Prüfstand durchgeführt. Nach dem Willen der EU-Kommission soll das WLTP 2017 eingeführt werden. Auf Drängen der Herstellervereinigung VDA hat die Bundesregierung jedoch um eine Aufschiebung bis 2020 gebeten.

Warum die Autobauer das WLTP fürchten, wurde Anfang September offensichtlich. Da veröffentlichte das "International Council on Clean Transportation" (ICCT) eine in Zusammenarbeit mit dem ADAC erstellte Studie, bei der 32 Euro-6-Dieselfahrzeuge von zehn Herstellern nach dem WLTP-Prinzip getestet wurden. 22 fielen durch. Eines der Autos wies nach dem neuen Testverfahren Stickoxid-Emissionen auf, die um fast das 15-fache über dem Grenzwert lagen. Im Schnitt lagen die getesteten Autos um mehr als die Hälfte darüber.

Ob im April oder Anfang September, Warnsignale gab es genügend - nicht zuletzt die von der Fachpresse in ihren Autotests und vom ADAC im Rahmen seines Eco-Tests erzielten Verbrauchs- und Abgaswerte, die mit einem auf der Straße fahrenden Auto ermittelt werden und fast ausnahmslos - und oft deutlich - über den Herstellerangaben liegen. Warum sie nie beachtet wurden, werden irgendwann nicht nur die Autobauer, sondern auch der Bundesverkehrsminister und die Regierung erklären müssen.

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