Verkehrsüberwachung:Blitzlichtgewitter in Bielefeld

An der A2 bei Bielefeld steht das erfolgreichste Blitzgerät Deutschlands: Es dokumentiert 5000 Geschwindigkeitsübertretungen pro Woche - und spült der Stadt sehr viel Geld in die klammen Kassen.

Dirk Graalmann

Die Frage, ob es Bielefeld eigentlich gibt, kursiert seit 15 Jahren. Seit jenem Abend, als ein Kieler Informatikstudent in offenkundig bierseliger Stimmung die krude Theorie aufbrachte, dass die ostwestfälische Stadt am Teutoburger Wald gar nicht existiere. Die so genannte "Bielefeld-Verschwörung" hat es vor allem im Internet seither zu einigem Ruhm - samt eigenem Wikipedia-Eintrag - gebracht.

Verkehrsüberwachung: An der A2 bei Bielefeld steht das erfolgreichste Blitzgerät Deutschlands - es dokumentiert 5000 Geschwindigkeitsübertretungen pro Woche.

An der A2 bei Bielefeld steht das erfolgreichste Blitzgerät Deutschlands - es dokumentiert 5000 Geschwindigkeitsübertretungen pro Woche.

(Foto: Foto: Frebel / Lichtblick)

Für Autofahrer mit dem gefährlichen Hang zur Raserei steht die neue "Bielefeld-Verschwörung" an der Autobahn A2, Höhe Bielefeld-Lämershagen; hier am "Bielefelder Berg" samt Rechtskurve mit Gefälle steht die mit Abstand erfolgreichste Radarfalle der Republik. Am heutigen Freitag ist die Messanlage exakt ein Jahr in Betrieb, die Stadt Bielefeld wird dann von rund 255.000 Geblitzten etwa zehn Millionen Euro kassiert haben. Es sei "ein Phänomen, das nicht zu erklären ist", sagt Roland Staude, Leiter des Ordnungsamtes. Jede Woche wurden im Schnitt 5000 Fahrzeuge geblitzt, weil sie die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometer deutlich überschritten. In einer Aprilwoche waren es gar 7328 Verkehrssünder, umgerechnet sind das 44 in der Stunde. Ein echtes Blitzlichtgewitter.

Dabei können von der Stadt Bielefeld nur rund 50 Prozent der ertappten Raser letztlich haftbar gemacht werden - insgeamt 125.500 Verfahren wurden eingeleitet. Die anderen Temposünder sind nicht zu belangen, weil sie etwa aus Ländern stammen, mit denen es kein Rechtshilfeabkommen gibt. Die Bundesautobahn A2, im Volksmund als "Warschauer Allee" verspottet, ist eine klassische Transitstrecke gen Osten, mehr als 50.000 Fahrzeuge passieren täglich das Teilstück in Richtung Berlin.

Der Geldsegen aber kam auch für die Stadt völlig unerwartet. "Wir sind völlig überrollt worden", sagt Staude. Vor Inbetriebnahme hatte die Stadtverwaltung die Erfahrungswerte der innerstädtischen Blitzanlange zugrunde gelegt, rechnete entsprechend für die Anlage an der A2 mit rund 15.000 Verfahren pro Jahr und stellte dafür drei Sachbearbeiter ab. Nach vier Wochen aber war die Zahl erreicht, die Stadt stockte Personal auf, suchte zusätzlich per Zeitungsannonce nach Juristen und stellte mit Zeitverträgen 19 externe Kräfte ein, um die Verfahren, die kartonweise in die eigens angemietete Büroetage geschleppt werden, nun mit ingesamt 27 Beschäftigten innerhalb der dreimonatigen Verjährungsfrist abarbeiten zu können.

"Wir wollten nie Abzocker sein", so der Stadtsprecher

Von Geldschneiderei, sagt Staude, könne aber nicht die Rede sein. Schließlich sei die Radarkontrolle keine Schikane oder, sondern diene der Entschärfung einer Gefahrenstelle. So hatte die Bielefelder Polizei auf dem etwa 50 Kilometer langen A2-Teilstück bis zur niedersächsischen Landesgrenze im Jahr 2008 mehr als 450 Unfälle registriert, mit drei Toten und mehr als 60 Verletzten. Zudem gilt die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h, auf die mehrfach hingewiesen wird, seit gut 15 Jahren, zudem warnen noch einmal zwei gesonderte Schilder explizit vor der Radarkontrolle.

"Wir wollten ja nie in den Ruch geraten, ein Abzocker zu sein", sagt Stadtsprecher Dietmar Schlüter. "Aber wenn Verkehrserziehung nur übers Portemonnaie funktioniert, können wir es nicht ändern."Die Stadt muss sich nicht schämen, schließlich wird das Geld für einen guten Zweck verwendet. Die sieben bis acht Millionen Euro, die nach Abzug aller Kosten verbleiben, werden ausschließlich als städtischer Anteil für Maßnahmen des Konjunkturpakets II eingebracht.

Von den Millionen der Raser werden nun Schulen und Tagesstätten saniert - zum Wohle der Kinder, die es in der Stadt wirklich gibt. Die "Bielefeld-Verschwörung" übrigens wird gerade im Rahmen des Stadtmarketings verfilmt, als "Thriller in James-Bond-Tradition". Ob der Agent dabei auch über die A2 brettern wird, ist nicht bekannt.

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