Verkehrssicherheit:Jeder sollte einen Fahrradhelm tragen - eigentlich

Messe 'Fahrrad Essen'

Fahrradhelme können schwere Kopfverletzungen verhindern. - Eine Besucherin probiert Helme auf der Essener Fahrrad-Messe 2017.

(Foto: picture alliance / Bernd Thissen)

Fahrradhelme schützen vor schweren Kopfverletzungen, aber eine Pflicht gibt es nicht. Experten sind sich trotzdem sicher: Zwang ist der falsche Weg.

Von Felix Reek

Eine Schale aus Hartschaumstoff, eingefasst in Plastik, ein paar Gurte zum Festziehen. Ein Fahrradhelm ist an sich nicht mehr als ein schnödes Stück Plastik. Doch wer fordert, das Tragen eines Helms sollte Pflicht werden, muss sich auf kräftigen Gegenwind einstellen: Ein Helm sei unpraktisch und schwer zu verstauen. Er zerstöre die Frisur. Er verleite Radler zu aggressiverem Fahren, weil sie sich durch ihn sicherer fühlen. Sogar der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist der Meinung, eine Fahrradhelmpflicht würde "die Fahrradnutzung drastisch senken und damit den Autoverkehr zunehmen lassen."

Ganz schön viel Widerstand gegen ein Stück Kunststoff, das nachweisbar die Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas mindern kann, der häufigsten Radler-Verletzung von verunglückten Fahrradfahrern im Straßenverkehr. Seit 1980 wurden dazu immer wieder Studien in Auftrag gegeben. Einig sind sie sich darin, dass ein Helm das Verletzungsrisiko zwischen 50 und 70 Prozent senkt. Ebenso unstrittig ist die Tatsache, dass die Wirkung eines Helmes umso größer ist, je schwerer das Schädel-Hirn-Trauma ist.

Trotzdem trägt nur eine Bevölkerungsgruppe - Kinder zwischen sechs und zehn Jahren - mit 76 Prozent überdurchschnittlich oft einen Fahrradhelm. Vermutlich, weil ihre Eltern das so wollen. Das bringt die Erwachsenen aber nicht dazu, selbst Helm zu tragen. Bei ihnen schwankt der Anteil zwischen sieben und 21 Prozent.

Wer noch nicht selbst gestürzt ist, findet den Helm lästig

Das liegt daran, dass schwere Unfälle mit dem Rad eher selten sind. "Die positive Wirkung eines Helmes ist deswegen nicht spürbar", sagt Mark Vollrath vom Institut für Verkehrspsychologie an der TU Braunschweig. Das heißt: Wer selbst noch nicht schwer gestürzt ist, empfindet ihn einfach nur als lästig.

Die Schlussfolgerung daraus könnte sein: Wer sich nicht freiwillig schützen will, den muss man dazu zwingen. In 13 Staaten - darunter Australien, Neuseeland, Chile, Finnland und Spanien - müssen alle Radfahrer stets Helm tragen. In 15 Ländern gibt es eine Helmpflicht für bestimmte Altersgruppen oder in bestimmten Gebieten. In Australien stieg die Quote von Radlern mit Helm nach der Einführung 1991 innerhalb von zwei Jahren von 25 Prozent auf 85 Prozent. Eine Beobachtung, die sich in allen Ländern machen ließ. Und: Sie blieb dort hoch, wo das Nichtbeachten der Helmpflicht mit Bußgeldern sanktioniert wird.

Aber ist Zwang der richtige Weg? Auf unbeliebte Anordnungen im Straßenverkehr reagieren die Deutschen besonders empfindlich. Selbst gegen die Einführung der Gurtpflicht in den Siebzigerjahren oder das Sicherheitssystem ABS bei Autos gab es Proteste. Und wer ein generelles Tempolimit auf Autobahnen fordert, erntet schnell massives Unverständnis. Das Gleiche gilt für die Helmpflicht. Wer im Internet in die Kommentarspalten unter Beiträge zum Thema blickt, findet seitenlange hitzige Diskussionen.

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Eine Helmpflicht führt nicht zwingend zu weniger Unfällen

Das könnte erklären, warum es kaum eine Institution wagt, ein entsprechendes Gesetz zu fordern: Der ADAC, die Polizei, sie alle "empfehlen" nur, einen Helm zu tragen. Ein Gesetz sei der falsche Weg, findet auch der Verkehrspsychologe Wolfgang Fastenmeier von der Psychologischen Hochschule Berlin: "Jede Regelung gesetzlicher Natur ist auch eine Freiheitseinschränkung. Wo bleibt da die Eigenverantwortung jedes Einzelnen?".

Mark Vollrath, Verkehrspsychologe an der TU Braunschweig, würde die Entscheidung auch lieber dem Bürger überlassen. Er ist selbst leidenschaftlicher Radfahrer, trägt aber keinen Helm. "Eine Helmpflicht zieht eine ganze Reihe an Konsequenzen nach sich", sagt er. "Man muss sie unter anderem kontrollieren. Wenn sie nur ein Gesetz einführen, hat das keine Wirkung." Stattdessen müsse man die Leute dazu bringen, den Helm freiwillig aufzusetzen, "positive Motivationen" schaffen, so Vollrath. Deutlich machen, wie stark der Helm schützt. "Es gibt gute Beispiele, dass Länder zwar keine Helmpflicht einführen, sie aber sehr stark propagieren und so über die Jahre hinweg eine gute Quote von Helmtragenden erreichen", sagt er.

Kampagnen sind genauso effektiv

Ein Beispiel hierfür ist Kanada. Dort gibt es Provinzen mit und ohne Helmpflicht. Zwar verringerte sich die Zahl der Kopfverletzungen dort stärker, wo die Nutzung des Helms verordnet wurde, doch einen genauso großen Effekt hatten laut einer Studie aus dem Jahr 2013 Sicherheitskampagnen und verbesserte Bedingungen für Radfahrer.

Dieser Ansicht ist auch Wolfgang Fastenmeier: "Verkehrssicherheit wird nicht dadurch verbessert, indem man nur Personenmerkmale anpasst - wie zum Beispiel das Tragen eines Helmes. Es geht um das Verkehrssystem. Das besteht aus den Teilnehmern, der Infrastruktur und der Fahrzeugtechnik", erklärt der Verkehrspsychologe. "Wenn ich etwas verändern will, muss ich das immer in allen Elementen dieses Verkehrssystems tun", sagt er.

Dazu gehören Städte, die allen Verkehrsteilnehmern gerecht werden. Autos, deren Technik nicht nur ihre Insassen schützt, sondern auch Fußgänger und Radfahrer. Mehr Verständnis unter den Verkehrsteilnehmern und die Fähigkeit, sich in die Position des anderen zu versetzen. Und in der kleinsten Instanz: für die eigene Sicherheit sorgen. Sei es durch einen Helm oder auch die eigene Fahrweise. Oder wie es Verkehrspsychologe Mark Vollrath sagt: "Lieber langsamer radeln, lieber nachgeben und nicht auf sein Recht pochen. Bevor man umgefahren wird."

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