Verkehrssicherheit:Das Auto denkt, der Fahrer lenkt

Die Abkürzungen hat fast jeder Autofahrer schon mal gehört: ABS, ESP, ACC, ASR und viele mehr. Doch die wenigsten wissen, welche Assistenzsysteme sich hinter den Großbuchstaben verbergen.

Marion Zellner

Die Abkürzungen hat fast jeder Autofahrer schon mal gehört: ABS, ESP, ACC, ASR und viele mehr. Doch was die Buchstaben bedeuten, geschweige denn, wie die Fahrerassistenzsysteme funktionieren, für die sie stehen und wie man mit ihnen umgeht, wissen die wenigsten. Dabei gelten diese Systeme als "Innovationen im Dienste der Sicherheit", wie der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) unlängst ein Experten-Forum zu diesem Thema überschrieb.

Ein typisches Beispiel für "ausgereifte Technik, die ungenutzt bleibt" ist ABS, das heute in Neuwagen Standard ist. "Das Anti-Blockier-System kennen zwei Drittel der Autofahrer", zitiert Manfred Bandmann, Präsident des DVR, ein Ergebnis einer Umfrage der Winterthur-Versicherung. ABS ermöglicht dem Fahrer, bei einer Vollbremsung das Auto noch sicher zu lenken und somit etwa einem Hindernis auszuweichen.

Auch ABS wird nicht immer ausgenutzt

Denn - wie der Name sagt - das System verhindert das Blockieren der Räder. Theoretisch habe ABS ein hohes Unfallvermeidungspotenzial, so Ekkehard Brühning, Abteilungsleiter Fahrzeugtechnik bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Allerdings: "Die meisten Menschen können oder machen im Ernstfall gar keine Vollbremsung und nutzen das System damit gar nicht."

Anders sieht das bei ESP aus. Das elektronische Stabilitätsprogramm bremst automatisch und im Rahmen physikalischer Grenzen - etwa bei zu schnell gefahrenen Kurven - einzelne Räder gezielt ab, um das Auto auf dem Kurs zu halten, den der Fahrer durch das Lenkrad vorgibt.

ESP ist "Lebensretter Nummer Zwei"

Da die Schleudergefahr beseitigt wird, ohne an den Menschen weitere Anforderungen zu stellen, bescheinigen Experten ESP ein hohes Vermeidungspotenzial gerade bei Unfällen mit schweren Folgen für die Insassen.

"ESP ist heute nach dem Sicherheitsgurt und noch vor dem Airbag Lebensretter Nummer zwei", sagt Johann Gwehenberger, Leiter der Unfallforschung im Allianz Zentrum für Technik (AZT) in Ismaning bei München.

Unterschiedliche Studien aus Europa, den USA und auch Japan belegen, dass zehn bis 15 Prozent der Unfälle mit schwerem Personenschaden durch ESP vermieden werden, so Gwehenberger. Allerdings ist das System bis heute nicht in allen Autos serienmäßig vorhanden - vor allem bei Kleinwagen kostet es entweder Aufpreis oder ist erst gar nicht zu haben. Für den Unfallforscher ein Unding, denn wären alle Autos flächendeckend mit ESP ausgerüstet, könnten "Pkw-Unfälle mit Todesfolge sogar um bis zu einem Drittel gesenkt werden," sagt Johann Gwehenberger.

Kommt ein neues Assistenzsystem auf den Markt, folgt oft die Diskussion darüber, ob technische Unterstützung den Autofahrer zu einem riskanteren Fahrstil verleitet. Ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit ist das ACC - Adaptive Cruise Control. Ein System, das in Autos und Lastwagen bereits eingebaut ist. Hier arbeitet ein Tempomat mit einer Abstandsregelung, bei zu geringer Distanz zum vorausfahrenden Fahrzeug warnt das Gerät und bremst das Auto gegebenenfalls selbsttätig ab.

Theoretisch ein deutlicher Sicherheitsgewinn, denn immerhin ist zu geringer Abstand die dritthäufigste Ursache für Pkw-Unfälle. Andererseits ist noch nicht geklärt, ob sich die Reaktionszeit des Fahrers bei kritischen Situationen erhöht. "Nicht, dass die Fahrer dann etwas völlig anderes machen, Kaffeetrinken, Zeitung lesen, weil sie von der Fahraufgabe entlastet sind", gibt Ekkehard Brühning zu bedenken.

Schwierigkeit bei komplexen Systemen

Komplexe Systeme wie ACC, bei denen auch Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer von der Technik berücksichtigt werden müssen, sind für den Fahrer "intransparent und haben deshalb noch keine so gute Resonanz beim Kunden," meint Berthold Färber, Verkehrspsychologe an der Universität der Bundeswehr in München.

Denn "der Mensch als Augenwesen" erkennt, im Gegensatz zum ACC, bestimmte Konstellationen richtig - etwa, dass ein langsamer vorausfahrendes Auto gerade auf die Nachbarspur ausweicht. Da ACC aber weder die Fahrspur noch den Blinker erkennen kann, bremst es das Fahrzeug unweigerlich ab. Das System reagiert also anders, als es der Nutzer von ihm erwartet.

Fest steht für die Experten, dass immer mehr sicherheitsrelevante Systeme die Marktreife erlangen werden. Und vor allem, dass eingreifende Fahrerassistenzsysteme - wie eben ESP - einen großen Sicherheitsgewinn bedeuten. Deshalb fordern sie von den Automobilherstellern, alle Fahrzeugmodelle - über sämtliche Klassen hinweg - serienmäßig damit auszurüsten.

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