Verkehrsregeln im Ausland:Die Schweiz macht ernst

Schweiz: Raser im Straßenverkehr

Seit 1. Januar 2013 gelten in der Schweiz strengere Verkehrsgesetze. Deren Wirkung ist jedoch umstritten.

(Foto: Keystone Walter Bieri/dpa)

Achtung Urlauber: Unser Nachbarland kennt bei Tempoverstößen keine Gnade. Wer schneller fährt als erlaubt, muss sogar mit Haftstrafen rechnen.

Von Steve Przybilla

Da sage noch jemand, die Schweizer hätten keinen Sinn für Humor. Zum Beispiel, wenn ein Autofahrer abrupt anhalten muss, um eine Horde Elefanten passieren zu lassen. Oder ein Radler eine Vollbremsung hinlegt, weil Ufos die Straße überqueren. Die lustigen Videos sind Teil der Kampagne "Vorsicht beim Vortritt", die Polizei und Verkehrsverbände dieses Jahr veröffentlicht haben.

Verkehrserziehung mit einem Augenzwinkern ist nichts Neues in unserem Nachbarland. Vor zwei Jahren schon sorgte der Opferverband Road Cross Schweiz für Aufsehen, als er ein Online-Spiel namens Date Nina veröffentlichte. Der Spieler schlüpft dabei in die Rolle eines Autofahrers, der eine attraktive Frau bei einem Rendezvous erobern muss. Je nachdem, welche Entscheidungen man trifft, ob man zum Beispiel mit Alkohol fährt, hat das Date einen glücklichen Ausgang. Oder einen tödlichen.

So viel zum Humor. Wenn der nichts mehr nützt, und Verkehrsteilnehmer die Regeln trotzdem brechen, ist Schluss mit lustig. Dann werden drakonische Strafen fällig, die nicht nur ins Geld gehen, sondern Raser im Extremfall sogar hinter Gitter bringen. Verantwortlich dafür ist derselbe Verband, der "Date Nina" herausgebracht hat. Mit der sogenannten Raserkampagne trommelte Road Cross Schweiz vor zwei Jahren für eine Verschärfung der ohnehin strengen Gesetze. Mit Erfolg: Noch bevor es zum Volksentscheid kam, übernahm das Parlament die Vorschläge.

Weil deutsche Gesetze lascher sind, rasen Schweizer gerne auf den hiesigen Autobahnen

Seit dem 1. Januar 2013 gilt in der Schweiz nun die "Via sicura", ein Gesetzespaket, das den Begriff des Rasers genau definiert. Wer etwa in einer 30er-Zone mindestens 50 km/h zu schnell fährt, oder auf der Autobahn mindestens 80 km/h zu schnell unterwegs ist, macht sich straffällig. Rasern kann so ziemlich alles entzogen werden: ihr Führerschein, ihr Auto, ihre Freiheit. Zum Vergleich: Wer in Deutschland innerorts zwischen 51 und 60 km/h zu schnell fährt, muss 280 Euro zahlen, flankiert von zwei Punkten in Flensburg und zwei Monaten Fahrverbot. Und selbst kleinste Tempoüberschreitungen werden geahndet. Bereits wer ein km/h zu schnell fährt, wird gnadenlos zur Kasse gebeten.

Da steht schnell die Frage im Raum, ob die "Via sicura" notorische Raser wirklich abschreckt. Könnte sie womöglich sogar ein Vorbild für Deutschland sein? Fest steht, dass tödliche Verkehrsunfälle in der Schweiz seit Jahren zurückgehen - wie allerdings in ganz Europa. Der Jahresbericht 2013 des International Transport Forums der OECD schlüsselt die Daten weiter auf. Demnach gab es in der Schweiz im Jahre 2012 rund 4,1 Unfalltote pro 100 000 Einwohner. In Deutschland waren es 4,9, während Italien, ein Land mit deutlich höheren Bußgeldern, auf den Wert 6,4 kommt.

Belohnen statt bestrafen

Radaranlage in Heldenbergen, 2001

In der Schweiz werden selbst kleinste Tempoüberschreitungen geahndet. Bereits wer ein km/h zu schnell fährt, wird zur Kasse gebeten.

(Foto: DPA-SZ)

"Die Erhöhung von Bußgeldern schreckt immer ab", schlussfolgert Andreas Widmer, Präsident der Schweizer Verkehrspsychologen. Allerdings verpuffe dieser Effekt innerhalb von sechs bis neun Monaten. "Raser vergessen schnell das Geld, besonders, weil die Entdeckungsrate sehr gering ist. Da macht es nichts, ob man 30 Euro oder 200 Euro zahlen muss." Belohnungen, glaubt der Psychologe, wären viel effektiver als Bestrafungen: "Eigentlich müsste die Polizei jedem eine Rose schenken, der sich korrekt verhält."

Das sehen die Ordnungshüter natürlich anders. "Die neue Gesetzgebung hat Zeichen gesetzt", betont Max Hofmann, Generalsekretär beim Verband der Schweizer Polizeibeamten (VSPB). Genaue Zahlen lägen zwar noch nicht vor. Aber: "Die kontinuierlichen Schlagzeilen von Rasern, die gefasst wurden, helfen in präventiver Hinsicht." Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU), ebenfalls ein Befürworter der "Via sicura", sieht die Polizei im Recht. Seit dem Jahr 2000 sei die Kontrolldichte um das Dreifache gestiegen, heißt es.

"Hohe Bußgelder sind kein Allheilmittel"

Wäre das Schweizer Modell also überhaupt auf Deutschland übertragbar? Nein, sagt Sven Rademacher vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). "Hohe Bußgelder allein sind kein Allheilmittel. Die Polizei klagt doch schon jetzt über zu wenig Personal." Beim European Transport Safety Council (ETSC), der Dachorganisation des DVR, sieht man es ähnlich: "Die strengsten Gesetze sind sinnlos, wenn sie nicht kontrolliert werden", sagt Sprecherin Ellen Townsend. Aus Deutschland gebe es nicht einmal Daten, die die Anzahl der verteilten Strafzettel im Verhältnis zur Bevölkerung darstellen - ein Indikator, der in anderen EU-Staaten Standard sei.

Unterdessen macht sich die Raser-Jagd in der Schweiz auch in der Bundesrepublik bemerkbar, besonders in der Grenzregion. März 2014, A 5: Zwischen Freiburg und Basel liefern sich mehrere Sportwagen mit CH-Kennzeichen ein illegales Autorennen. Die Polizei spricht von einer "massiven Gefährdung des Verkehrs", weil die hochmotorisierten Boliden auch auf dem Seitenstreifen überholen. Erst an der Grenze werden sie gestoppt. Auch auf der A 81 in Baden-Württemberg häufen sich derartige Szenen. Der naheliegende Verdacht: Weil deutsche Gesetze lascher sind - und hierzulande kein Tempolimit gilt -, weichen Schweizer Hobbyrennfahrer ins Nachbarland aus.

31 000 geblitzte Schweizer in Baden-Württemberg

Sogar die Schweizer Medien sind sauer auf ihre rasenden Mitbürger. Fast 31 000 Schweizer, schreibt die Boulevardzeitung Blick, seien 2013 allein auf baden-württembergischen Autobahnen geblitzt worden. Das stimmt, sagt das zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe auf Nachfrage der SZ. Gleichzeitig relativiert die Behörde aber die Zahlen. Sie bewegten sich trotz leichter Steigerung seit Jahren auf diesem Niveau. Insgesamt seien Fahrzeuge mit Schweizer Kennzeichen für gerade einmal fünf Prozent aller festgestellten Ordnungswidrigkeiten verantwortlich.

Kleine Strafen, große Verstöße: Ganz so leicht geht diese Rechnung also nicht auf, vor allem, weil belastbare Daten fehlen. "Wir haben keine Erkenntnisse zu Rasern aus der Schweiz", erklärt Laura Riske vom Polizeipräsidium Freiburg, das unter anderem für den Schwarzwald zuständig ist. Genau wie illegale Autorennen seien rasende Motorradfahrer dort immer noch die Ausnahme.

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