Verkehrsopfer:Mit Sicherheit am Ziel vorbei

Bis Ende dieses Jahres wollte die EU die Zahl der Verkehrsopfer halbieren - doch das wird sie nicht schaffen.

Marion Zellner

Für die Verkehrssicherheit in Europa sollte 2010 ein Erfolgsjahr werden. Schließlich verpflichtete sich die Europäische Union, die Zahl der Verkehrstoten zwischen 2001 und 2010 um die Hälfte zu reduzieren. Doch daraus wird nichts.

Zahl der Verkehrstoten sinkt auf niedrigstes Niveau

Traurige Bilanz: 2008 starben in Europa etwa 39.000 Menschen bei Unfällen.

(Foto: ag.dpa)

"Es zeichnet sich deutlich ab, dass dieses Ziel nicht erreicht werden wird, denn 2008 starben noch immer zirka 39000 Menschen auf Europas Straßen", weiß Ellen Townsend, Referatsleiterin Verkehrssicherheit beim European Transport Safety Council (ETSC), dem europäischen Verkehrssicherheitsrat in Brüssel.

Nach den Zahlen von 2008, dem letzten Stand der Statistik, ging die Zahl der Verkehrsopfer jährlich im Durchschnitt um 4,4 Prozent zurück. Um das Soll zu erfüllen, wären 7,2 Prozent notwendig gewesen.

Einige Staaten schafften die Vorgabe

Ein Grund dafür ist auch das Wachstum der EU. Zum Zeitpunkt der Zielsetzung 2001 bezog sich die Ausgangszahl von 40.322 Getöteten auf 15 EU-Staaten. Doch nun besteht die Europäische Union aus 27 Mitgliedern mit mehr als 490 Millionen Einwohnern. Bezogen auf die aktuellen Länder muss man also von 54.363 Toten ausgehen. Das heißt, Ende 2010 dürften damit nicht mehr als 27.200 Menschen bei Verkehrsunfällen in der EU gestorben sein. Selbst bei wohlwollendster Prognose ist das unmöglich.

Doch nicht in allen Staaten ist die Situation gleich schlecht, einige werden die Vorgabe erreichen. So konnte Luxemburg zwischen 2001 und 2008 die Zahl der Opfer um 49 Prozent senken. Und auch Frankreich (minus 48 Prozent) sowie Portugal (minus 47 Prozent) verzeichnen einen eindrucksvollen Rückgang, wie der aktuelle PIN-Report 2010 des ETSC belegt. Deutschland liegt mit einer Reduzierung um 36 Prozent im gleichen Zeitraum auf Platz sieben der EU-Rangliste.

In manchen Staaten gab's sogar mehr Verkehrstote

Am schlechtesten schneiden die beiden jüngsten EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien ab. Dort liegt die Zahl der Verkehrstoten sogar noch höher als 2001. Der Road Safety Performance Index (PIN-Report) stellt die Entwicklung der Zahl der Verkehrstoten in den einzelnen europäischen Ländern dar und vergleicht sie für die Jahre 2001 bis 2008. Darunter sind auch drei Staaten, die nicht der EU angehören: Norwegen, die Schweiz, Israel.

Unfallursache Nummer 1: überhöhte Geschwindigkeit

Echte Verbesserungen in der Verkehrssicherheit lassen sich durchaus noch erzielen. "Die drei Säulen Alkohol, Geschwindigkeit und Gurt bergen noch sehr viel Potential", so Ellen Townsend. Sie gelten als die drei Hauptrisikofaktoren für tödliche Verkehrsunfälle. Eine Befragung von EU-Bürgern zeigt, dass nur ein Drittel die im eigenen Land gültige Promillegrenze kennt. Das heißt, zwei Drittel wissen nicht, nach wie viel Alkohol sie nicht mehr ans Steuer dürfen. Am besten Bescheid wussten übrigens Verkehrsteilnehmer, in deren Land die 0,0-Promille-Grenze gilt.

Überhöhte Geschwindigkeit, auch in Deutschland eine der Hauptunfallursachen, ist laut einer Untersuchung der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, einer der häufigsten Auslöser für Unfälle. Daten aus unterschiedlichen Ländern zeigen, dass auf Autobahnen rund 30 Prozent der Fahrer Tempolimits überschreiten. Auf Landstraßen sind es etwa 70 Prozent. Innerorts halten sich bis zu 80 Prozent nicht ans vorgeschriebene Tempo.

Die größten Erfolge, die gefahrenen Geschwindigkeiten auf das vorgeschriebene Tempo zu reduzieren, verzeichnen Länder mit hoher Überwachungsdichte, ob mit festinstallierten Anlagen oder mobilen Polizeikontrollen; allen voran sind das Frankreich, die Schweiz und Spanien. Meist war die erhöhte Kontrolldichte verbunden mit der Einführung eines Punktesystems wie in Deutschland und empfindlichen Geldbußen.

Wie relevant eine Tempominderung ist, zeigt eine Faustformel aus der Unfallforschung: "Würde jeder Fahrer auf allen Straßen das Tempo um ein Prozent reduzieren, würden zwei Prozent weniger Unfälle mit leichten, drei Prozent weniger mit schweren und vier Prozent weniger mit tödlichen Verletzungen die Folge sein." Das bedeutet: In der EU müssten jährlich 2200 Menschen weniger sterben. Deshalb wird Tempokontrollen auch eine hohe Wirksamkeit bescheinigt. "Allein das Wissen, dass viel und konsequent kontrolliert wird, schreckt viele ab", erklärt Townsend. Etwa in den Niederlanden, wo 2008 pro 1000 Einwohner 558Geldbußen wegen zu schnellem Fahrens verteilt wurden. Gefolgt von Österreich mit 456Bescheiden.

Der Gurt ist Lebensretter Nummer 1

So überholt es klingen mag, aber nach wie vor ist der Sicherheitsgurt Lebensretter Nummer eins. In der EU wird zu 89Prozent auf den Vorder- und zu 72 Prozent auf den Rücksitzen der Gurt angelegt. Würden sich 99 Prozent aller Fahrzeuginsassen angurten, könnten pro Jahr etwa 2500 Menschen mehr bei Unfällen überleben. Eine solche Gurtquote könnte nach Meinung des ETSC erreicht werden, wenn alle Autos mit sogenannten Seat Belt Reminders, Gurtwarnern, auf allen Sitzen ausgestattet wären.

Warum manche Länder erfolgreicher in der Verkehrssicherheitsarbeit sind als andere, liegt nach Meinung von Townsend aber letztlich am unterschiedlichen nationalen Interesse: "Der politische Wille muss bis in die höchsten Ebenen vorhanden sein." So würde etwa in Frankreich, für Townsend ein "sehr gutes Beispiel", nicht nur der Verkehrsminister in seinem Ressort nach Lösungen und Ideen suchen lassen.

"Die Zusammenarbeit mehrerer Ministerien ist intensiv und die Ergebnisse werden bis zur obersten Regierungsebene durchgereicht", weiß die Britin. Eine Folge: Die Motivation sei groß genug, um das nötige Geld bereitzustellen. Ein weiterer Grund für Frankreichs Erfolgsbilanz: "Dort geht man offensiv in die Öffentlichkeit und informiert die Bevölkerung." So sei es üblich, dass die Polizei in den Medien über verstärkte Kontrollen ausführlich informiere. Zudem würden Umfragen durchgeführt, was die Bürger von den Maßnahmen hielten und ob sie sie als erfolgreich erachten. Auch in dieser Hinsicht komme Frankreich eine "Vorbildrolle" zu.

Dass Deutschland lediglich auf Platz sieben der EU-Liste rangiert, scheint auf den ersten Blick kein gutes Ergebnis zu sein, schließlich hat die Verkehrssicherheitsarbeit hierzulande eine lange Tradition. Doch Staaten mit bereits kontinuierlich rückläufigen Getötetenzahlen, wie auch die Niederlande und Schweden, können naturgemäß nicht mehr so stark reduzieren wie andere, die auf einem deutlich schlechteren Niveau eingestiegen waren. Dennoch schneidet Deutschland mit minus 36Prozent noch immer deutlich besser ab als der EU-Durchschnitt mit minus 28 Prozent.

Obwohl die EU ihr Ziel nicht erreicht, geht der Blick nach vorne. Im Juli soll das neue Verkehrssicherheitsprogramm bis 2020 vorgestellt werden. Man wird die Reduzierung der Verkehrstotenzahl um 40Prozent beschließen. Das wirkt, als wolle man unbedingt einen neuen Misserfolg vermeiden. Doch Townsend sieht das anders: "Das Ziel ist sehr ambitioniert, sonst würden sich viele auf dem bisher Unternommenen ausruhen. Das reicht aber nicht."

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