Unterwegs:Woran wir uns erinnern

Ein Freund ist gestorben und es gilt, die Dinge des Lebens zu sichten. Auch das Auto soll verkauft werden. Doch die Tochter kann sich schwer trennen und will unter anderem den Schaltknopf vom Radio behalten. Was tun?

Von Richard Christian Kähler

Unerwartet stirbt ein Freund. Schockstarre. Doch trotz aller Trauer wirft man sich in dessen verwaistes Ehe-, Familien- und Firmenleben, hält Frau, Tochter und Mitarbeiter aufrecht mit Trost und Zuwendung, sichtet die Finanzen, spricht mit den Banken, kümmert sich um den bestehenden Fuhrpark. Und ja, so schwer es einem fällt, aber der Wagen des geliebten Toten, den wiederum er so geliebt hat, da müssen wir vernünftig sein, den müssen wir verkaufen. Aber da ist die Tochter, im höchst verwundbaren Alter von 14. Und das waren ihre goldensten Stunden, allein mit Papa unterwegs in diesem Auto. In dem sie so viel erlebt haben gemeinsam, die Gespräche, die albernen, ausgelassenen Streitereien um die "richtige" Musik und all das vertraute Gelächter - soll es einem da nicht das junge Herz zerreißen?

Sie bittet um Bedenkzeit und sucht sich dann drei Dinge aus, die sie vom Wagen des Vaters behalten will: "Die Nummernschilder. Die Fußmatten. Und den Radio-An-Aus-Knopf." Doch als der ebenso mitfühlende wie um Rat und Tat bemühte tröstende Freund die drei Wünsche der Tochter hört, muss selbst er passen: "Schilder, Matten - klar. Aber den Hauptknopf vom Radio austauschen? Superkompliziert vernetzt, katastrophal teuer . .

. Aber ich hätte da eine andere Idee." Ob sie sich damit anfreunden kann? Die Tochter akzeptiert sofort: "Das ist ja noch viel besser." Sie ist plötzlich nicht mehr 14, sondern schon viel älter, und der Schalthebel aus Vaters Auto wird ihr dabei helfen, den Schmerz verheilen und eine ewig tröstliche Erinnerung daraus werden zu lassen.

Manche Automenschen sagen, es gibt eine "mechanische Sympathie". Warum also nicht auch Liebe zur Mechanik? Unsereins braucht jedenfalls was zum Anfassen, das Form, Gestalt und vor allem eine gemeinsame Geschichte hat. Die Stunden des Lebens verbinden uns mit der Materie doch immer noch stärker als schlichtes Neuronenflackern im Hirn. Und es tröstet uns vielleicht, wenn wir darüber nachdenken, was unsere Kinder einmal von uns behalten werden.

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