Unterwegs:Vorwärts immer

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Rückwärtsfahrer haben es nicht leicht: Die Sicht ist schlecht, die Gesundheit des Rückens ständig in Gefahr. Und ständig ist man jemandem im Weg. Oft aber beginnt alles mit einem Missgeschick: Wer nach hinten fahren muss, hat vorher oft etwas verkehrt gemacht.

Von Andreas Remien

Früher, beteuert die ältere Dame nach ihrem missglückten Einparkmanöver, sei sie wirklich eine "erstklassige Rückwärtsfahrerin" gewesen. Diese ruhmreichen Zeiten sind fraglos und gut sichtbar vorbei. Einen langen Kratzer hat die zerknirschte Seniorin am parkenden Kombi hinterlassen, der zieht sich vom Tankdeckel bis zum Seitenspiegel. Aber was soll's. Wem kann man schon böse sein, der sich Rückwärtsfahrer nennt?

Die Welt des Rückwärtsfahrers ist schließlich ein Universum voller Niederlagen. Meistens beginnt alles schon mit einem Missgeschick: Wer nach hinten fahren muss, hat vorher oft etwas verkehrt gemacht. Das kann glimpflich ausgehen, etwa, wenn man in einer suburbanen Tempo-30-Zone an seinem Ziel vorbeigerauscht ist. Da gibt es viel Platz für ein gelassenes Wendemanöver - ein Luxus, den eine toskanische Kleinstadt eher selten bietet. Wer dort aus einer Einbahnstraße zurück in die Legalität steuern muss, wird die hupenden Vespa-Kohorten und mitleidigen Blicke der Dorfbewohner nicht so schnell vergessen. Da bleibt man lieber gelassen - ein Rat, den der Rückwärtsfahrer ohnehin am besten in allen Lebens- und Verkehrslagen beherzigt.

Besser noch, er fährt gleich eine Vermeidungsstrategie. Wer die Hitze nicht aushält, sagte Gerhard Schröder einmal, soll gar nicht erst in die Küche gehen. Natürlich hat der Altkanzler da leicht reden, schließlich ist er in seinem Berufsleben wahrscheinlich mehr rückwärts chauffiert worden, als andere selbst vorwärts gefahren sind. Dennoch: Wer den Hasardeur in sich entdeckt, muss dann eben schauen, wie er an einer Andenklippe auf der "Camina de la muerte" einem Lkw mit Alpakas ausweicht.

Ob Bolivien oder Bundesstraße, das spielt am Ende aber eigentlich auch keine Rolle. Das Handicap des Rückwärtsfahrers ist universell: Die Sicht ist schlecht, die Schleichfahrt oft ein Glücksspiel und die Gesundheit des Rückens (zumindest bei vorschriftsmäßiger Verrenkung) ständig in Gefahr. Wo er Mitgefühl bräuchte, bekommt er meist doch nur Zorn und Spott. Es gehört zur bedauernswerten Existenz des Rückwärtsfahrers, immer anderen im Weg zu sein. Das muss man aushalten können.

Die nette Dame mit dem Einpark-Malheur jedenfalls will das nicht mehr. Folgerichtig hat sie ihr Motto für die Zukunft in der Vergangenheit der Gescheiterten gefunden. "Vorwärts immer", sagt sie lakonisch zum Abschied, "rückwärts nimmer."

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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