Unterwegs:Vehikel der Erinnerung

Wenn man als Kind auf der Rückbank von Vaters Auto über Land fuhr, was hat man da nicht alles gesehen! Nur, um Jahre später zu erkennen, wie sehr sich alles verändert hat. Vor allem auf dem Land und in den Dörfern. Wie schön und wie traurig.

Von Richard Christian Kähler

Wenn man als kleines Kind auf der Rückbank des elterlichen Wagens quer übers Land fuhr und mit der Stirn an die Seitenscheibe gelehnt auf die Wälder, Felder, Dörfer und Städtchen schaute, was hat man da eigentlich nicht alles gesehen. Auf jeden Fall genug, um Jahre später auf einer erneuten Landstraßenfahrt festzustellen, wie viel sich geändert hat. Und bei einem dritten Wiedersehen erst gestern schon wieder alles ganz anders aussah.

Nicht das Land. Die Äcker, Wiesen und Wälder und irgendwie auch die Landstraße sehen heute noch aus wie eh und je. Nur, dass der Asphalt ein bisschen weniger schrundig ist. Aber der Lauf der Zeit findet vor allem am Straßenrand statt, das sind die Dorfdurchfahrten und die verträumten Kleinstädte. Und kaum ein Haus an der alten Bundesstraße erkennt man wieder. Als Großstadtkind fand man diese Städtchen einst grau und müde, nicht nur wegen der Eternit-Fassaden, die damals als fortschrittlich galten, weil sie die Fachwerke der kleinen Häuser verdeckten.

Doch einen Zeitsprung später sahen diese Dörfer plötzlich aus wie kleine Städte und imitierten sie entlang ihrer Hauptdurchgangsstraße mit verglasten Autohäusern und großzügigen Tankstellen. Und gestern, es lag nicht an den kahlen Bäumen und dem grauen Zwielicht, langweilten sich diese aufgeblasenen Dörfchen wie Geisterstädte mit ihren gespenstisch leer stehenden Glaskuben und verfallenden Tankstellen, inzwischen belegt mit ebenfalls schon wieder dahinsiechenden Fabrik-Outlets und Mobilfunk-Filialen.

Ein Jammer aber sind heute die alten Landgasthäuser von einst, meist landschaftlich wunderschön gelegen zwischen zwei Städtchen im Nirgendwo: zugenagelte Türen, zerbrochene Scheiben, bloße Erinnerung. Wo Hühnerbouillon und Schweinsbraten, Rüschenblusen und schlecht gebundene Schlipse Konfirmationen, Hochzeiten, nennenswerte Geburtstage und andere Triumphe einst gefeiert wurden, lebt heute nichts mehr.

Doch beim nächsten Besuch, wer weiß, ist hier auf dem Land vielleicht ja alles wieder wie ganz zu Beginn dieses Landes: Mit Kopfsteinpflaster und Kühen, mit Heugabeln auf den Schultern und Kopftüchern auf dem Feld. Wie schön.

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