Unterwegs:Mit Vollgas in die Vormoderne

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Alle reden vom autonomen Fahren, aber es gibt ziemlich viele Autos, die fahren nur von selbst, wenn man vergisst, die Handbremse anzuziehen. Und die auch nicht so tun, als seien sie schlauer als ihr Fahrer.

Von Jörg Reichle

Der Mensch als solcher ist ein seltsames Wesen. Dankbarkeit zum Beispiel kennt er nicht. Da verspricht man ihm die allersupertollste Technik, Motoren, die die Luft hinten sauberer ausstoßen, als sie vorne reinkommt, oder die gleich ganz mit Strom funktionieren. Und sogar, dass sein Auto irgendwann von alleine fahren kann, ist keine Utopie mehr. Und was macht der eigensinnige Tropf? Er kauft sich Autos mit Motoren, die Blei-Benzin verbrennen und dann zum Himmel stinken; Autos, die passive Sicherheit nicht mal vom Hörensagen kennen. Und die es überhaupt recht lässig angehen lassen: Wenn sich der Fahrer nicht angeschnallt hat, ermahnt ihn kein Piepsen und wenn er beim Einparken ein anderes Auto anrempelt, dann ist das auch seine Sache. Diesen Autos ist ihr Fahrer so egal, das glaubt man nicht. Lässt der beim Parken das Licht brennen, ist bald darauf die Batterie leer. Und wenn er nach dem Weg sucht, hilft ihm kein Navi. Dann muss er eine Straßenkarte aus dem Handschuhfach holen, sie umständlich ausbreiten und mit dem Finger darauf die richtigen Straßen nachfahren. Aber wenn er in zwischen nicht alles verlernt hat, was man ihm in der Jugend beibrachte, dann kommt er auch so ans Ziel. Und sogar mit 80 statt mit 180 PS.

ABS? ESP? Nie gehört. Wenn sich der Fahrer verbremst, blockieren die Räder und sein Allerheiligstes schießt in die Büsche. Weil der Fahrer das aber weiß, fährt er umso vorsichtiger. Und weil er am Steuer sowieso weiß, dass das, was er nicht macht, gar nicht gemacht wird, achtet er selbst darauf. Zum Beispiel vor dem Spurwechsel über die Schulter zu schauen. Oder regelmäßig Benzin und Wasser zu kontrollieren. Das ist zwar anstrengend, die Zahl der Kauze wächst aber, die es lieben, wenn ihr Wagen nicht klüger tut, als sie es selber sind.

Mehr als 350 000 Autos haben inzwischen ein H-Kennzeichen, das heißt, sie sind älter als 30 Jahre. Sie haben Charakter und sie haben Geschichte. Und selbst fahren tun sie ganz sicher nicht. Es sei denn, man hat vergessen, die Handbremse anzuziehen.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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