Unterwegs:Hitzestau im Oberstübchen

Was für ein Sommer: Juhu-Gefühl zwischen Badesee und Sauerstoffzelt. Nur auf der Straße tobt der Sonnengott.

Von Jörg Reichle

Was für ein Sommer! Wochenlang Sonne, Hitze, Speiseeis. Kurz: eine Sensation des massenhaften Juhugefühls zwischen Badesee und Sauerstoffzelt. Hallejuja, gelobt sei der Sonnengott. Nur: Warum zieht dann der Typ nebenan in dem schicken Porsche so eine Gesicht? Schmale Lippen, Perlschweiß auf der Stirn, dicke Zornesader. Oder die Dame im Mini an der Ampel, sonnenbrillen-honigblond. Wo Lächeln doch so schön machen soll, heißt es. Und der Kampfradler daneben? Mein lieber Herr Gesangsverein, für den bräuchte man auch einen Waffenschein.

Was zu der Frage führt: Ist der Sonnengott boshaft und bestraft unser Sommer-Hochgefühl mit Wut im Bauch und schweren Aufmerksamkeitsdefiziten? In der Hitze des Tages lässt jedenfalls derzeit schon der kleinste Zwischenfall das Oberstübchen überkochen. Letzteres ist ja bei vielen Verkehrsteilnehmern schon im Normalmodus mehr als ausgelastet, wie es aussieht. Aber wehe, es ist auch noch heiß draußen. Eine Studie des ADAC ergab, dass sich jeder siebte schwere Unfall an Tagen mit Temperaturen von mehr als 25 Grad Celsius ereignet. Der Anteil konzentrationsrelevanter Karambolagen, wie das heißt, liege an kühleren Tagen bei 47 Prozent, an sehr warmen Tagen seien es 63 Prozent. Um ein Fünftel steige die Zahl der Unfälle an Tagen mit mehr als 30 Grad Celsius.

Aber nicht nur die Konzentration geht flöten, auch feindseliger und impulsiver macht uns die Hitze. Die Wissenschaft hat das weltweit längst erforscht. Dass Amerikas Polizisten an heißen Tagen schneller zur Schusswaffe greifen ist bewiesen. Bei uns geht's da ja noch ziviler zu. Andererseits: So ein ansatzloser Spurwechsel ist auch nicht ohne. Man mag gar nicht daran denken, was einem jungen Mann im österreichischen Burgenland eingefallen wäre, hätte jener in einem Auto gesessen. Wie die lokale Presse berichtet, habe der 25jährige eines schönen Hundstags sein gesamtes Hab und Gut aus dem zweiten Stock auf die Straße geworfen und dabei gebrüllt: "Weiß und Schwarz verträgt sich nicht."

An heißen Tagen wie diesen, das wissen nicht nur Psychologen, nimmt jedenfalls die Kampfbereitschaft auf der Straße zu. Und, ganz ehrlich: Sich selbst würde man manchmal auch nicht begegnen wollen.

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