Unterwegs:Dem Missetäter auf der Spur

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Der Mann im Auto ist ein rechtes Urweltwesen, sagen Psychologen. Emotional nahe am Höhlenmenschen. Und nach all dem Ausbremsen und der Lichthuperei fährt er in die Waschanlage, um Buße zu tun.

Von Jörg Reichle

Es hilft ja nicht, es zu leugnen, Autofahren ist gefährlich. Das liegt vor allem an uns Männern. Sagen die Psychologen. Weil wir so aggressiv sind. Das habe, sagen die Psychologen, viel mit einer Regression des Verhaltens zu tun. Wie ein Kind, das zum ersten Mal fremde Territorien ohne elterlichen Schutz erobert und sich selbst Mutproben auferlegt - natürlich immer in der Hoffnung, sich Lob zu ergattern -, ermöglicht das Auto seinem Fahrer den Nervenkitzel, sich Gefahren auszusetzen, sie zu meistern und dabei das Gefühl von Größe und Grenzenlosigkeit zu empfinden. In der Abgeschiedenheit seines Blechkäfigs, der sich in übermenschlichem Tempo fortbewegt, fühlt sich der Fahrer anonym und bewegt sich in einem scheinbar von allen Zwängen befreiten Raum. Andere Verkehrsteilnehmer nimmt er dann meist nur noch als Störfaktoren wahr, die ihn an der Entfaltung seiner ungehemmten Fortbewegung hindern. Dafür gibt es dann die Lichthupe, wie wir (Männer) wissen.

Dass wir gerne in diesen infantilen Zustand verfallen, gilt also als wissenschaftlich nachgewiesen, was nicht gerade für unser Geschlecht spricht, liebe Artgenossen. Und das ziemlich bemühte Argument, dass ein Mann im Grunde stets und überall nun mal seinen Mann zu stehen hat, Beute machen und als potenter Ernährer die Gunst des weiblichen Geschlechts zum Zweck der Arterhaltung gewinnen will, führt eher zurück in die Steinzeit als wirklich weiter.

Und wenn er dann genug lichtgehupt, geschnitten und ausgebremst hat, auch diese überraschende Erklärung verdanken wir klugen Analysten unseres Mensch-(Mann-)Seins, fährt der von der Jagd ermüdete Automobilist um Buße zu tun - in die Waschanlage, den Ort der Beichte und Sühne. Ja wirklich. Wir zitieren: "Im Kriechgang fährt der schuldbeladene Lenker vor, gibt Münzen in den Opferstock, auferlegt sich und seiner Karosse ein mehrstufiges Reinigungsritual aus Vorspülen, Hauptwäsche und Heißwachs." Und am Ende das Weihwasser des Glanztrocknens, wenn das etwas schräge Bild erlaubt ist. Und ist beim Wegfahren, es ist ihm förmlich anzusehen, ein anderer als zuvor. Gefährt und Gewissen endlich geläutert, geht es auf zu neuen Missetaten. Sagt der Psychologe.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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