Unterwegs:Das erste Mal Mitwohnen

Im Urlaub statt im Hotel lieber bei einem Einheimischen wohnen, der sein Domizil vermietet, klingt cool. Aber wenn man noch nicht mal vom Balkon aufs Meer schauen kann, weil die Tür klemmt, ist das coole Gefühl schnell vorbei.

Von Joachim Becker

Gastgeber prägen die Urlaubserinnerungen wie der Duft von Desinfektionsmittel und wildem Thymian. Zum Beispiel die reizende ältere Witwe aus dem Death Valley, die in der allgemeinen Krankenversicherung eine Vorstufe des Sozialismus sah. Oder der junge Mann mit T-Shirt und Borsalino, der sein eigenes Bett in der Hauptsaison vermietet. Stoisch lächelt er von seinem Foto auf der Internet-Plattform. Getroffen haben wir ihn nie, stattdessen sendet er Lebenszeichen per SMS: "Bitte vergesst nicht, die Gasflasche wieder zuzudrehen, wenn ihr mit dem Kochen fertig seid. Danke und einen wunderbaren Tag." Jede Frage beantwortet unser Geister-Gastgeber prompt und mit größter Herzlichkeit. Wir fühlen uns fast schon als Teil der Familie.

Mit zunehmender Hitze schmilzt die Abenteuerlust wie Eis in der Sonne. Tagesprogramm: Ganz tranquilo auf dem Bett liegen und aufs Meer schauen. Das Foto vom türkisfarbenen Glitzern war ja der Auslöser allen Fernwehs. Die mediterrane Meditation zeigt aber auch die Schatten mit größerer Deutlichkeit. Dass wir im Vergnügungsviertel der Engländer gelandet sind: Dank der Brexit-Krise nicht weiter schlimm. Aus dem Hochhaus aufs Meer zu schauen, ist schon gewöhnungsbedürftiger für uns Nichtstädter. Doch am merkwürdigsten ist das Verstummen unseres dauerzwitschernden Gastgebers.

Zugegeben, wir hatten höflich angemerkt, dass keine Tür richtig funktioniere. Wie spießig von uns. Nach stundenlanger Pause die trockene Antwort: Ein Mitwohn-Apartment sei eben kein Hotel. Punkt. Da saßen wir hinter der offenen Klotür, blickten durch eine Balkontür aufs Meer, die sich nicht richtig öffnen ließ, und dachten nach. Von der beschreibbaren Wand jubelten glückliche Gäste aus aller Welt über den Urlaub ihres Lebens - genau hier an diesem Ort. Wir hatten uns also nicht an den Codex gehalten: Du likest mich, ich like dich: Netzwerk-Ferien finden öffentlich statt. Es geht darum, cool zu sein und von der Community geliebt zu werden. Nicht darum, Eingangstüren halbwegs einbruchssicher zu machen. Vielleicht sind wir zu alt für diese Form von sozialem Ringelpiez. Das nächste Mal gehen wir ins Hotel, das ist auch nicht teurer.

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