Unfälle mit Teslas Autopiloten:Schwere Vorwürfe gegen Tesla - EU prüft

Tesla Motors Inc. Model X SUV Reveal

Elon Musk, der große Visionär und Weltenerklärer, kommt in große Erklärungsnot. Kritiker sagen, seine Autos seien beim selbständigen Fahren nicht sicher.

(Foto: David Paul Morris/Bloomberg)
  • Nach einem Unfall, bei dem ein Tesla-Fahrer trotz eingeschalteten Autopiloten ums Leben kam, wurde nun ein zweiter Unfall bekannt, der mit dem System in Verbindung gebracht wird.
  • Die Kritik an dem kalifornischen Elektroautohersteller wird immer heftiger. Tesla habe eine unausgereifte Technologie zu früh freigegeben.
  • Doch Firmenchef Elon Musk drückt weiter aufs Tempo. Er will schon 2018 ein autonomes Fahrzeug auf den Markt bringen.

Von Joachim Becker, Thomas Fromm und Jürgen Schmieder, München/Los Angeles

Elon Musk gehört zu den Menschen, denen die Dinge nie schnell genug gehen. Touristikflüge zum Mars? Am liebsten nächsten Monat. Reisen per Transportkapsel durch eine Röhre bei Tempo 1200 km/h? Gerne schon nächste Woche. Fahren mit autonomen Autos? Warum nicht sofort?

Noch ist nur teilautomatisiertes Fahren zugelassen, bei dem der Fahrer jederzeit die Kontrolle behalten und das Lenkrad im Griff haben muss. Musk dagegen ist schon weiter: Mit seiner Limousine Model S und dem SUV Model X will er schon die nächste Stufe erreichen - die Autos können selbständig lenken, Gas geben und bremsen.

Hat es Teslas Marketing zu weit getrieben?

Solange alles gut ging, hat niemand gefragt. Jetzt aber hat es zwei Unfälle gegeben, einer davon mit tödlichem Ausgang, als ein Tesla in einen Lkw raste. Musk, der große Visionär und Weltenerklärer, kommt nun zum ersten Mal in große Erklärungsnot. Er muss sich fragen lassen, ob er seinen Kunden nicht zu viel verspricht. Ob er es mit seinem Marketing nicht zu weit getrieben hat. Und vor allem: Ob der versprochene "Autopilot" nicht vollkommen irreführend ist.

Kritiker sagen: Diese Autos sind noch längst nicht sicher beim selbständigen Fahren - deshalb jetzt die Unfälle mit dem Autopiloten. Tesla selbst sagt: Man habe das System als Beta-, also Testversion etikettiert und seine Fahrer dazu aufgerufen, die Hände am Steuer zu lassen. Es kursieren aber auch Videos im Netz, bei denen die Hände vom Steuer genommen werden. Die Botschaft: Leute, macht's Euch gemütlich! Euer Auto kann es auch alleine.

Erst versprechen, danach scheibchenweise relativieren

Typisch ist das. Es gehört zur Vermarktungsstrategie von Musk: Erst einmal viel versprechen - zum Beispiel das vollautonome Fahren im nächsten Jahr - und danach dann scheibchenweise wieder relativieren.

Bei einem Unfall am 1. Juli kam ein Model X von der Straße ab und überschlug sich. Kein Toter, zwei Verletzte, und ein Protokoll mit Folgen: Der Fahrer gab an, zum Zeitpunkt des Unfalls sei der Autopilot angeschaltet gewesen. Jetzt müssen die Behörden herausfinden: War das System, mit dem die Autos automatisch die Spur wechseln, die Geschwindigkeit anpassen und bremsen können, wirklich aktiviert? Und wenn ja: Was heißt das dann für die Zukunft dieser Technologie? Und für die Zukunft von Tesla?

Der Zulieferer sieht sich schuldlos

Was passiert, wenn die Computersteuerung richtig schief geht, zeigt der tödliche Unfall mit dem Autopiloten in den USA. Tesla vermutet, dass die Frontkamera Probleme hatte, den weißen Auflieger eines kreuzenden Lkw vor dem hellen Himmel zu erkennen. Das klingt logisch, denn was keine klare Kontur oder keinen unterscheidbaren Grauwert hat, existiert für die Linse hinter der Frontscheibe nicht.

Ausgerechnet einer der wichtigsten Zulieferer Teslas für den Autopiloten, der israelische Kamerasystemlieferant Mobileye, mischt sich nun mit einer Klarstellung ein. Und sagt: Wir und unsere Kameras sind nicht Schuld an der Sache. Denn: Was Mobileye geliefert habe, sei ein System mit klaren Grenzen. "Der Tesla-Unfall ist mit einem seitlich kreuzenden Fahrzeug passiert. Solche Situationen können Mobileye-Systeme ab 2018 erkennen, ab 2020 werden sie in die Wertung des Euro NCAP Crashtests eingehen", erklärt Dan Galves, Leiter der Mobileye-Kommunikation.

Tesla nutzt Parkpiepser für den automatischen Spurwechsel

Den Technikexperten der EU-Kommission ist der teilautonome Tesla schon seit Monaten nicht geheuer: Sie diskutieren, ob der Autopilot überhaupt von der Typzulassung gedeckt ist. Genehmigt wurden einzelne Assistenzsysteme: Die Kamera hinter der Windschutzscheibe, der Radarsensor in der Front, zwölf Ultraschallsensoren sowie niedrig montierte Kameras vorne und hinten. Es sind Teile, die man für die Abstandsregelung (ACC), die Spurhalteassistenz und für das kollisionsfreie Einparken braucht. Bisher kam nur Tesla auf die Idee, Parkpiepser, die lediglich fünf Meter weit reichen, auch für automatische Spurwechsel auf der Autobahn zu nutzen. Von dem entsprechenden Autopiloten steht offensichtlich nichts in der ursprünglichen Zulassung.

Tesla selbst reagierte auch auf eine SZ-Anfrage.

Das Unternehmen war im vergangenen Herbst stolz darauf, den Autopiloten einzuführen, noch bevor ähnliche Systeme im BMW 7er und der neuen Mercedes E-Klasse auftauchen. Das ging bei den Kaliforniern mit einem einfachen Update des Betriebssystems ganz ohne Werkstattbesuch. Einfach den neuen Softwarestand 7.0 über eine WLAN-Verbindung herunterladen und das Sensor-Set, das vorher noch für braves Spurhalten und Abstandskontrolle zuständig war, kann den Wagen nun automatisch führen.

"Die letzten Prozente sind die schwierigsten"

Die Branche ist alarmiert. "Wir sind sehr vorsichtig damit, so etwas für den Kunden freizugeben", heißt es bei BMW. Auch Mercedes-Experte Michael Hafner setzt zuallererst auf Sicherheit: "Der Straßenverkehr ist so komplex, dass wir noch keine hundertprozentige Verfügbarkeit haben", sagt der Verantwortliche für Fahrerassistenzsysteme und Aktive Sicherheit: "Die letzten Prozente sind die schwierigsten - und wir werden kein System einführen, das den Fahrer im Ernstfall von einer Sekunde zur anderen allein lässt."

Bei Mercedes, BMW, Audi, Volvo und anderen sind deshalb neue Bordnetze in der Entwicklung: Sie wollen das bisherige Nervensystem mit bis zu hundert einzelnen Steuergeräten durch einen zentralen Supercomputer ersetzen. Ziel: Hoch automatisierte Autos sollen so sicher wie Flugzeuge werden. Es geht dabei um eine bessere Abstimmung aller Sensoren, damit ein Unfall mit Todesfolge wie im Mai nicht mehr passiert. Bisher sind alle Systeme im Auto Spezialisten, die nur ein Teilgebiet beherrschen. Um den Menschen am Steuer zu ersetzen, braucht es einen Generalisten, der die Daten aller Sensoren in Echtzeit verarbeitet und verantwortliche Entscheidungen trifft. Ein solches Zentralhirn ist bisher nur in Ansätzen vorhanden.

Testfahrer vertrauten der Technik zu schnell

Musk ficht das alles nicht an. In der vergangenen Woche kondolierte er der Familie des Unfallopfers. Allerdings klang das eher nach einer unternehmerischen Rechtfertigung als nach ernsthafter Anteilnahme. In den Vereinigten Staaten wird nun deshalb heftig darüber debattiert, wie sinnvoll es eigentlich ist, eine Beta-Version zu vermarkten. Ist das nicht so, als würde man einem Kind einen Hammer in die Hand drücken, weggehen, und ihm vorher sagen: "Aber bitte nichts kaputt machen."

So jedenfalls interpretiert Chris Urmson das Vorgehen von Tesla. Er ist bei Google verantwortlich für autonomes Fahren und hat bei Tests festgestellt: "Bereits nach fünf Minuten haben die Insassen der Technik vertraut. Sie haben sich zu wohl gefühlt und die verrücktesten Dinge angestellt." Wenn es so ist, dass selbstfahrende Autos rollende Computer sind, dann gibt es hier ein entscheidendes Problem: Es macht einen Unterschied, ob ein Laptop kaputt geht. Oder ob ein Auto crasht.

Musk will schon 2018 ein autonomes Fahrzeug

Dass Musk die Dinge gerne schneller haben will, drückt auch auf die Beziehung zwischen Tesla und seinem Zulieferer Mobileye. Statt eines Assistenten für seitlich kreuzende Fahrzeuge will er spätestens 2018 schon ein autonomes Fahrzeug, um der Konkurrenz dann wieder einige Jahre voraus zu sein. Deshalb hat er dem jungen Software-Ingenieur George Hotz einen Multimillionen-Dollar-Bonus versprochen, wenn er eine Lösung findet, die besser ist als die von Mobileye. Das geht aus einer E-Mail-Korrespondenz zwischen Musk und Hotz hervor, die das Internet-Forum "Electrek" Ende des vergangenen Jahres veröffentlicht hat. Wieder mal drückt der Milliardär und Unternehmer aufs Tempo - koste es was es wolle.

Tesla bleibt dabei: Bei Fahrten mit eingeschaltetem Autopilot-System passieren weniger Unfälle als durch den Fahrer. Die Software, die im Oktober eingeführt wurde, sei inzwischen in rund 70 000 Fahrzeugen verfügbar; schon über 200 Millionen Kilometer seien damit zurückgelegt worden.

Und dennoch: Es ist nur eine Betaversion, und eigentlich sollte sie abgeschaltet bleiben. Die sie auf der Straße testen, sind Versuchsfahrer ohne entsprechende Lizenz. Warum der Autopilot-Knopf überhaupt betätigt werden kann, das verrät Tesla nicht.

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