U-Bahn in New York:Untergrund-Bewegung

In New York wird die teilweise marode U-Bahn modernisiert - mit Technik und Know-how aus Deutschland.

Klaus C. Koch

"Stand clear for the closing doors, please!" Die Aufforderung, von der Bahnsteigkante zurückzutreten, klingt, als stamme sie von Humphrey Bogart, der Ingrid Bergman zu jenem Flugzeug bringt, das sie 1942 in "Casablanca" vor den Deutschen rettet. Der bühnenreife Singsang, in New Yorks U-Bahnhöfen Tag für Tag zehntausendfach von Band gespielt, steht in krassem Gegensatz zum maroden Zustand weiter Teile der Subway des Big Apple. Doch die Verkehrsbetriebe der Millionenstadt, die Metropolitan Transit Authority, gelobt Besserung.

U-Bahn in New York: Die teilweise marode New Yorker U-Bahn wird saniert - während des laufenden Betriebs.

Die teilweise marode New Yorker U-Bahn wird saniert - während des laufenden Betriebs.

(Foto: Foto: Klaus C. Koch)

Die erste Unterpflasterbahn war eine Rohrpost

Seit einiger Zeit wird das Schienengewirr unter der Skyline von Manhattan mit Aufträgen in dreistelliger Millionenhöhe, Know-how und elektronischer Aufrüstung aus Deutschland modernisiert. Die Fäden laufen in einer neuen Schaltzentrale von der Größe einer Dreifachturnhalle zusammen. Ihr Standort ist geheim, um sie nicht zum Ziel terroristischer Aktivitäten zu machen.

Wer sich im Untergrund bewegt, sah sich in New York schon immer mit Risiken der besonderen Art konfrontiert. Das oberirdische Verkehrsgewühl aus Pferdefuhrwerken, Straßenbahnen und zahllosen Fußgängern war bereits Mitte des 19. Jahrhunderts kolossal.

Vorausschauende Geister verfielen deshalb auf die Idee, einen Teil davon unter die Erde zu verlegen. Die erste Unterpflasterbahn, die Alfred Ely Beach, Patentanwalt, Erfinder und Herausgeber des Wissenschaftsmagazins Scientific American, 1870 in Gang setzte, war eine bessere Rohrpost. Von Druckluft getrieben führte die Route des Pneumatic Transit über 95 Meter hinweg vom Keller eines Bekleidungsgeschäfts an der Ecke Warren Street zur Murray Street. Erst als die Tonnen von Baumaterial aufgefallen waren, die im Keller des Ladengeschäftes verschwanden, rückte Beach damit heraus, dass er sich quer durch den Untergrund gewühlt hatte. Gerne hätte er die Rohrpost ausgebaut - doch ging ihm das Geld aus.

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Andere setzten in den folgenden Jahrzehnten auf Hochbahnen, deren aufgeständerte Konstruktionen unter dem Gewicht der bis zur Jahrhundertwende genutzten Dampfloks ächzten. Eher wie ein Zirkusartist wurde Charles Thompson Harvey bestaunt, der im Jahr 1868 dort, wo heute Ground Zero klafft, eine Kabelbahn konstruierte. Das Projekt ging im nächsten Börsen-Crash unter.

U-Bahn in New York: Baubeginn der New Yorker U-Bahn war das Jahr 1900.

Baubeginn der New Yorker U-Bahn war das Jahr 1900.

Es sollte relativ lang dauern, bis sich das aus Manhattan, Queens, Bronx und Brooklyn zusammenwachsende New York für den Bau einer richtigen U-Bahn entschied. Am 26. März 1900 fiel der Startschuss. Die Röhren, in denen Tausende Einwanderer mit bloßen Händen arbeiteten, waren permanent vom Einsturz bedroht. In den Baustellen unter dem East River musste mit Überdruck gearbeitet werden, um das Eindringen von Wasser zu verhindern. Die Hitze war unerträglich und erlaubte nur Schichten von zwei bis drei Stunden Dauer.

Die ersten Stützgerüste waren aus Holz

"Ich fühlte eine gewaltige Kraft, die mich packte und mit der Druckluft aus dem Bauwerk spülte", berichtete 1916 ein Arbeiter nach einem Tunnelunfall. An der 190. Straße starben im Oktober 1903 zehn Kollegen, als sich nach Sprengarbeiten am Washington-Heigths-Tunnel 300 Tonnen Felsgestein lockerten und auf den Bautrupp niederprasselten.

Wo immer es ging, wurden die Röhren in der schlichten Bauart von Abwasserkanälen mit Hilfe von Stützgerüsten aus Holz zwischen die Häuserreihen gesetzt. Oft gab der Erdboden nach, und angrenzende Gebäude neigten sich zum Schrecken ihrer Besitzer in die Tiefe.

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U-Bahn in New York: Von der neuen Schaltzentrale der U-Bahn aus werden bald 7500 Fahrten von 540 Zügen kontrolliert, mit denen jeden Tag etwa fünf Millionen Fahrgäste befördert werden.

Von der neuen Schaltzentrale der U-Bahn aus werden bald 7500 Fahrten von 540 Zügen kontrolliert, mit denen jeden Tag etwa fünf Millionen Fahrgäste befördert werden.

(Foto: Foto:)

Die ersten Strecken, die in Betrieb gingen, waren von 1904 an die Manhattan-Bronx-Linie vom Rathaus über die 42. Straße und den Times Square bis zur 242. Straße, und vier Jahre später deren Fortsetzung im Süden unter dem East River hindurch nach Brooklyn. Immerhin wurde die U-Bahn bereits elektrisch betrieben. Neben den Gleisen verlief ein dritter Strang, der die Züge über eine Stromschiene mit Energie versorgte. Letztere ist aber auch heute noch der Grund dafür, dass - wie nach einem Tornado im August - im Fall eines Eindringens von Wasser in die ungenügend gegen Regenfluten gefeiten Bahnhöfe der Verkehr früh eingestellt werden muss.

Chronisch war in den zurückliegenden Jahrzehnten das Finanzdefizit. Als in den sechziger und siebziger Jahren die Ersatzteilversorgung zusammenbrach, wunderten sich Fachleute, dass die U-Bahn überhaupt noch lief. Auf 40 Prozent der Strecken mussten die Züge aus Sicherheitsgründen auf wenig mehr als Schritttempo abgebremst werden.

Chronisches Finanzdefizit - viele Schäden

Eine komplette Serie mit 754 Waggons, die berüchtigte R-46-Reihe, sorgte mit Rissen in den Fahrgestellen für eine böse Überraschung, nachdem durch einen Fehler beim Hersteller die Belastung zu niedrig angesetzt worden war. Die Stadt New York verklagte den Hersteller auf 192,3 Millionen Dollar Schadenersatz.

Nicht nur dort wurde geschlampt. 140 Fahrgäste wurden verletzt und der Zugführer getötet, als im Juli 1981 an einer Tunnelabfahrt zwischen der Sutter und der Utica Avenue infolge eines Signaldefektes ein Zug auf einen anderen auffuhr, der vor ihm auf grünes Licht wartete. Ein anderes Mal entkamen Hilfskräfte nur um Haaresbreite einem heranrasenden Zug, weil nach einem Feueralarm ein zur Unglücksstätte führender Streckentunnel nicht gesperrt worden war.

Böse Zungen behaupten, dass die verlässlichste Information über aus- und einfahrende Züge in New York darin bestehe, darauf zu achten, in welcher Richtung die Ratten davonlaufen. Tatsächlich wurden in etlichen U-Bahnhöfen in Brooklyn Streckenfreigaben bis vor einem Jahr noch per Funk von einem Halt zum nächsten erteilt.

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Unter verschärften Auflagen der Homeland Security wurde jetzt die neue Schaltzentrale, das Rail Control Center, unweit des Broadway installiert. Von hier aus werden demnächst 540 Züge und 7500 Fahrten kontrolliert, mit denen pro Tag rund fünf Millionen Passagiere zur Arbeit und wieder zurück gebracht werden. Im Endausbau, der 2008/2009 abgeschlossen sein soll, werden sämtliche 468 U-Bahnhöfe durch Glasfaserkabel miteinander verbunden sein. Sämtliche Züge, die den Big Apple ansteuern, werden dann von einem System überwacht, das seit einiger Zeit auch in der Pariser Metro Anwendung findet.

Seit dem 11. September 2001: verstärktes Sicherheitsbedürfnis

Problem war, dass die Steuerung in alte Strukturen eingepasst werden musste, deren Betrieb über 24 Stunden am Tag hinweg nicht unterbrochen werden durfte. Nach Ausfall eines der Systeme sollte das jeweils andere die Steuerung komplett übernehmen, wahlweise sogar wieder auf konventionelle Technik umgestellt werden können. Siemens-Projektleiter Aashish Gupta: "Wir mussten uns erst einmal daran gewöhnen, dass hier rund um die Uhr gefahren wird, und nicht - wie in Deutschland - nachts fünf Stunden Pause sind, während denen wir arbeiten könnten."

Das verstärkte Sicherheitsbedürfnis nach dem 11. September gebiert als Nebeneffekt auch verbesserte Fahrgast-Informationssysteme, die bis Ende 2008 in 157 U-Bahnhöfen in Betrieb gehen sollen. Auf der Canarsie-Linie läuft seit Dezember 2006 zudem ein automatisches Kontrollsystem, das auf der Basis sogenannter Moving Blocks funkgestützt die Entfernung zum jeweils vorausfahrenden Zug ermittelt, um bei schnelleren Zugfolgen Auffahrunfälle zu vermeiden. Vor allem an Langsamfahrstrecken hatten Zugführer in der Vergangenheit nach eigenem Gutdünken entschieden, ob sie den Fuß vom Gas nahmen. Manche versuchten auch, mit überhöhtem Tempo verlorene Zeit reinzuholen. Die tödliche Überraschung lauerte oft hinter der nächsten Kurve.

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