Tokio Motor Show 2015:Besonders mutig und unkonventionell

Nissan Concept 2020 Vision Gran Turismo auf der Tokio Motor Show 2015

Eines der Highlights der Tokio Motor Show 2015: das Nissan Concept 2020 Vision Gran Turismo.

(Foto: REUTERS)

Japans Autobauer spielen offensiv, das hat die Tokio Motor Show gezeigt. Sie planen in den nächsten Jahren interessante Modellneuheiten - auch dank intensiver Kooperationen mit deutschen Herstellern.

Von Georg Kacher

Die Tokio Motor Show war und ist die weltweit größte Spielwiese der Automobil-Designer. Diesmal hat sogar Mercedes mitgemischt im Ginza-bei-Nacht-Potpourri der grellen Farben und wilden Formen - mit einem autonom fahrenden Separee im "Game of Thrones"-Look und mit Brennstoffzellenantrieb. Die Studie vereint alle wesentlichen Elemente der aktuellen japanischen Mobilitätsdenkweise: viel Platz und totalen Ausstattungsluxus, Nullemission und pilotiertes Fahren, Markenpflege und Manga-Design.

Den ungekrönten König der immer noch wachsenden Manga-Fangemeinde - halb satanistischer Videospiel-Protagonist, halb überzeichneter Supersportwagen - konnte man auf dem Nissan-Stand bewundern. Der nächste GTR kommt zwar wohl erst 2019 auf den Markt, doch schon heute steht fest, dass moderne Hochleistungsfahrzeuge in naher Zukunft zumindest teilelektrifiziert an den Start gehen werden. Die Vorreiterrolle spielt hier der Honda NSX, der mit drei E-Motoren und einer Systemleistung von 573 PS auf den Spuren des Porsche 918 wandelt, allerdings schon zu Preisen ab 150 000 Euro.

Völlig unterschiedliche Sportwagenkonzepte

Der Mazda RX-Vision verzichtet aufs Stromern und setzt stattdessen auf eine Weiterentwicklung des 2012 eingestellten Wankelmotors. Für den von der Studie abgeleiteten RX-8, der 2020 in Serie gehen soll, wird das Kreiskolbenprinzip gründlich nachgebessert.

Es geht natürlich auch ganz anders: kleiner, leichter, günstiger. So wie der Honda S660 im Bonsai-Format, der leider nur in Japan angeboten wird. Durchaus weltmarkttauglich wäre dagegen der für 2018 avisierte und als Cayman-Herausforderer konzipierte CSX mit über 300 PS starkem Vierzylinder-Mittelmotor. Noch extremer ist das Project 2&4, mit dem Honda seine Zweirad-Kompetenz in eine absolut minimalistische vierrädrige Fahrmaschine einbringt. Die als Ein- oder Zweisitzer einsetzbare Super-Seifenkiste wird von einem 1,0-Liter-Motorradmotor angetrieben, der bei 13 000 Touren 215 PS leistet.

In Europa ist der Minivan mausetot, aber die Japaner lieben die kantigen Kuben, die als ultrakompakte Kei-Cars selbst in Großstädten ohne Stellplatz-Nachweis zulassungsfähig sind. Das Design der dreizylindrigen Kurzware variiert vom Kindchenschema mit treu blickenden Rundscheinwerfern bis zum grimmigen Yakuza-Styling mit dick aufgetragenem Mattschwarz. Anbieter wie Suzuki leben von diesem Segment, das trotz starrer Regularien immer neue optische Akzente setzt. Klarer Marktführer ist auch hier Toyota, wo der für Comics zuständige Fachbereich mit dem Alphard Hercule eine besonders düstere Sumo-Variante des erfolgreichen Luxus-Vans auf die Räder gestellt hat.

Immer größerer Fokus auf das autonome Fahren

Was alle in Tokio ausgestellten MPV-Konzepte eint, ist der großzügige Lounge-Charakter des Innenraums, der uns behutsam die Zukunft des autonomen Fahrens schmackhaft machen soll. Das Einrichtungsspektrum reicht von der Sofaecke (Mercedes Vision) über drehbare/faltbare/verschiebbare Sitze (Suzuki AirTriser) bis zum digitalen Spielzimmer mit Mini-Lenkrad (Nissan Teatro for Dayz).

Connectivity ist ein weltweiter Trend, doch die Japaner verpacken neue Funktionalitäten besonders mutig und unkonventionell. In fast allen Showcars sucht man vergebens nach klassischen Bedienelementen. Stattdessen erlebt die Sprachsteuerung ihren dritten Frühling, für die Menüführung sind primär Daumen und Zeigefinger zuständig, die herkömmlichen Rundinstrumente mutieren zur Projektionsfläche in voller Wagenbreite. Bei Bedarf wird sogar die komplette Karosserie zur elektronischen Pinnwand - so gesehen beim Toyota Gosei Flesby.

Man tut eben alles, um den Trend zum Kurumbanare - das Desinteresse der japanischen Jugend am Automobil - aufzuhalten. Die Mittel zum Zweck sind breit gestreut. Zu den Eckpfeilern gehören die staatlich geförderte Digitalisierung der Infrastruktur, die Erfassung des fließenden und ruhenden Verkehrs sowie neue Mobilitätskonzepte wie Platooning (fahren im Pulk), automatische Echtzeit-Navigation (bessere Nutzung der Verkehrsflächen) und die stufenweise Einführung autonomer Fahrmodi. Das technische Rüstzeug für teilautonomes Fahren wollen Toyota, Nissan & Co. bis 2020 zur Serienreife führen, vollautonomes Fahren dürfte allerdings nicht vor 2025 möglich sein. Apple, Google und Uber sind vermutlich schneller, müssen sich aber erst den Weg ins Cockpit freikämpfen.

Japan forciert den Wasserstoffantrieb

So wie der Mirai polarisiert auch das Design des neuen Toyota Prius - und das ist sogar sinnvoll. Gutmensch-Autos müssen nicht gefallen, aber als rollende Statements einer grünen Weltanschauung dürfen sie offensiv-unverwechselbar sein. In den höheren Preisklassen fahren die Japaner ohnehin eine verbindlichere Strategie. Die Lexus-Studie, die klare Rückschlüsse auf den nächsten LS zulässt (kommt 2017), verpackt die weiterentwickelte Brennstoffzelle in klassischen Formen und hochwertigen Materialien.

Einen ähnlichen Weg geht Honda mit dem Clarity Concept, einer Art Mirai in hübsch. Während sich zum Beispiel bei BMW Brennstoffzelle und Batterie die Arbeit teilen, spielen Akkus in den japanischen Wasserdampfern nur eine Nebenrolle. Hier wie dort sind Preise und Stückzahlen bis auf Weiteres Makulatur. Auf dem Papier ist der Clarity dem Mirai in vielen Belangen überlegen: Leistung 130 statt 114 kW, Reichweite 700 statt 500 km, Tankdauer drei statt fünf Minuten. Was beiden Saubermännern zum Durchbruch fehlt, ist die entsprechende Infrastruktur.

Auch in Zukunft orientieren sich die japanischen Anbieter vor allem am Binnenmarkt, an den USA und an China.

Mazda hat das Crossover-Segment im Griff

Trotzdem wird Europa für manche Hersteller immer lukrativer. Dazu gehört Mazda, das nach der Abspaltung von Ford durch kluge Modellpolitik und rigides Kostenmanagement auch in der alten Welt zweistellige Zuwachsraten verzeichnet. Mit CX-3, CX-4 (kommt zum Modelljahr 2017), CX-5, CX-7 und möglicherweise auch dem neuen CX-9 hat der Hersteller aus Hiroshima das boomende Crossover-Segment bestens im Griff. 2018 soll der Nachfolger des Mazda 3 die Golf-Klasse aufmischen.

Toyota bringt von der innovativen modularen TNGA-Matrix fünf verschiedene Ableitungen vom Sportwagen (nächster GT86) bis zu SUV, Minivan und Kleinlastwagen. TGNA steht für mehr Vielfalt, weniger Gewicht, niedrigeren Schwerpunkt, höhere Steifigkeit und bis zu 50 Prozent geringere Kosten. Zu den wichtigsten Derivaten gehören die Nachfolger von Corolla/Auris, Prius, Avensis und RAV 4 (alle 2018) sowie der für 2016 angekündigte CHR Soft-Roader. Auch Lexus erhält zeitversetzt eine neue, modular aufgebaute Architektur für Modelle mit Hinterrad- und Allradantrieb.

Während immer mehr europäische Marken auf das Elektroauto setzen, tun sich die Japaner nach wie vor schwer mit der Steckdosentankstelle. Abgesehen vom Nissan Leaf, der zu den weltweit meistverkauften E-Mobilen zählt, ging den meisten BEVs made in Nippon schon in der Konzeptphase der Saft aus. Der Honda E-Jazz ist ein Kleinserien-Zuschussgeschäft, aber dafür ist für 2018 zumindest eine Null-Emission-Version des CR-Z Sportcoupés in Vorbereitung. Toyota paart die E-Maschine bevorzugt mit Verbrenner oder Brennstoffzelle, Mazda und Subaru wollen sich in Sachen Plug-in-Hybrid zusammentun und haben das E-Thema zunächst hintangestellt. Was etwas verwundert, denn schließlich ist Subaru über das gemeinsame Sportwagenprojekt BRZ/GT-86 bereits mit Toyota verbandelt. Doch dieses Kreuz-und-Quer hat in Japan Methode, denn es spart viel Geld.

Kooperationsachsen zwischen Japan und Europa

Die stärksten Kooperationsachsen zwischen Japan und Europa pflegen Nissan-Renault, Nissan-Mercedes (beginnt mit dem gemeinsamen Pick-up-Projekt), Infiniti-Mercedes und Toyota-BMW. Die Renault-Connection ist - aller Händel zum Trotz - so weit fortgeschritten, dass sich beide Marken einen Modulbaukasten teilen. Infiniti profitiert von Mercedes in Form des Q30 und des QX30 auf Basis A-Klasse beziehungsweise GLA. Ein siebensitziger Crossover befindet sich in Prüfung, die neue MB-Heckantriebsplattform ist dagegen bis auf Weiteres tabu.

BMW entwickelt für Toyota den Supra-Nachfolger, der nur als Coupé angeboten werden soll, um dem baugleichen Z4 Roadster nicht in die Quere zu kommen. Im Gegenzug fließt fernöstliches Brennstoffzellen-Know-how nach Deutschland. Ein weiterer Deal zwischen München und Toyota City ist weit gediehen, aber wohl noch nicht unterschriftsreif. Dabei geht es um die nächste Mini-Generation vom neuen Rocketman (Stadtauto) über die Drei- und Fünftürer bis zum Cabrio und dem Clubman III. Nach diesem Schnittmuster würde nur mehr der nächste Countryman und ein möglicher MPV als Schwestermodelle von X1 und Active Tourer dem bayerischen Reinheitsgebot entsprechen. Der neue Teilesatz ist variabel genug für einen MiniMini im 3,40-Meter-Format, die möglichen Synergieeffekte sorgen hier wie dort für gute Laune bei den Controllern, das Thema E-Mobilität lässt sich im knappen Budget-Rahmen gemeinsam leichter stemmen.

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