Tests am Polarkreis:Ein eiskaltes Geschäft

In Nordschweden werden die zugefrorenen Seen in jedem Winter zum weltweit größten Testzentrum für neue Automodelle.

Andreas Spaeth

Urban Eriksson geht unmittelbar vor der engen Kurve voll aufs Gas, trotzdem zieht der silberne Volvo S70 wie auf Schienen seine Bahn. Einen Augenlidschlag später die nächste Prüfung für den Beifahrer: Eriksson tritt brachial auf die Bremse, nimmt beide Hände vom Lenkrad - der Wagen bleibt unbeeindruckt in der Spur und kommt wenige Meter weiter sicher zum Stehen.

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(Foto: Foto: Spaeth)

Was diese Fahrt, die Ungeübte schon auf Asphalt nervös machen würde, besonders spannend macht: Die Piste ist blankes Eis, nur 50 Zentimeter dick, und Teil einer 1,3 Kilometer langen Teststrecke am Rande von Arvidsjaur in Nordschweden. "Jetzt habt ihr das Beste gesehen, was die Gegend hier hervorgebracht hat", strahlt Eriksson, der jahrelang als Autotester für große Firmen gearbeitet hat, "denn alle Stabilisierungs- und Sicherheitssysteme für Autos sind hier perfektioniert worden."

Bremsspuren auf der Flugzeugpiste

Die Erfolgsgeschichte der kleinen Gemeinde hoch im Norden begann an einem kalten Wintertag Anfang 1973: Auf dem größten der 4000 Seen dieser Region etwas südlich des Polarkreises, dem Hornavan, hatten Piloten mit einem Schneepflug eine Piste für ihre Cessna geräumt; Mitarbeiter von Opel beobachteten die mutigen Flieger und waren sich schnell einig darüber, dass man die Eispiste doch auch für Bremstests neuer Opel-Modelle nutzen könne.

Was keiner ahnen konnte: Diese Idee machte die beiden, 80 Kilometer voneinander entfernten Orte Arjeplog und Arvidsjaur, in denen zusammen 10000 Menschen wohnen, zum heute weltweit größten Zentrum für Wintertests in der Automobilindustrie.

Ein eiskaltes Geschäft

Zur Hauptsaison, im Februar und März, tummeln sich bis zu 3000 Ingenieure und Testfahrer aus der ganzen Welt am Polarkreis; fast alle bedeutenden Autokonzerne sind inzwischen mit eigenen Testzentren hier vertreten - die Liste reicht von Audi über Lamborghini bis Porsche.

Rund 100 Millionen Euro Umsatz, so heißt es, bringt das der an sich strukturschwachen Region in jedem Winter. "Die Branche boomt und wächst um bis zu 25 Prozent pro Jahr", freut sich Ann Engberg, die in Arvidsjaur speziell die Autobranche betreut.

Eines der größten Testzentren betreibt Bosch mit über 250 Mitarbeitern - neben ABS wurden in Vaitoudden unter anderem auch das Traction Control System, die Adaptive Cruise Control oder das Electronic Stability Program - kurz: ESP - zur Serienreife gebracht.

Unzählige Strecken mit unterschiedlichem Belag

BMW konzentriert seine Aktivitäten in einem neuen Komplex in Nåtti bei Arjeplog - eine Investition, die auf 20 Millionen Euro geschätzt wird. Auch Hyundai hat ein neues Testareal gebaut. Was die Entwickler anlockt, sind die unzähligen Strecken mit unterschiedlichem Belag an Land sowie die Rundkurse auf dem Eis; für jede Testsaison werden insgesamt 1500 Kilometer Eispiste neu präpariert.

Solche Eisbahnen anzulegen, ist eine Wissenschaft für sich, die man in Arvidsjaur und Arjeplog zu einer hohen Kunstform entwickelt hat. Vor allem muss die Natur mitspielen - und die hat die Branche in dieser Saison im Stich gelassen. "Der Winter war viel zu warm", klagt Jan Edvardsson, der ein Unternehmen zur Pistenpräparierung betreibt, "die Autotester brauchen perfekte Bedingungen, und alles ist immer sehr eilig, weil die Chefs Resultate sehen wollen."

Aber: Erst am 6. Dezember konnte zu Beginn des Testwinters der Schnee vom Eis geräumt werden - viel später als gewöhnlich. Dann kamen Spezialmaschinen zum Einsatz, "aber wir konnten lange nur maximal sechs Tonnen schweres Gerät einsetzen, für unsere 15-Tonner war das Eis zu dünn", sagt Edvardsson.

Ein eiskaltes Geschäft

Schließlich beugten sich die Pistenmacher dem Zeitdruck der Autobranche - und es kam, was kommen musste: Mehrfach brachen schwere Traktoren im Dezember durch die Eisdecke. Und immer neues Gerät wird am Polarkreis eingesetzt; dazu gehört auch der so genannte Eisbügler, der mit fünf Gasbrennern eine Metallplatte heizt, die wie ein Bügeleisen die Oberfläche perfekt glättet und abgefahrene Eis-Parcours wieder jungfräulich herrichtet.

"Die meisten Autos, die hier unterwegs sind, sind zumindest äußerlich längst kein Geheimnis mehr", erklärt BMW-Testfahrer Christian, "nicht einmal zehn Prozent der rund 500 Autos, die hier jährlich für Tests hergebracht werden, sind neue Modelle." Trotzdem, so weiß Urban Eriksson, "ist das hier ein guter Platz auch für neue Fahrzeuge, die dann erst drei bis fünf Jahre später auf den Markt kommen". Solche rollenden Geheimnisse allerdings sind dann nur auf abgesperrten Eisarealen unterwegs.

Was natürlich auch die Auto-Spione wissen, eine kleine Elite aus gerade mal sieben weltweit gefragten Erlkönig-Fotografen. "Das ist wie eine Jagd", wird der Norweger Rob in der Lokalzeitung The Arjeplog/Arvidsjaur Times zitiert, "Nordschweden ist das beste Pflaster für Bilder von neuen Autos." Auch die drei Deutschen Guido, Andreas und Simon gehören zu der kleinen Gruppe der fotografierenden Profis; besonders gejagt wird derzeit der VW GolfVI - den hat bisher noch niemand so richtig vor die Linse bekommen, ein gutes Foto wäre wohl mehrere tausend Euro wert.

Testfahren selber ist, zumindest für Urban Eriksson, "auf Dauer ziemlich langweilig". Er bietet deshalb Fahrercamps für Touristen an - ebenfalls ein blühendes Geschäftsfeld in den Weiten Schwedisch-Lapplands.

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