Testfahrer bei Lamborghini:Großmeister des Popometers

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Valentino Balboni und seine jungen Kollegen haben einen der aufregendsten Berufe der Welt: Testfahrer bei Lamborghini.

Jochen Wagner

5000, 6000 Touren, flüssig in den dritten Gang, abartiger Kraftschluss, weiter drehen, die Hand hetzt durch die Schaltkulisse, 220 Sachen, sechster Gang. Drehmomentwellen und Pressatmung beim Beifahrer. Denn es schüttet, als wolle der Regen das futuristische Manifest zitieren: "Der geliebkoste Tod überholte mich an jeder Kurve, um mir artig seine Pfote zu geben ..." Aquaplaning? "Das spürt man, die Lenkung wird leicht." Wenn man das Händchen von Valentino Balboni hat. Bald 40 Jahre bei Lamborghini, testet er seit 1973 zusammen mit seinen jüngeren Kollegen Mario Fasaneto, 42, und Giorgio Sanna, 32, die Sportwagen aus Sant'Agata/Bolognese.

Der Könner: Valentino Balboni am Steuer des Miura SV (Foto: Foto: Wagner)

Eine Furie aus Tempo, Kraft, Schönheit und Eros

8000 Umdrehungen stemmt der gelbe Miura SV. Vor 40 Jahren galt er neben Sophia Loren als das Schärfste aus Italien. Heute kostet er wenigstens 250.000 Euro. Balboni fährt ihn gratis seit 1966. Was damals Michelangelo Antonionis Film "Blow Up" im Kino war, das war der Miura auf der Straße: eine Epiphanie. Auf dem Genfer Salon verkörperte Ferrucchio Lamborghinis Furie Tempo, Kraft, Schönheit und Eros. Im Zoom aus dem flirrenden Asphalt kam der gelbe Punkt mit anschwellendem Klang heute früh näher.

Balboni, unweit in Finale Emilia geboren, wie Antonioni bei Ferrara ansässig und ebenfalls ein Meister der Wahrnehmung, arbeitet. Er schwört dabei auf seine betagten italienischen Slipper, Größe 40. Gummierte Hightech-Formel-1-Schuhe würden alles wegdämpfen. Dünne Ledersohlen aber leiten osmotisch wie eine Membran alle Vibrationen, Schwingungen, Kräfte des Autos ungefiltert weiter.

Das Modem zum Abspeichern ist der ganze Körper. Unplugged alle Kräfte und Bewegungen spüren, dafür ist das Popometer das zentrale Sensorium, Mikro, Lupe, Sonde und Antenne für alle Nuancen. Die drei Tester haben sich ein gefühltes Wissen aus Abertausenden Kilometern erfahren. Das Datarecording misst zwar objektiv alles nur Erdenkliche und funkt es auf die PCs. Doch erst die subjektive Urteilskraft aus tausenderlei Reizen, Signalen und Reflexen kommuniziert ein Fahrerlebnis. Was sie erzählen, macht die Infos über Motor und Chassis bedeutsam.

Bildstrecke
:Lamborghini Miura

Flache, schnelle Flunder: Der Miura gilt als der Lamborghini-Klassiker schlechthin.

Der Miura, benannt nach dem Kampfstierzüchter Don Eduardo Miura, sagt Balboni, ist die große Liebe. Tiefergelegte 90-60-90, so der Kalauer. Bertone war beauftragt, doch geschneidert hat ihn der junge Marcello Gandini. Das Bestiarium von Mittelmotor aber hat der alte Hase Giotto Bizzarini, zuvor bei Ferrari, verbrochen. Aus 4000 Kubik lockte er 300 PS. Im SV, Super Veloce, sind es gar 385. Bis 1972 gebaut, wurde der letzte von 763 Stück 1975 ausgeliefert.

"Der Gallardo", so Balboni, "hat 150 PS mehr, ist aber auch vier Zentner schwerer." Im 530 PS starken Gallardo Superleggera geht es danach auf den sogenannten Corso Valentino. Er mixt holprige und gerade Pisten für 250 Sachen mit Kurven in den Bologneser Bergen. Schalten, driften, brutal beschleunigen und runterbremsen, einen 180-Grad-Turn geübt - für die drei Testpiloten ist am Limit Routine.

Im Caffè Diana zu Puianello hat die Jagd Pause. Beim Wirt Gaetano, mit Lamborghini-Traktor, fachsimpelt man auch mit Ferrari-Kollegen. Doch Balboni lebt Lamborghini. Vom Priester seines Dorfes mitgenommen, fühlt sich Balboni im April 1968 zum Mechanikerlehrling berufen. Lamborghini è la mia vita. Das gilt nicht weniger für Kollege Sanna, der um seiner Rennlizenz wie der Bambini willen korrekt im öffentlichen Verkehr mitrollt, und Fasaneto, so angefressen wie dezent im Auftreten.

Sie dreschen alles, wovon unsereins seit Kinderquartett-Tagen träumt. Sie sind Mundschenk, Vorkoster, das Geschoss dem König Kunde bekömmlich auf die Straße zu servieren - inklusive Renntraining. Auf 200 oder 500 Kilometern am Tag finden sie für den kompromisslosen Lamborghini den Kompromiss zwischen Piste und Alltag. Ein Minimum an amortizzare, also federn, muss sein, sollen die Erlebnisse haften bleiben. So wurde der Gallardo straff und kommod. Der Countach aber, erst zu hart, dann zu weich, blieb ein Tier. Mit einem überschlug sich Balboni einmal, weil ein Kleinlaster ihm bei 180 km/h die Vorfahrt genommen hatte. Doch er krabbelte heil aus dem Wrack. Einmal trifft Balboni an der Ampel Enzo Ferrari. Für ein Autogramm steigt er aus, doch das Fenster des Ferrari bleibt zu - und Balboni weiter bei Lamborghini.

Lamborghini Countach
:Die Straßenrakete

Wer den Lamborghini Countach in den frühen siebziger Jahren zum ersten Mal sah, erlebte in der Regel einen Schock. Mit positivem Effekt: Dieses Auto konnte niemand mehr vergessen.

Die drei Testfahrer sind dauernd auf Achse. Lamborghini-Roadshows, Kundenbetreuung, Ausstellungen oder das Marken-Treffen im Juni in St. Moritz, wo 120 Lambos das Jodlerfestival im Engadin erschüttern. "Ich fahre den Wagen, nicht er mich", ist oberstes Gebot. Man muss das Gefährt kennen, im Grenzbereich, wann es ausbricht, wie man es einfängt, im Trockenen, im Regen, auf Schnee. Und man muss sich kennen, die Tagesform, die Gaben, die Grenzen. Testen meint Disziplin.

Auch soziale und ökologische Fragen werden bei monumentalen 450 g/km CO2 mit den Werkern diskutiert. Das Erfahrungswissen der Tester ist ihr Kapital. Kein Buch wird ihr Können je zum nachlesbaren Wissen archivieren. Mit absoluter Geistesgegenwart bewältigen sie multiemotionale und polysensorische Kraftakte. Blitzschnell lesen sie Asphalt, Drehzahl, Verkehr, Schilder, Trottoirs und Wetter. Die Situation ist die Frage, das Automobil gibt die Antwort. Als Ausnahmekönner zivilisieren sie riskante Ausnahmezustände. Sie sind Bewährungshelfer für Bewegungsverstärker mit Hunderten PS. Bei Pfusch ist ein Tester der Ärmste, der Größte aber, stimmt er die filigrane Technik optimal ab. Zur Serienreife soll der Kurzschluss zwischen Produkt und Emotion vier Räder haben. Sie sprechen auch mit den Kids in den Schulen, denn mit Rasen löst man keine Probleme.

"Ich liebe alle Lamborghini", sagt Balboni. Ihm und seinen Kollegen liegen sie sämtlich zu Füßen: der 350 GTV, 350 GT, 400 GT, Miura, Jslero, Espada, Jarama, Silhouette, Cheetah, Urraco, Athon, Jalpa, Marco Polo, Countach, LM 002, Genesis, der Formel 1 Lola-Larousse, den Ayrton Senna einmal fuhr. Dazu kommt der Diablo - schließlich Gallardo und Murciélago. Auch der Canto von 1997 oder der geplante Super Diablo mit Zagato Karosse, für die dann der Murciélago kam, oder der Stella 1998.

"Commune per la pace", Ort des Friedens, grüßt das Schild. Und doch ballen sich in der sogenannten terra di motori zwischen Modena und Bologna Bugatti, Ducati, Ferrari, Lamborghini, Maserati, Moto Morini und De Tomaso. Es herrscht Stille an diesem Morgen, bis ein Lambo hinter den Fabrikmauern faucht. "Wer jemand sein will", heißt es, "kauft einen Ferrari, wer jemand ist, hat einen Lamborghini." Mit Frank Sinatra halten es auch die Tester: I did it my way. Ikarus im Glück erzählt das Märchen, Technik und Mensch seien im Lambo versöhnt.

© SZ vom 27.12.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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