Tesla:Der Mensch ist noch zu kindisch für autonomes Fahren

Lesezeit: 4 min

Freihändig fahren im Tesla - schon heute möglich. (Foto: Daniel Hofer)

Unzählige Videos auf Youtube zeigen: Tesla-Fahrer nutzen den Autopiloten, um damit jede Menge Unsinn anzustellen. Schuld ist auch das Unternehmen selbst.

Kommentar von Felix Reek

"Hallo Youtube-Welt. Ich mache ein weiteres Video über meinen Tesla", sagt ein unbekannter Mann in diesem Video. Die Kamera wandert nach oben und zeigt eine verlassene Landstraße. "Ich bin gerade im absoluten Niemandsland." Er ist offensichtlich im Autopilot-Modus des Tesla Model S unterwegs. Das Auto lenkt, beschleunigt und bremst selbständig. "Für alle, die sich fragen, wie meine Erfahrungen mit dem Tesla sind - es ist der absolute Wahnsinn", schiebt er begeistert hinterher. Dann fällt der Blick auf die Orange, die zwischen den Speichen des Lenkrads steckt. Ja, richtig gelesen. Eine Orange.

"Wie ihr wisst, muss man beim Autopiloten alle zwei Minuten das Lenkrad berühren", sagt der Mann. Sonst piepsen bei dem Elektroauto Warntöne, es blinkt überall. Erfolgt keine Reaktion, verringert der Tesla selbständig die Geschwindigkeit und fährt rechts ran. "Das ist echt nervig", beschwert sich der Südfrüchteliebhaber. "Ich fahre jetzt seit 25 Minuten mit dieser Orange", sagt er. "Das scheint zu reichen, um alle Warnungen zu überschreiben." Er lacht kurz auf und ergänzt: "Ich empfehle das natürlich nicht, aber für mich, in der Wüste von Utah, auf einem Fünf-Stunden-Trip, ist das wirklich wunderbar." Sagt's und überholt freihändig einen Laster.

Autopilot im Tesla Model S
:Einfach mal loslassen

Falls demnächst neben Ihnen ein Autofahrer freihändig vorbeirast, sitzt er wohl in einem Tesla. Der Autopilot des Model S funktioniert erstaunlich gut - bis ich die Autobahn verlasse.

Von Felix Reek

Spätestens nach der Ansicht dieses Videos dürfte jedem klar sein: Die Idee des autonomen Fahrens ist gut, aber der Mensch noch nicht bereit dafür. Und Tesla-Fahrer scheinen zu den dümmsten Verkehrsteilnehmer dieses Planeten zu gehören. Pardon, aber es lässt sich nur so drastisch ausdrücken.

"Heilige Scheiße, er hat angehalten!"

Wer die Begriffe "Tesla" und "Autopilot" bei Youtube eingibt, erhält über 200 000 Ergebnisse. Viele von ihnen zeigen Menschen, die das autonome Fahren dazu nutzen, freihändig im Auto zu sitzen und sich mit dem Smartphone zu filmen - obwohl dies explizit verboten ist. Darunter ein Deutscher, der eine Stunde lang dokumentiert, wie er im Raum Stuttgart den Autopiloten seines Teslas nutzt. Auch in der Innenstadt, wofür dieses System bisher nicht vorgesehen ist. Ein anderes Video trägt den wenig Raum für Fantasie lassenden Titel: " Trying to kill my friend, Tesla Autopilot saves him!" Darin fährt der Youtuber mit dem Autopiloten auf einen Fußgänger zu, ohne manuell zu bremsen. Es endet mit dem erschrockenen Ausruf des scheinbar Lebensunwilligen: "Holy shit, it stopped!" Also: "Heilige Scheiße, er hat angehalten." In einem dritten Video klebt ein Tesla-Fahrer nacheinander alle Kameras des Elektroautos ab, um herauszufinden, wie viel optischen Input der Autopilot wirklich braucht, um noch zu funktionieren.

Es gibt unzählige dieser Videos. Natürlich haben nicht alle Tesla-Fahrer nur diesen Unsinn im Kopf. Aber wer die Liste durchgeht, gewinnt den Eindruck, die Kunden von Elon Musk nutzen den Autopiloten ausschließlich für Dinge, für die er nicht konzipiert ist. Er scheint geradezu ihren Erfindungsgeist herauszufordern. Wie umgehe ich ein System, das meine Sicherheit verbessern soll, und mache daraus etwas, was viel lustiger ist - aber umso lebensgefährlicher?

Erst vor ein paar Tagen raste in den USA ein Autofahrer in seinem Tesla mit Tempo 100 in das Heck eines parkenden Feuerwehrautos. Von der Front des Elektrowagens blieb nicht viel übrig. Verletzt wurde glücklicherweise niemand. Die Ausrede des Fahrers: Er sei nicht schuld. Der Autopilot war zum Unfallzeitpunkt aktiviert.

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Ein anderer Tesla-Fahrer hatte in der vergangenen Woche nach einem Unfall dieselbe Erklärung. Die Polizei stellte kurz danach doppelt so viel Alkohol im Blut des Unfallfahrers fest wie erlaubt. Der Standard-Kommentar von Tesla zu Vorfällen wie diesem: "Der Autopilot soll das Fahren auf der Autobahn nicht nur sicherer, sondern auch stressfreier machen. Das System ist aber nur für einen vollkommen aufmerksamen Fahrer konzipiert." Der Konzern weist also alle Schuld von sich. So einfach ist das aber nicht.

Als einziger Automobilhersteller nennt Tesla sein System zum autonomen Fahren von Anfang an "Autopilot". Ein Begriff, der sowohl im Englischen als auch im Deutschen eindeutig ist, den jeder aus dem Flugverkehr kennt. Er suggeriert: Legt die Hände in den Schoß, der Computer übernimmt für euch. Die etablierten Konzerne der Branche vermeiden diesen Begriff. BMW etwa nennt die in seinen Autos verbaute Technik, die autonomes Fahren in Teilen erlauben, bewusst nur "Fahrassistenzsystem". Die Botschaft ist klar: Der Fahrer lenkt das Auto. Der Computer unterstützt.

Aktuell im Einsatz sind ausschließlich Fahrassistenzsysteme des sogenannten "Level 2" - einer Vorstufe des automatisierten Fahrens. Die Autos halten die Spur, sie beschleunigen, bremsen, überholen durch eine kurze Bewegung des Lenkrads oder des Blinkhebels. Die Verantwortung aber liegt beim Fahrer. Er muss jederzeit eingreifen können und darf die Hände nicht vom Steuer nehmen. In mehreren Jahren soll die Technik so weit fortgeschritten sein, dass "Level 5" erreicht wird: Die Insassen sind dann reine Passagiere, Lenkrad und Pedale nicht mehr nötig.

Die Kunden als Beta-Tester

Tesla bleibt trotzdem bei seinem Begriff: Alle Modelle von Tesla besitzen einen "Autopiloten". Das hat mit dem Bestreben zu tun, das Image des technischen Vorreiters weiter aufrechtzuhalten. Ein bisschen Silicon Valley in der Automobilbranche. Die Kunden sind Early Adopter, sie testen die Zukunft.

Der Konzern geht aber noch weiter: Es benutzt seine Kunden als Versuchskaninchen. Ein übliches Verfahren in der IT-Branche. Wie bei einer herkömmlichen Software, rollt Tesla immer wieder Updates mit neuen Funktionen aus und sammelt die Erfahrungswerte der Beta-Tester. Kein anderer Hersteller tut dies. Mercedes, Audi, BMW und Co.: Sie alle könnten wesentlich mehr autonome Funktionen anbieten. Sie schalten aber keine sicherheitsrelevanten Updates einfach so frei. Denn: Ein Auto ist kein iPad. Es sind zwei Tonnen Stahl, die sich mit 120 km/h und mehr fortbewegen. Und solange die Autofahrer für die Freiheit des autonomen Fahrens nicht bereit sind, sollte man sie ihnen auch nicht geben. Oder sie zumindest mit Kamerasystemen überwachen, damit das Auto bei Missbrauch seiner Systeme eingreifen kann. Aber wahrscheinlich findet sich auch dann ein einfallsreicher Youtuber, der bereits seinen nächsten Hit plant: "Wie viele Kameras kann ich abkleben, bis mich mein Tesla nicht mehr kontrolliert?"

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