Telematik-Tarife:Autofahrer lassen sich freiwillig überwachen

Telematik-Tarife: Aggressive Fahrer zahlen mehr: Autofahrer sollen durch Telematik-Tarife Geld sparen. Doch auch für die Versicherungen soll sich das lohnen.

Aggressive Fahrer zahlen mehr: Autofahrer sollen durch Telematik-Tarife Geld sparen. Doch auch für die Versicherungen soll sich das lohnen.

(Foto: dpa)

Einige Gesellschaften locken Autofahrer mit günstigen Kfz-Tarifen. Die Bedingung: eine Black Box im Auto und Zugriff auf Fahrdaten. Eine Mehrheit der Fahrer hat damit kein Problem.

Von Thomas Harloff

Lassen Sie sich überwachen, dann können Sie bei Ihrer Versicherung viel Geld sparen: Mit der Ankündigung, Kunden, die per elektronischer Kontrolle einen gesunden Lebensstil nachweisen können, günstigere Tarife und Rabatte zu gewähren, sorgt die Generali-Gruppe derzeit für Aufsehen. Im Bereich der Kranken- und Lebensversicherungen ist ein solches Modell eine absolute Neuerung. Kfz-Versicherer bieten schon länger Vergleichbares an. Zum Jahresbeginn lancierte die Direktversicherung der Sparkasse (S-Direkt) einen solchen Tarif - allerdings vorerst in begrenzter Anzahl von 1000 Policen. Ende Juli meldete S-Direkt: ausverkauft.

Die Europa-Tochter des US-Versicherungskonzerns AIG startete im März ein ähnliches Pilotprogramm. Dabei hat sie sich mit der Unternehmensberatung Towers Watson zusammengetan. Die hatte passenderweise ein halbes Jahr zuvor eine Studie, die europäischen Autofahrern ein starkes Interesse an Telematik-Tarifen bescheinigte, veröffentlicht. Demnach können sich 51 Prozent der deutschen Autofahrer vorstellen, einen solchen Tarif für ihre Autoversicherung zu wählen. Der Anteil steigt auf 62 Prozent, wenn dabei eine stabile Prämie garantiert wird.

Große Marktpotenziale

Das sind ähnliche Werte wie in den USA, wo verschiedene Versicherer längst Überwachungssysteme für Autofahrer etabliert haben. Europaweit liegen die Deutschen mit ihrer Bereitschaft im Mittelfeld, mit ähnlichen Prozentsätzen wie Frankreich und England. Deutlich größer ist das Interesse in Spanien und vor allem Italien, während die Niederländer eher skeptisch sind. Dort können sich selbst dann nur maximal 47 Prozent der Autofahrer vorstellen, ihre Daten an die Versicherung zu übermitteln, wenn ihnen das günstige Tarife sichert. Grundsätzlich könnten sich solche Geschäftsmodelle für die Versicherer international aber lohnen. Laut S-Direkt liegt das Marktpotenzial bis 2017 bei weltweit 90 Millionen Nutzern.

Technisch funktioniert die Erfassung und Übermittlung der Daten, nach denen sich der Telematik-Tarif richtet, recht unproblematisch. Die Verbindung zwischen Fahrer und Versicherung stellt eine in die Stromversorgung des Autos integrierte Black Box her. Sie zeichnet Daten über Geschwindigkeitsüberschreitungen, Bremsverhalten, Fahrzeit oder zurückgelegte Kilometer auf und sendet diese über eingebaute Mobilfunk-Chips an das spanische Telekommunikationsunternehmen Telefónica, von der die Technologie auch stammt. Der Fahrer kann die ermittelten Informationen per App abrufen und so nachvollziehen, ob sein Fahrverhalten sicher genug ist oder ob es Verbesserungspotenziale gibt. AIG arbeitet bei seinem Modell ebenfalls mit einem Telekommunikationsunternehmen (Vodafone) zusammen.

Bald könnten solche Telematik-Boxen überflüssig werden, denn die EU hat die Autohersteller dazu verpflichtet, ab 2015 automatische Notrufsysteme in ihre Neuwagen einzubauen. Das sogenannte eCall, das schon jetzt in vielen Autos eingebaut ist, übernimmt Aufgaben, die auch in die Telefónica-Technik integriert sind. Im Falle eines Unfalls übermitteln die Systeme automatisch die GPS-Daten des verunglückten Autos an eine Rettungsleitstelle - auch dann, wenn die Insassen nicht mehr dazu in der Lage sind oder Unfallzeugen fehlen. Laut S-Direkt ist mit dem Telefónica-System zudem eine Ortung von gestohlenen Fahrzeugen möglich.

Wie sicher sind die Daten?

Laut EU-Verordnung dürfen die eCall-Daten nur für den konkreten Fall der GPS-Ortung einer Unfallstelle und das Absetzen eines Notrufes herangezogen werden. Aber natürlich sind die Informationen auch für Autohersteller und Versicherungen interessant. Datenschützer schauen deshalb besonders kritisch auf diese Entwicklung. "Die Technik, um relevante Daten zu sammeln, ist dank eCall nun in den Autos vorhanden", sagt Nils Schröder, Pressesprecher des nordrhein-westfälischen Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (LDI NRW). "Wir können nicht ausschließen, dass die Information auch anderweitig ausgewertet und für Geschäftsmodelle wie Telematik-Tarife für Autoversicherungen genutzt werden."

Dass es leicht ist, weitere Funktionen in die Technologie zu integrieren, zeigen einige Autohersteller bereits heute. Etwa Škoda beim neuen Fabia: Für den Kleinwagen gibt es eine Smartphone-App, über die der Fahrer beispielsweise die Entwicklung seines Durchschnittsverbrauchs nachvollziehen oder mit der er überprüfen kann, ob sein Auto zugesperrt ist oder nicht. Was oberflächlich aussieht wie ein Service für Autofahrer, ist - zumindest theoretisch - ein fast unerschöpfliches Datenreservoir für die Hersteller. Und in einem nächsten Schritt auch für Versicherungsgesellschaften.

Trotz positiver Grundeinstellung äußerten sich in der Towers-Watson-Studie länderübergreifend 45 Prozent der etwa 7500 befragten Teilnehmer besorgt, was die Weitergabe und die Verwendung ihrer Daten durch die Versicherer angeht. S-Direkt beteuert, sorgsam mit den erhobenen Daten umzugehen. "Kritische Stimmen von Verbraucherschützern nehmen wir sehr ernst", sagt Jürgen Cramer, Vorstandsmitglied der S-Direkt. "Der Schutz der Fahrinformationen muss absolut sichergestellt sein." Die Versicherung erhalte keine konkreten Daten, sondern lediglich zusammengefasste Punktwerte sowie eine Auskunft über die gefahrenen Kilometer - und das nur einmal im Monat. Auch soll eine vollständige Trennung zwischen den Fahrdaten und den persönlichen Informationen über den Fahrer erfolgen.

"Eine bedenkliche Tendenz"

Die Technologie von S-Direkt und Telefónica wurde vom LDI NRW abgesegnet. Allerdings haben die Datenschützer dem Modell damit lediglich bescheinigt, dass es derzeit dem geltenden Recht entspricht. "Gesellschaftspolitisch finden wir die Tendenz, dass Verbraucher persönliche Daten verkaufen, um selbst ein wenig Geld zu sparen, sehr bedenklich", sagt Datenschützer Schröder. Er und seine Kollegen fürchten, dass solche Tarife für Auto-, Kranken- oder Lebensversicherungen Vorreiter für andere Lebensbereiche sein könnten.

Wer gerne bereit ist, für mehr Sicherheit und weniger Geld seine Daten preiszugeben, sollte sich jedoch über eine Ungenauigkeit in dem Versicherungsmodell von S-Direkt im Klaren sein: Alle gesammelten Informationen werden auf den Fahrzeughalter übertragen. Es gibt keine Funktion, mit der sich unterschiedliche Fahrer im Auto anmelden können. Sitzt also statt des vernünftigen Fahrzeughalters zwischendruch ein notorischer Raser hinter dem Steuer, könnte das künftig den Versicherungsbeitrag nach oben treiben. Dann kann es sogar richtig teuer werden, sich überwachen zu lassen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: