Technik:Fliegende Teppiche

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Im Spagat zwischen Fahrspaß und Langstreckenkomfort gibt es eine neue Dimension: Aktive Fahrwerke mit 48 Volt öffnen eine neue Welt des kommoden Fahrens. Erstmals ist das im nächsten Audi A8 zu haben. Auch Mercedes kommt damit.

Von Joachim Becker

Auf Stelzen durch die Kurven tanzen oder auf Wolke sieben über die Autobahn schweben: Fahrwerke spielen schon seit jeher eine tragende Rolle für Komfort, Sicherheit und Dynamik. Die Anforderungen steigen, weil immer mehr Kunden auch mit hochbeinigen SUV sportlich fahren wollen. Doch wie soll der Fahrspaß in Kurven funktionieren, wenn die Fuhre 20 Zentimeter über dem Boden schwebt? Früher haben Geländewagen die Fahrgastzelle mit Leiterrahmen, Blattfedern und schweren Verstrebungen stabilisiert. Beim Ritt über Stock und Stein gibt eine derart unnachgiebige Federung jeden Stoß an die Passagiere weiter. Heute werden moderne Allradkraxler kaum mehr im Gelände, sondern vornehmlich auf der (Schnell-)Straße bewegt. Schwankende Aufbaubewegungen wie bei einem Kamelritt sind dann nicht nur in der zweiten Reihe schwer zu ertragen. Ohne Wankstabilisierung lässt sich so ein Elefant bei höherem Tempo kaum noch zügeln.

Wenn Hersteller von sportlicher Dynamik sprechen, meinen sie keine brettharten Renn- oder Lastwagen, sondern den Spagat zwischen Fahrspaß und Langstreckenkomfort. Lange Zeit galt die Luftfederung als Inbegriff des komfortbetonten Fahrens. Seit den Fünfzigerjahren sollten prall gefüllte Bälge die Passagierkabine von Schlaglöchern und Wellen entkoppeln. Doch anfangs verbesserten die störrischen Gummis das Ansprechverhalten der Luftfederung nicht gerade. Auch das Nicken amerikanischer Straßenkreuzer beim Anfahren und Bremsen ist heute nicht mehr zeitgemäß. Ganz zu schweigen von dem schwammigen Gefühl in Kurven, das durch die Seitenneigung der Karosserie entsteht. Der Versuch, die traditionelle Stahlfederung durch Luft zu ersetzen, ist zwar nicht gescheitert. Doch die Freunde des fliegenden Teppichs suchen weiterhin nach der optimalen Fahrwerkstechnik.

Das gilt erst recht, wenn das Auto lernt, autonom zu bremsen, zu lenken und Gas zu geben. Sobald der menschliche Fahrer arbeitslos wird und die Augen von der Straße abwendet, steigen die Komfortansprüche enorm. Eine sportliche Fahrwerksabstimmung ist beim Lesen von E-Mails oder Zeitungen alles andere als angenehm. Deshalb werden Systeme zur Wankstabilisierung beinahe Pflicht für autonome Autos. Seit mehr als zehn Jahren stemmen sie sich hydraulisch der Karosserieneigung entgegen. Was bei Oberklassefahrzeugen schon ganz ordentlich funktioniert, ist jedoch schwer, teuer und nicht besonders effizient. Ein drittel Liter mehr Sprit auf hundert Kilometer kostet so ein Gewichtheber im Fahrwerk: Zu viel angesichts der künftigen CO₂-Hürden.

Mit der elektrischen Leistung für die E-Dämpfer könnte man auch das Fahrzeug antreiben

Audi hat im SUV-Spitzenmodell SQ7 nun den ersten elektromechanischen Wankstabilisator mit 48 Volt in Serie gebracht. Der Zulieferer Schaeffler wurde dafür mit dem "Deutschen Innovationspreis 2016" ausgezeichnet. Es ist schon erstaunlich, wie gut das aktive System nicht nur Wankbewegungen minimiert, sondern auch Fahrbahnunregelmäßigkeiten herausfiltern kann. Doch damit ist das intelligente Fahrwerk noch nicht am Ende seiner Möglichkeiten. Der neue Audi A8 soll im kommenden Jahr mit einer elektromechanischen Dämpfung angeboten werden, die jedes Rad individuell steuern kann. Der Aufwand dafür ist groß, denn jedes Federbein muss eine Masse von rund 500 Kilogramm in 100 Millisekunden herauf- und herunterbewegen können. Der Verstellweg von ein bis drei Zentimeter wirkt nicht besonders groß. Er genügt aber in der Regel, um das Rad über Bodenwellen oder Kanaldeckel zu heben beziehungsweise nicht in ein Schlagloch plumpsen zu lassen. Für diesen radindividuellen Stepptanz im Millisekunden-Takt arbeitet eine Hydraulik nicht schnell genug. Künftig muss die Beschleunigung nicht nur am Rad gemessen werden. Nötig ist auch eine Kamera, um die Erschütterungen im Fahrwerk voraussehen zu können. Auf die Bildverarbeitung nahezu in Echtzeit folgen die ähnlich schnellen Befehle an das aktive Fahrwerk. Zwischen zwei und vier Kilowatt elektrische Leistung braucht ein Elektromotor, um die Radposition unmittelbar verstellen zu können. Ein konventionelles Bordnetz wäre mit vier elektrischen Dämpfern überfordert.

Im neuen Audi A8 soll das 48-Volt-Bordnetz gegenüber dem SQ7 daher noch einmal ausgebaut werden. Auch Mercedes will nächstes Jahr eine entsprechende Weiterentwicklung seiner Active Body Control vorstellen. Während solche aktiven Systeme aufgrund ihrer Kosten und ihres Bauraumbedarfs bisher meist den Flaggschiffen vorbehalten blieben, könnten die E-Dämpfer auch in weiteren Segmenten Einzug halten.

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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