SZ-Serie Nahverkehr weltweit:Die Giftmaut soll Londons Verkehrsprobleme lösen

BRITAIN-CONGESTION CHARGE

Londons "Congestion Charge", die Citymaut, gibt es seit 2003. Seit Oktober wird sie durch die "Toxicity Charge" (Giftgebühr) ergänzt.

(Foto: John D. McHugh/AFP)

Die Londoner klagen seit Jahrhunderten über Staus und schlechte Luft. Neue U-Bahnen machen die Situation kaum erträglicher. Deshalb plant der Bürgermeister radikale Schritte.

Von Björn Finke, London

Das Transport Museum in Covent Garden, im Zentrum Londons, ist eins der wenigen Museen der Hauptstadt, die Eintritt kosten. Dennoch lohnt sich ein Besuch der alten Großmarkthalle, in der einst Blumen verkauft wurden. Das Museum widmet sich der Geschichte des Nahverkehrs in der Metropole. Zu sehen sind doppelstöckige Straßenbahnwaggons, von Pferden gezogen oder elektrisch angetrieben. Dazu natürlich historische Doppeldeckerbusse, schon damals in Rot. Oder ein hölzerner U-Bahn-Waggon aus dem 19. Jahrhundert. Die Tube, die Röhre, wie Londoner ihre Untergrundbahn nennen, ist das älteste U-Bahn-Netz der Welt, eröffnet 1863. Zunächst schleppten Dampfloks die Waggons durch die Tunnel.

Auch in jüngerer Zeit war die Themse-Metropole Vorreiter bei der Verkehrspolitik. So führte London bereits 2003 die Congestion Charge ein, eine Citymaut für Autos im Zentrum. In anderen stau- und smoggeplagten Städten, etwa München, wird so eine Abgabe immer wieder diskutiert. Und seit Januar lässt die Verwaltung nur noch Taxen neu zu, die 48 Kilometer am Stück ohne Abgase fahren können. Der Hersteller der berühmten Black Cabs, der meist schwarzen Londoner Droschken, brachte ein Hybridmodell auf den Markt, also ein Auto mit Elektro- und Benzinmotor: Die Black Cabs werden nun grün.

Doch die Verkehrsplaner können sich auf solchen Errungenschaften nicht ausruhen. Fast 8,8 Millionen Menschen leben in London, und 2041 sollen es geschätzt 10,5 Millionen sein. Dabei sind die Straßen schon jetzt voll, die Luft ist schlecht.

Im Dezember wird deswegen die Elizabeth Line eröffnet, benannt nach der Königin. Diese neue U-Bahn-Linie, die von Vororten im Westen quer durch die Stadt zu Vororten im Osten führt, ist das größte Infrastrukturprojekt Europas, es kostet umgerechnet 16,5 Milliarden Euro. Und Bürgermeister Sadiq Khan verhandelt bereits mit der Regierung über eine weitere Linie namens Crossrail 2,die London von Süden nach Norden durchqueren soll.

Ubers Lizenz ist in Gefahr

Die Verkehrsplaner zeigen sich auch offen für neue Geschäftsmodelle. Die Internetfirma Uber macht mit ihrem Handyprogramm Taxis Konkurrenz. Nutzer können mit wenigen Fingerstrichen auf dem Telefon eine Fahrt bestellen. Dann kommt zwar kein Taxi, sondern ein Allerweltsauto, und der Chauffeur hat keinen Taxischein, aber dafür ist die Reise billiger. In vielen Staaten, etwa in Deutschland, verboten Verwaltungen oder Gerichte diesen Service. In London dagegen hatte Uber 2012 einen einfachen Start, denn ähnliche Angebote existierten bereits. In der Hauptstadt sind inzwischen 50 000 Fahrer bei den Kaliforniern registriert.

Allerdings muss Uber darum kämpfen, dass die Lizenz verlängert wird. Die Verkehrsbehörde verweigerte das im September zunächst. Der Vorwurf: Uber prüfe den Gesundheitszustand und mögliche Vorstrafen von Fahrern nicht sorgfältig genug und melde Übergriffe von Chauffeuren gegenüber Passagieren nicht der Polizei. Der Konzern klagte gegen die Entscheidung und darf darum seine Dienste vorerst weiter anbieten. Zugleich versucht das Management, die Bedenken der Verwaltung auszuräumen. Bürgermeister Khan äußerte sich zuletzt wohlwollend zu den Bemühungen der Firma.

Staus waren schon im 17. Jahrhundert ein Problem

Verkehrsmittel und Technologie mögen sich über die Jahrhunderte geändert haben, doch zwei Probleme erweisen sich als irritierend beständig: Staus und Luftverschmutzung. Schon Samuel Pepys beklagte sich über Staus. In seinen Tagebüchern beschrieb der Politiker das Leben in London in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Damals verstopften Pferdekutschen die Straßen. Heute sind es Autos, Busse, Lieferwagen. Trotz Citymaut, trotz der gut ausgebauten Tube ist auf den Straßen einfach zu viel los. Die Durchschnittsgeschwindigkeit von Fahrzeugen im Zentrum beträgt gerade mal 13 Kilometer pro Stunde, hat die Verkehrsbehörde Transport for London (TfL) ermittelt - die Kutschen zu Pepys' Zeiten dürften kaum langsamer gewesen sein.

Auch über Luftverschmutzung lamentieren Londoner seit Jahrhunderten. Die Industrielle Revolution verschärfte das Problem. Der Londoner Nebel, berühmt gemacht in Deutschland von Edgar-Wallace-Filmen, ist schlicht das Ergebnis von Smog. Im Dezember 1952 war die Verschmutzung an einigen windstillen Tagen besonders schlimm: Dieser Great Smog of London kostete Schätzungen zufolge damals 12 000 Einwohnern das Leben. Danach verbesserte sich die Luftqualität deutlich - dank schärferer Gesetze und des Kollapses der britischen Industrie.

Mit der Giftgebühr gegen die hohe Stickoxid-Belastung

Trotzdem reißt London weiterhin regelmäßig die EU-Grenzwerte für Stickoxide in der Luft. Am Oxford Circus maßen Forscher einmal eine schlimmere Stickoxid-Belastung als in der Smog-Kapitale Peking. Schuld sind vor allem Dieselfahrzeuge. Bürgermeister Khan, selbst Asthmatiker, will Dreckschleudern deshalb von den Straßen im Zentrum vertreiben. "Londons tödliche Luft ist eine der größten Herausforderungen unserer Generation", sagt der Sozialdemokrat ein wenig pathetisch.

Im Oktober führte die Verwaltung darum die Toxicity Charge ein, die Giftgebühr. Autofahrer zahlen ohnehin 11,50 Pfund Maut pro Tag, wenn sie werktags die Innenstadt ansteuern. Das sind 13 Euro. Kameras filmen den Verkehr; eine Software erkennt die Nummernschilder und prüft, ob der Halter überwiesen hat. Das System stammt von Siemens. Genügt der Wagen nicht der Euro-4-Abgasnorm, müssen nun zusätzlich zehn Pfund Giftgebühr gezahlt werden. Das betrifft die meisten Autos, die vor dem Jahr 2006 angemeldet wurden.

Eine Taxizulassung gibt es nur noch mit E-Motor

Khan, seit fast zwei Jahren im Amt, lässt die Gebühr im April 2019 verschärfen. Dann fallen alle Dieselmodelle darunter, die vor 2015 zugelassen wurden. Die Giftabgabe steigt auf 12,50 Pfund pro Tag für Autos - und sage und schreibe 100 Pfund pro Tag für Laster und Busse, deren Motoren nicht den Standards entsprechen. Khan will zudem im Jahr 2021 den Bereich deutlich ausweiten, in dem die Strafe gezahlt werden muss. Anders als bei der Citymaut soll nicht mehr nur die Innenstadt erfasst werden, sondern ein viel größerer Teil von London, bis hin zu den Ringstraßen.

Zur besseren Luft soll auch beitragen, dass seit Januar ausschließlich Taxen mit Elektro- oder Hybridantrieb neu zugelassen werden. In fünf Jahren soll Gleiches für die Autos von Rivalen wie Uber gelten, die Passagiere statt mit Taxen mit gewöhnlichen Fahrzeugen herumkutschieren. Die Bedeutung solcher Anbieter nimmt zu: Die Zahl der Taxifahrer stagniert seit Jahren bei 21 000, doch die Zahl der Chauffeure, die ohne Taxischein bei den billigeren Konkurrenten arbeiten, ist seit dem Uber-Start 2012 rasant gestiegen - von 67 000 auf 115 000. Der Großteil des Zuwachses geht auf das Konto der Kalifornier.

Mehr Busspuren und Fahrradwege

Die vielen billigen Taxi-Rivalen auf den Straßen sind auch ein Grund dafür, dass die Metropole den Dauerstau im Zentrum nicht in den Griff bekommt. Ein weiteres Problem ist der Boom des Onlinehandels. Viele Londoner kaufen im Internet ein und lassen die Bestellung ins Büro liefern, weil sie tagsüber nicht zuhause sind. Darum quälen sich zahlreiche Lieferwagen durch die Innenstadt.

Khan setzt darauf, dass mehr Londoner aufs eigene Auto - oder den billigen Uber-Chauffeur - verzichten. Der Bürgermeister verspricht neben neuen U-Bahnlinien mehr Busspuren und Fahrradwege. Schon sein Vorgänger Boris Johnson, jetzt irrlichternder Außenminister, investierte kräftig in die Fahrradinfrastruktur. Unter dem Konservativen wurde auch das beliebte Mietfahrrad-System eingeführt. Londoner können sich an einer Station aufs Rad schwingen, ein paar Kilometer fahren und es woanders zurückgeben. Bezahlt wird am Automaten per Bankkarte. Noch zur Jahrtausendwende waren nur wenige Radler im Zentrum unterwegs, und wer dort auf dem Sattel strampelte, galt als exzentrisch bis lebensmüde. Inzwischen gehören Radfahrer zum Straßenbild.

Die Oxford Street soll zur Fußgängerzone werden

Bei einem Thema hinkt London aber vielen Metropolen hinterher: Es gibt kaum Fußgängerzonen. Doch Khan plant Ehrgeiziges. Bereits Ende des Jahres soll ein Teil der Oxford Street, Europas belebtester Einkaufsstraße, für den Verkehr gesperrt werden. Später sollen andere Abschnitte folgen. Bislang schieben sich dort Passantenmassen auf engen Bürgersteigen aneinander vorbei, während auf der Straße Doppelstock-Busse und Taxen im Dauerstau Abgase in die Luft blasen. Als der Bürgermeister die Pläne vorstellte, sprach er von einem "wahnsinnig aufregenden Moment für die Hauptstadt".

Bis London seine Verkehrsprobleme löst, wird es noch viele aufregende Momente geben müssen. Oder die Menschen werden sich auch in Zukunft über Staus und schmutzige Luft beklagen. So wie sie es seit Jahrhunderten tun.

Die SZ berichtet in dieser Serie über den Nahverkehr in den Metropolen der Welt. Alle Folgen finden sich unter www.sueddeutsche.de/nahverkehr.

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