Studie eines SUV-Coupés:China gibt die Richtung vor

Mercedes-Benz's new Sport Utility Coupe concept car G-Code is seen at its unveiling event during the opening ceremony of Daimler AG's Mercedes-Benz R&D centre in Beijing

Die Mercedes-Studie G-Code feierte am 3. November in Peking ihre Weltpremiere.

(Foto: REUTERS)

Autotrends wachsen längst nicht mehr in Detroit, Stuttgart oder Tokio. Die Industrie orientiert sich an China. Auch Mercedes, das seine Studie G-Code auf die Bedürfnisse der dortigen Kunden zuschneidet - mit eigenwilligen Begleiterscheinungen.

Von Jürgen Zöllter

Ein Geländewagen für die innerstädtische Mobilität? Noch vor wenigen Jahren wäre ein Designer mit dieser Idee aus seinem Unternehmen geflogen, entlassen von einer Automobilmarke, die stolz ist auf historisch gewachsene, authentische Werte. Wenn Mercedes-Chefdesigner Gorden Wagener heute das Konzeptfahrzeug G-Code als City-SUV vorstellt, dafür gelobt und weiterhin standesgemäß bezahlt wird, muss etwas Wichtiges geschehen sein.

Die gerade präsentierte Studie, das sogenannte Sports Utility Coupé (SUC), bietet automobilen Luxus in einem 4,10 Meter kurzen und 1,50 Meter flachen Viertürer mit erhöhter Bodenfreiheit auf der Verkehrsfläche des kompakten Mercedes GLA. Es folgt der Formensprache viertüriger Mercedes-Coupés, setzt mit umlaufenden Glasflächen im Stil eines Motorradhelm-Visiers aber neue Akzente.

Allrad-Coupé mit richtungsweisender Formensprache

Dass die laut Wagener "von sinnlicher Klarheit" geprägte Studie als Mischform eines kombihaften Allrad-Coupés ausgerechnet heute zur richtungsweisenden Formensprache für Mercedes-Kunden in städtischen Agglomerationen erklärt wird, darf nicht überraschen. Automobile Trends wachsen zwar schon länger in den Großräumen des kalifornischen Südens, der mediterranen Metropolen und bis vor Kurzem im japanischen Tokio. Doch in Asien haben veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen die Gravitationszentren der Kreativität verschoben. Nicht länger mehr gibt Japan den Ton an, sondern zunehmend das wirtschaftlich dramatisch wachsende China. Und dem tragen die großen Automobilmarken Rechnung.

Mercedes-Benz versucht es mit diesem G-Code, der in einjähriger Aufbauarbeit den aktuellen automobilen Trend in chinesischen Megacitys visualisiert. Sportliche Cross-Over-Fahrzeuge werden dort zunehmend nachgefragt, deren erhöhte Bodenfreiheit den erodierenden Straßenbelägen Chinas trotzt, dem Wunsch vieler Chinesen nach erhabener Sitzposition genügt und der regionalen Eigenheit, mörderische Bordsteinkanten zu überwinden, um auf Gehwegen zu parken.

Keine B-Säule und gegenläufig öffnende Türen

Auch sonst ist hohe Funktionalität gefragt. So lautete die Zielsetzung für den Mercedes-Designer und Asien-Kenner Olivier Boulay, ein Coupé mit vier Türen für den bequemen Einstieg auch in den Fond zu entwerfen. Weil Autos in China auch immer als Familienkutschen genutzt werden. Der vergleichsweise kurze G-Code löst diesen Zielkonflikt mit gegenläufig öffnenden Türen und verzichtet auf eine B-Säule.

Hohe Motorleistungen stehen nicht im Vordergrund der Kaufentscheidung chinesischer Kunden, eher prestigeträchtige Antriebsstränge, die sich am liebsten über hohe Nummern aus Glück bringenden Zahlen in der Typenbezeichnung mitteilen lassen. Für Letzteres muss sich Mercedes noch etwas einfallen lassen! Denn als Antrieb ist für den G-Code eine Plug-in-Hybrideinheit vorgesehen, die auch rein elektrisches Fahren in Zonen eingeschränkter Befahrbarkeit erlaubt.

Allradantrieb mit "digitaler Kardanwelle"

Hubertus Troska, chairman and chief executive officer of Daimler Greater China, introduces Mercedes-Benz's new Sport Utility Coupe concept car G-Code at its unveiling event during the opening ceremony of the company's Mercedes-Benz R&D centre in Beijing

Hubertus Troska, im Daimler-Vorstand verantwortlich für die China-Aktivitäten, will den dortigen Ansprüchen noch mehr Gewicht bei der Autoentwicklung verleihen.

(Foto: REUTERS)

Dort könnte der City-SUV allein mit elektrisch angetriebener Hinterachse unterwegs sein. Während außerhalb beschränkter Areale Traktion nur über die Vorderräder bereitgestellt wird. In diesem Fall liefert der aufgeladene Verbrennungsmotor Antriebskraft. Vorzugsweise von Wasserstoff gespeist. Für den innerstädtisch seltenen Fall widriger Straßenverhältnisse ist das Zusammenwirken der vorderen mit der elektrisch beaufschlagten Hinterachse sichergestellt. Dafür sei eine "digitale Kardanwelle" verantwortlich, sagt Mercedes. Dahinter verbirgt sich eine elektronische Steuereinheit, die darüber hinaus auch die Ladezyklen der Lithium-Ionen-Batterien überwacht. Eine mechanische Verbindung zwischen den Achsen wird damit überflüssig.

Den Menschen in chinesischen Millionenmetropolen ist die kommunikative Vernetzung rund um die Uhr mindestens so wichtig wie die morgendliche Nudelsuppe. Entsprechend werden alle Smartphone-Inhalte automatisch ins Media-System eingespeist, sobald das Telefon in der Docking Station der Mittelkonsole steckt. Der aufmerksame Beobachter gewinnt den Eindruck, dass junge Chinesen keine Gelegenheit versäumen, eine Kurznachricht über die sozialen Netzwerke WeChat, QQ und Weibo abzusetzen.

Der "Kühlergrill" sorgt für Unterhaltung

Understatement zu pflegen, ist nicht das Thema chinesischer Autokunden. Vielmehr zeigen sie gern, was sie sich leisten. Deshalb inszeniert der G-Code seine Wachphasen auch gegenüber Passanten offensiv, teilweise prachtvoll bizarr. Zum Start fahren die LED-Scheinwerfer wie Objektive von Kompaktkameras aus. Unterwegs eskortieren sie dann eine digitale Inszenierung im Kühlergrill. Genauer gesagt dort, wo bisher der Kühlergrill war. Er musste einem vollflächigen Display um den zentralen Mercedes-Stern Platz machen. In ihm visualisieren farbig pulsierende Lichtpunkte den aktuellen Antriebsmodus des Fahrzeugs: blaues Licht im Stand, ein blaues Lichtspiel ahmt einen Tunnelblick nach und steht für rein elektrischen Antrieb. Wer im Hybrid-Eco-Modus fährt, unterhält die Umwelt mit violettem Lichtspiel und im Hybrid-Sport-Betrieb laufen die Lichtpunkte in Signal-Rot übers Display.

Die Metaphern chinesischer Verspieltheit wachsen natürlich nicht im beschaulichen Sindelfingen. Kreative Impulse können nur eng an der chinesischen Wirklichkeit entstehen. Deshalb schickt Mercedes zunehmend Designer nach China. Gerade wurde in Peking ein komplettes Forschungs- und Entwicklungszentrum für rund 500 Mitarbeiter aufgebaut. Der für die China-Aktivitäten verantwortliche Daimler-Vorstand Hubertus Troska stellt fest: "Unser neues Zentrum wird uns in die Lage versetzen, unser Potenzial in China voll auszuschöpfen und der Stimme unserer chinesischen Kundschaft bei zukünftigen Produktentwicklungen ein noch stärkeres Gewicht zu verleihen."

Besondere Herausforderungen

Nach Sunnyvale (USA) und Bangalore (Indien) ergänzt das neue Kompetenzzentrum in Peking das von Sindelfingen und Untertürkheim aus gesteuerte Forschungs- und Entwicklungsnetzwerk. Neben seinem Herzstück, dem aus Japan abgezogenen Advanced Design Studio, passt das neue Entwicklungszentrum Triebwerke und Fahrzeuge den chinesischen Besonderheiten an und bahnt die Zusammenarbeit mit lokalen Lieferanten an. Ein anderes Team beschäftigt sich mit zulassungsrechtlichen Angelegenheiten.

Die Komplexität der chinesischen Schriftsprache stellt die Verantwortlichen für die Entwicklung von Telematik- und Infotainmentsystemen vor besondere Herausforderungen. Und für künftige Mobilitätslösungen muss die Abteilung für Trends und Innovationen weit in die Zukunft blicken. Zusammen mit dem chinesischen Google-Pendant Baidu entwickelt sie beispielsweise "Streetview-Features", um diese als erste Automobilmarke in China in Fahrzeuge zu bringen. China wird, da ist sich Designchef Gorden Wagener jedenfalls sicher, "die Funktionalität unserer Autos vorantreiben".

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