Streit um Kältemittel:Daimlers rettender Rüssel

Kältemittel, Klimaanlage, Crashtest, VDA, ADAC, Brandgefahr

Gefährliches Kältemittel: Bei Tests gingen Fahrzeuge in Flammen auf.

(Foto: obs/Deutsche Umwelthilfe)
  • Seit drei Jahren streiten Daimler und die EU-Kommission um ein Kältemittel für Klimaanlagen.
  • Daimler will das Mittel R1234yf nicht einsetzen, weil es leicht entzündlich ist. Die Chemikalie wird von der EU aus Umweltgründen aber vorgeschrieben.
  • Nun hat Daimler einen Feuerlöscher entwickelt, der die Gefahren durch R1234yf mindern soll.
  • Die Zukunft gehört jedoch einer anderen, klimafreundlichen Technik - die allerdings deutlich teurer ist.

Von Max Hägler, Stuttgart

Die Techniker bei Daimler bestreiten es gar nicht: Ja, das sei schon ein wenig absurd, diese Art Feuerlöscher in den Motor einzubauen. Genauer gesagt bauen sie künftig einen Tank mit einer Chemikalie ein, die verhindern soll, dass bei einem Unfall eine andere Chemikalie zu einer tödlichen Gefahr wird, und zwar eine Chemikalie, die sie eigentlich gar nicht ins Auto kippen wollen - aber müssen. "Not macht eben erfinderisch", sagt Michael Fehring, oberster Sicherheitschef bei Daimler-Autos. Argon gegen Fluorkohlenwasserstoff. Damit der Mensch im Zweifel überlebt.

Der schwäbische Autokonzern ist vor drei Jahren in Not geraten, als seine Ingenieure bei einem Crash-Test unverhofft ein neues Klimaanlagen-Kältemittel in Brand setzten. Wobei es sich nicht nur entzündete, sondern auch noch Flusssäure freisetzte, eine der ätzendsten Substanzen überhaupt, sowie ein Abart des Kampfgases Phosgen. Ein extremes Risiko für Rettungskräfte und die im Fahrzeug eingeklemmten Passagiere - logisch.

R1234yf gegen R134a: was ist gefährlicher, was ist umweltschädlicher?

R1234yf heißt das Mittel, das sich auch zu Giftgas wandelt, wenn es sich entzündet. Ein Fluorkohlenwasserstoff, den die Chemiekonzerne Dupont und Honeywell entwickelt haben als vergleichsweise klimaunschädliches Kältemittel. Das bisherige Mittel, das derzeit im Kühlkreislauf von Millionen von Autos und Klimaanlagen zirkuliert, R134a, schädigt die Ozonschicht und muss deshalb auf Anordnung der EU von 2017 an vom Markt verschwinden. Die einzige zugelassene Alternative derzeit ist eben jenes R1234yf, das damit absehbar auch ein Topseller sein wird für die Chemiekonzerne. Aber eben auch sehr gefährlich werden kann.

Die Chemiehersteller kontern solche Vorwürfe stets mit dem Verweis, dass das Mittel eingehend geprüft und anschließend genehmigt worden sei. Und dass die Tests bei Daimler nicht standardisiert seien. Womit sie recht haben. Aber andererseits kennt man solche Argumentationen neuerdings vom (kurzfristig vielleicht ungefährlicheren) VW-Abgasskandal und ahnt mittlerweile, dass Tests auch dann ganz aufschlussreich sein können, wenn sie einfach nur praxisnah sind.

Daimler wollte jedenfalls R1234yf nicht mehr einsetzen nach seinen Crashtests. Stattdessen nutzten sie zum Ärger der EU das alte, klimaschädliche Mittel weiter - ein Vertragsverletzungsverfahren läuft deswegen gegen die Bundesrepublik. Dieser Rechtsbruch war natürlich keine Lösung, das war auch den Entwicklern bei Daimler bewusst. Also haben sie selbst experimentiert mit verschiedenen Chemikalien, und diese teils zum alten Kältemittel gemischt. "Blends" sagen sie dazu, so wie beim Whiskey. Aber sie haben noch keine EU-zertifizierte und auf der ganzen Welt verfügbare Alternative gefunden. "Am Ende", sagt Stefan Geyer, der Leiter Interieur-Entwicklung bei Daimler, "blieb bislang die nüchterne Erkenntnis: Es gibt derzeit nur dieses eine Mittel."

Das ungeliebte, weil gefährliche R1234yf.

Und so setzen sie es jetzt eben doch ein. Aber nicht alleine, sondern in Kombination mit einem Feuerlöscher. Ein kleiner Tank ist das, randvoll mit Argon-Gas, dessen Rüssel zur heißesten Stelle am Motor führt. Kommt es zum Crash, bei dem das Klimaanlagenmittel austreten könnte, dann wird, aktiviert von den Airbag-Sensoren, Argon-Gas versprüht, das den Brand verhindert. Für jedes Auto, jede Motorkonfiguration haben sie einen Argon-Tank samt Rüssel entwickelt und getestet, wo und wie sie hinzielen müssen, damit sich R1234yf im Ernstfall nicht entzündet am heißen Motor. Viele Millionen Euro hat das gekostet und unzählige Autos wurden dazu in Crashtests abgefackelt. "Uns bleibt nichts anderes", sagen sie bei Daimler, "Sicherheit hat höchste Priorität."

Daimler blieb ziemlich allein

Die große, unbeantwortete Frage ist natürlich: Wieso hat immer nur Daimler Probleme mit dem Gebräu? Aus der Branche ist dazu wenig zu hören; es heißt nur, die Klimaanlage von Mercedes-Autos sei eben gefährlich nah an heißen Motorteilen. Im Kampf gegen die EU-Kommission und gegen die Chemiehersteller blieb Daimler jedenfalls bislang ziemlich allein.

Dabei müssten alle im Bilde sein. Eine Woche lang haben die schwäbischen Ingenieure im September 2012 am Entwicklungszentrum in Sindelfingen heißgefahrene Autos in Flammen gesetzt, immer wieder, "reproduzierbar", wie das in der Wissenschaft heißt. Alle seien eingeladen gewesen, alle hätten zugeschaut, auch die Konkurrenz, erinnern sie sich bei Daimler. Aber kein anderer Autohersteller zog Konsequenzen. Wird wirklich nur beim Daimler der Turbolader heiß? Oder sind die Sicherheitsstandards bei anderen Herstellern niedriger? Oder setzen die auf die neue Technik, die nicht brennbar ist und auch nicht umweltschädlich: CO₂.

CO₂ ist die Zukunft

Auch Kohlendioxid eignet sich nämlich als Kältemittel, muss dazu aber unter hohem Druck durch den Kühlkreislauf fließen, mit 100 Bar, dem Druck also, der in 1000 Meter Tiefe im Meer herrscht. Das ist die Technologie, auf die Daimler eigentlich setzt. Der Feuerlöscher mit dem Rüssel soll nur die Zeit überbrücken. Gemeinsam mit anderen großen Autoherstellern und Zulieferern aus Europa und Asien habe man Kohlendioxidanlagen in den vergangenen drei Jahren entwickelt, koordiniert vom Autoverband VDA und als offener Standard. "Das ist unsere Zukunft", sagen sie bei Daimler.

Der Weg dahin ist jedoch kompliziert. Daimler wird es deshalb nicht schaffen, bis zum Stichtag 1. Januar 2017 alle Fahrzeuge darauf umzurüsten. Die Techniker sind noch nicht einmal ganz fertig mit den Erprobungen: Um die Kinderkrankheiten zu erkennen, fahren derzeit 90 Mercedes-Autos testweise mit Kohlendioxid-Klimaanlagen herum, etwa 20 Motorprüfstände laufen auf Hochtouren. Von 2016 an wird das Ganze dann serienmäßig verbaut: erst einmal aber nur in E- und S-Klasse-Autos.

Offen ist, ob die Partner, die mitentwickelt haben, auch mitziehen. Es wäre wichtig, um die Kosten zu senken, denn im Moment ist die CO₂-Lösung noch deutlich teurer - in der Herstellung und bei der Wartung. Völlig ungefährlich ist übrigens auch CO₂ nicht: Ein Leck könnte das Auto mit dem Gas fluten und den Fahrer ohnmächtig werden lassen. Aber es brennt eben nicht.

Und ist unschädlich für das Klima: Kohlendioxid ist Bestandteil der Luft, die wir atmen. Der EU-Parlamentarier Michael Theurer (FDP), der wie auch Greenpeace immer wieder auf die Gefahren von R1234yf hingewiesen hat, begrüßt dennoch den geplanten Einsatz von CO₂-Anlagen; die Industrie habe die Entwicklung lange "verschlafen". Aber er weist auch darauf hin, dass zugleich immer öfter R1234yf eingesetzt werde. Tausende Autos seien damit bereits unterwegs. Doch anstatt die Brennbarkeit und Giftigkeit endlich ordentlich zu testen, schalte die EU-Kommission auf stur.

Liebe Leser, in einer früheren Version dieses Textes haben wir den Anteil von Kohlendioxid in der Atemluft missverständlich dargestellt: CO₂ ist wesentlich enthalten, aber natürlich kein Hauptbestandteil.

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