Straßenbau:Weitblick auf drei Spuren

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Es gibt neue Baurichtlinien für Landstraßen

(Foto: Dudarev Mikhail - Fotolia)

Der Bund hat neue Richtlinien für den Bau von Landstraßen herausgegeben. Experten loben die neuen Vorschriften, denn bislang sind Landstraßen Todesfallen. Bis die neuen Maßnahmen Wirkung zeigen, wird aber noch viel Zeit vergehen.

Von Steve Przybilla

Die Revolution passt in einen dicken Aktenordner. "Damit", sagt Ralf Roos, "läuten wir nichts Geringeres als einen Paradigmenwechsel ein." Gemeint sind die 134 Seiten langen Richtlinien für die Anlage von Landstraßen (RAL), die Mitte des Jahres in Kraft getreten sind.

Als Leiter des Instituts für Straßen- und Eisenbahnwesen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat Roos federführend daran mitgearbeitet - "mehr als zehn Jahre", wie der Wissenschaftler mehrmals betont. Das Ergebnis soll Landstraßen in Deutschland nicht nur vereinheitlichen, sondern auf lange Sicht auch sicherer machen und damit Hunderte Verkehrstote verhindern.

Todesfalle Landstraße

Obwohl die Zahl der Verkehrsopfer in Deutschland seit Jahren sinkt, ist das Fahren auf Landstraßen noch immer besonders riskant. Hier passieren 60 Prozent aller tödlichen Unfälle. "Vor allem das Überholen ist oft brandgefährlich", sagt Roos. "Je länger man nicht überholen kann, desto größer wird die Bereitschaft, unsichere Manöver zu wagen."

Auf zweispurigen Landstraßen gehört das zum Alltag. Die neuen Richtlinien sollen in diesem Punkt Abhilfe schaffen. Wird eine Landstraße gebaut, auf der viel Verkehr zu erwarten ist, muss sie ab sofort über einen "Zwei-plus-eins-Querschnitt" verfügen. Soll heißen: Es gibt insgesamt drei Spuren, die sich in einem bestimmten Intervall abwechseln. Spätestens alle zwei Kilometer verfügt eine Fahrtrichtung also über zwei Spuren, auf denen sicher überholt werden kann. Ganz neu ist diese Idee nicht. "Solche Straßentypen werden vereinzelt schon seit 20 Jahren gebaut", sagt Roos. "Der große Wurf liegt darin, dass wir mit dem neuen Regelwerk endlich eine Vereinheitlichung geschaffen haben." Je nachdem, wie viel Verkehr auf einer Bundes-, Land- oder Kreisstraße zu erwarten ist, fällt sie in vier verschiedene Entwurfsklassen. Die RAL gelten für alle Neubauten oder Sanierungen auf dem 220 000 Kilometer langen Landstraßennetz, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. Unter Federführung der Forschungsgemeinschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) haben Dutzende Behörden, Verbände und Verkehrspolitiker an dem Mammut-Projekt mitgewirkt - kein Wunder, dass dafür zehn Jahre nötig waren.

Besonders viel Wert wurde auf den Wiedererkennungswert der einzelnen Straßentypen gelegt. Roos erläutert das Prinzip am Beispiel der Autobahn: "Da gibt es zwei Fahrtrichtungen, einen Standstreifen und blaue Schilder. Das erkennt jeder sofort." Auf Landstraßen finde dagegen ein gewisser Wildwuchs statt. "Die Autofahrer treffen auf Kreuzungen mit und ohne Ampeln, Kreisverkehre, manchmal auch Auffahrten wie bei Autobahnen."

Auch damit ist in Zukunft Schluss. So sehen die RAL in der Entwurfsklasse eins (Fernstraßen mit hoher Bedeutung und viel Verkehr) nur noch das Ein- oder Ausfädeln bei Knotenpunkten vor. Für die darunter liegenden Klassen sind Ampeln, Kreisverkehre oder Kreuzungen mit Vorfahrt-Regelung vorgesehen, ebenfalls abhängig vom Verkehr.

Überraschung bei Entwurfsklasse vier

Während diese Regeln niemanden verwundern werden, halten schwach belastete Nahverkehrsstraßen (Entwurfsklasse vier) eine Überraschung parat. Auf der sechs Meter breiten Fahrbahn wird die Markierung drastisch reduziert: kein Mittelstreifen mehr, am Rande nur noch gestrichelte Begrenzungen. Dies soll verhindern, dass Autos zu weit am Rand fahren und dadurch von der Fahrbahn abkommen. Und der Gegenverkehr? "Wir reden hier über verkehrlich unbedeutende Verbindungen zwischen einzelnen Dörfern", sagt Roos. "Wenn da etwas überholt werden muss, dann höchstens mal ein Traktor." In den Niederlanden habe man bereits sehr gute Erfahrungen mit dieser reduzierten Markierungsform gemacht.

Hört man sich in der Gemeinde der - sonst nicht selten zerstrittenen - Verkehrsexperten um, erhält man fast überall die gleichen positiven Antworten. "Da werden Sie niemanden finden, der etwas zu meckern hat", sagt etwa Detlev Lipphard, Referent beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). "Sehr vorbildlich" sei die Einbindung aller wichtigen Akteure gewesen. Sogar die Unfallforschung der Versicherer (UDV) ist voll des Lobes. Deren Chef, Siegfried Brockmann, versieht Aktionen wie den zurückliegenden Blitzer-Marathon auch schon mal mit Kommentaren wie: "Außer Spesen nichts gewesen." Bei den RAL lässt er jedoch Gnade walten: Ein "Spagat zwischen der Flüssigkeit des Verkehrs und der Sicherheit" sei erreicht worden. "Was herausgekommen ist, deckt sich mit den Forderungen, die wir seit Langem erheben." Die wichtigste: eine Senkung der Überholunfälle. "Mit dem Zwei-plus-eins-Querschnitt kann das nur besser werden", hofft der Unfallforscher.

Wie hoch sind die Zusatzkosten?

Trotz aller Euphorie könnte es im Zusammenhang mit der konkreten Umsetzung des Regelwerks holprig werden. Wie so oft spielt Geld dabei die wichtigste Rolle. So beteuert zwar das nordrhein-westfälische Verkehrsministerium, die RAL ordnungsgemäß anzuwenden. Wie lange es aber dauert, bis alle Landstraßen umgerüstet sind, will dort niemand prognostizieren. "Eine direkte Umrüstung bestehender Landstraßen ist nicht vorgesehen", erläutert Pressesprecherin Angela Gareis. Die neuen Vorgaben kämen erst im Zuge von Aus- oder Umbauten zur Anwendung.

Wie hoch die Zusatzkosten sind, die etwa durch den Anbau einer dritten Fahrspur bei Fernstraßen entstehen, könne allein der Bund sagen. Doch auch dort gibt es nur wenig konkrete Informationen. "Im Ergebnis ist festzustellen, dass die RAL im Vergleich zu den bisher geltenden Regelwerken (. . .) keine Mehrkosten verursachen", erklärt eine Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums auf Nachfrage. Um dies sicherzustellen, habe die Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) eine umfassende Untersuchung vorgenommen.

Das ist wohl auch der Grund, warum die neuen Richtlinien zum Landstraßenbau zahlreiche Ausnahmen zulassen. Zum Beispiel für die Fernstraßen: "Unter bestimmten Umständen muss dort keine dritte Spur gebaut werden, obwohl die Voraussetzungen dafür eigentlich erfüllt wären", sagt Verkehrsforscher Roos. Vor allem die Flächenländer hätten Druck ausgeübt, um in den nächsten Jahren durch den Neubau keine Kostenexplosion zu erleben. "Zu viele Ausnahmen sind aber nicht gut", resümiert Roos. Ohnehin werde es Jahre dauern, bis die Richtlinien auch nur halbwegs wahrgenommen werden. "Das sind erst einmal Ideale, die wie ein Mosaikstein im Kampf gegen Unfalltote wirken", formuliert es Detlev Lipphard. Wie schnell die Länder die Richtlinien umsetzen, könne er schwer sagen. "Angewendet werden sie auf jeden Fall. Die Frage ist nur, wie schnell. Da herrschen völlig unterschiedliche Mentalitäten."

Fest steht, dass die RAL den größtmöglichen Kompromiss darstellen. Um die von Verbänden wie dem DVR geforderte "Vision Zero", also die Vision von null Verkehrstoten, ernsthaft anzugehen, hätte man rigide Tempolimits für die einzelnen Straßenklassen festlegen müssen. In der Endfassung bleibt es jedoch bei der "planerisch angemessenen Geschwindigkeit". Sie liegt auf kleinen Nahbereichsstraßen ohne Mittelstreifen bei 70 km/h. Vorschrift ist das aber nicht - ein Sieg der Tempolimit-Gegner. Selbst bei der Bundesanstalt für Straßenwesen hält man diese Regelung nicht für die beste: "Natürlich wäre eine Beschränkung sinnvoll gewesen", sagt der zuständige Mitarbeiter. "Die genaue Festlegung obliegt aber den Behörden vor Ort. Denen können wir nichts vorschreiben."

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