Stickoxid-Emissionen von Neuwagen:Dieselautos - die alten und neuen Umweltsünder

Auspuff und Abgase im Winter

Autos werden angeblich immer sauberer, aber die Schadstoffbelastung in den Städten bleibt hoch.

(Foto: FFB)
  • Moderne Autos werden angeblich immer sauberer, aber die Schadstoffgrenzwerte werden dennoch ständig überschritten.
  • Ein Problem ist eine hohe Anzahl an Dieselfahrzeugen, die zwar die Euro-6-Abgasnorm erfüllen, aber trotzdem zu viel Stickoxid NOx ausstoßen.
  • Technologisch ist es längst möglich, die Abgase von Dieselmotoren effektiv zu reinigen. Doch die Systeme sind für Klein- und Kompaktwagen zu teuer.

Von Joachim Becker und Christof Vieweg

Dicke Luft in vielen Städten: Obwohl Autos auf dem Papier immer sauberer werden, bleibt die Luftbelastung in vielen Städten kritisch. Grund sind die unsichtbaren, aber schädlichen Stickoxid(NOx)-Emissionen vor allem der Dieselfahrzeuge.

"Stickstoffdioxid, das hauptsächlich aus Kfz-Abgasen stammt, entwickelt sich zum Schadstoff Nummer eins", schlägt das Umweltbundesamt (UBA) Alarm, "erneut lagen 2014 mehr als die Hälfte der 500 Messstationen an stark befahrenen Straßen über dem zulässigen Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter." Wie die Erfahrung vergangener Jahre zeigt, wird sich dieser Prozentsatz noch deutlich erhöhen, wenn im Mai 2015 weitere Daten von 124 Messstationen in die Statistik einfließen, die aus technischen Gründen noch nicht ausgewertet werden konnten.

Obwohl die Feinstaub-Werte sinken, sieht UBA-Präsidentin Maria Krautzberger daher keinen Grund zur Entwarnung: "Um die Grenzwertüberschreitungen beim Stickstoffdioxid in den Griff zu bekommen, ist es wichtig, dass die neue Abgasnorm Euro 6 auch im realen Verkehr zu weniger Emissionen führt. Bisher können das viele Fahrzeughersteller nur im Labor garantieren."

Diesel so sauber wie Benziner - in der Theorie

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) schiebt älteren Fahrzeugen den schwarzen Peter zu und rührt die Werbetrommel für den Neuwagenkauf: "Moderne Euro-6-Fahrzeuge sind die technische Lösung für die verbleibende Luftqualitätsherausforderung. Nun kommt es vor allem auf eine schnelle Marktdurchdringung dieser sauberen Fahrzeuge an", so der VDA im August des vergangenen Jahres.

Seit dem 1. September 2014 erhalten neue Modelle europaweit nur noch die Typgenehmigung, wenn sie lediglich 80 Milligramm Stickoxide pro Kilometer ausstoßen - halb so viel wie nach der bisherigen Euro-5-Regelung. Ab dem 1. September 2015 ist die Euro-6-Norm generell für alle neu zugelassenen Pkw verbindlich. Damit werden alle Diesel theoretisch so sauber wie Benziner. Daimler spricht angesichts der neuen Grenzwerte vom "saubersten Diesel" der Welt und BMW rühmt sich mit dem Diesel "ADAC Eco-Tests" gewonnen zu haben.

Nicht besser als alte Selbstzündermodelle

Was der VDA und die Hersteller nicht sagen: Diverse Tests entlarven viele der angeblich umweltfreundlichen, weil verbrauchsarmen und gut gefilterten Dieselneuwagen als Dreckschleudern, die in der Praxis nicht besser als alte Selbstzündermodelle sind. Bei ihrer Untersuchung im Auftrag des niederländischen Umweltministeriums fanden Experten der Delfter Prüforganisation TNO heraus, dass neue Euro-6-Dieselmodelle im normalen Straßenverkehr nicht 80, sondern zwischen 500 und 800 Milligramm Stickoxide pro Kilometer emittieren. Der zulässige Grenzwert wird also in Wahrheit um das Sieben- bis Zehnfache überschritten.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie des International Council on Clean Transportation (ICCT). Im Durchschnitt lagen die realen NOx-Emissionen von 15 modernen Diesel-Pkw in etwa siebenmal so hoch wie das gesetzliche Euro-6-Limit. Gesammelt wurden die Daten auf 6400 Kilometer Strecke mit einem mobilen Testgerät, wie es bereits zur Überprüfung der Euro-VI-Norm für Lkw Anwendung findet. Dabei werden neben den Emissionen auch die Geschwindigkeit und die Beschleunigung des Fahrzeugs, die Umgebungstemperatur sowie Informationen zum Straßenverlauf aufgezeichnet.

"Die hohe Auflösung der Messdaten erlaubt eine genaue Untersuchung der Fahrsituationen, unter welchen erhöhte NOx-Emissionen beobachtet wurden", betont der ICCT, "der überwiegende Teil der Überschreitungen konnte weder extremen noch untypischen Fahrsituationen zugeordnet werden." Den Einsatz dieser portablen Messtechnik will auch die Europäische Kommission zum Prüfstandard machen. Noch wird in Brüssel um die Details gerungen. Die für Januar 2015 geplante Entscheidung der EU-Parlamentarier konnte die Europäische Automobilhersteller-Vereinigung ACEA gerade noch verhindern.

Neuer Prüfstandard Gefahr für EU-Klimaziele?

ACEA-Generalsekretär Erik Jonnaert sieht nicht nur für den Diesel, sondern auch für die Klimaziele der EU schwarz, sollte die geplante Gesetzesvorlage beschlossen werden. "Es gibt massive Risiken, dass die Automobilindustrie einfach nicht in der Lage sein wird, die neuen Systeme zur Abgasnachbehandlung in der verbleibenden kurzen Zeitspanne bis September 2017 zu entwickeln und zu testen", schrieb Jonnaert am 26. Januar in einem Brandbrief an die EU-Kommissare Frans Timmermans und Jyrki Katainen: "Wenn ein Hersteller nicht fertig wird, kann er neue Dieselmodelle dann nicht mehr zulassen und verkaufen. Damit würde die Autoindustrie zu einem kritischen Zeitpunkt eine Schlüsseltechnologie verlieren, mit deren Hilfe sie die CO₂-Flottenziele der Europäischen Union bis 2020 erreichen will."

Saubere Diesel sind machbar - aber auch bezahlbar?

Gemessen an automobilen Entwicklungszyklen erscheinen gut zwei Jahre zur Umsetzung eines neuen NOx-Messverfahrens tatsächlich extrem knapp. Doch "die Technologien für saubere Dieselfahrzeuge sind bereits heute auf dem Markt verfügbar", sagt Vicente Franco, ein Autor der ICCT-Studie: "Selbst unter realen Fahrbedingungen blieben einige der dort getesteten Fahrzeuge unterhalb der Euro-6- Grenzwerte."

Kein Wunder, denn die Hersteller verwenden je nach Fahrzeuggröße unterschiedliche Systeme zur Abgasreinigung: Bis rund 1700 Kilogramm Gewicht genügen zumindest im Testzyklus innermotorische Maßnahmen und der Einsatz eines NOx-Speicherkatalysators, um die Stickoxide einzusammeln und in Regenerationsphasen unschädlich zu machen. Schwerere Diesel-Pkw brauchen dazu eine spezielle Chemiefabrik unter dem Fahrzeugboden: Wie bei Lkw verwandelt ein SCR-Katalysator die Stickoxide mit der Harnstofflösung AdBlue in harmlosen Wasserdampf und Stickstoff. Allerdings steigen die Kosten für den Antriebsstrang dadurch um etwa zehn Prozent.

Herstellervereinigungen spielen auf Zeit

"Mit einer gut eingestellten SCR-Abgasreinigung kann, das belegen die ADAC EcoTest-Messungen, der NOx-Ausstoß wirksam verringert werden", schreibt der Automobilclub in einem Positionspapier: "Bei den meisten derzeit verfügbaren Euro-6- Diesel-Pkw ist dies jedoch, und auch das zeigen die ADAC-Messungen, nicht der Fall. Die Fahrzeuge halten zwar bei der Typprüfung den Grenzwert ein, im realen Betrieb, insbesondere bei Autobahnfahrten, zum Teil auch im Innerortsverkehr, treten dagegen erheblich höhere NOx-Emissionen auf."

Längst arbeiten die Automobilhersteller an effizienteren Systemen zur Dieselabgasreinigung. Doch erst einmal spielen VDA und ACEA auf Zeit - wie schon vor zehn Jahren: Damals wollten sie das Feinstaubproblem durch ausgeklügelte Brennverfahren innermotorisch lösen, statt die teuren und aufwendig zu applizierenden Partikelfilter in Serie zu bringen. Das funktionierte zwar prima im EU-Testzyklus, versagte aber unter Alltagsbedingungen. Genau wie bei den NOx-Emissionen heute.

Der Abgastest stammt aus den Achtzigerjahren

Mittlerweile sind die dunklen Rauchwolken aus dem Auspuff dank der Partikelfilter Geschichte. Die aktuelle Frage bleibt, ob sich die Selbstzünder mit SCR-Katalysatoren aus dem Markt preisen werden - zumindest in der automobilen Unter- und Kompaktklasse. Deshalb hat die ACEA tatkräftig an dem neuen EU-Vorschlag für den RDE-Test (Real Driving Emissions) mitgewirkt. "Das neue Testverfahren sollte sich an der normalen und nicht an einer statistisch irrelevanten Fahrweise orientieren, die nur eine höhere Komplexität und höhere Kosten zur Folge hätte, aber wenig Nutzen für die Umwelt brächte", warnt ACEA-Generalsekretär Erik Jonnaert in seinem Brief vom 26. Januar.

Für irrelevant halten viele Experten allerdings den immer noch geltenden EU-Abgastest, der aus den Achtzigerjahren stammt. Während der 20-minütigen Tour auf dem Rollenprüfstand steht das Auto vier Minuten still und erreicht im Übrigen nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 33,6 km/h. Die Temperatur, die Zuladung der Fahrzeuge und die Schaltpunkte sind exakt vorgeschrieben; Klimaanlage und andere elektrische Verbraucher an Bord der Testwagen dürfen ausgeschaltet werden. So kommt es, dass die Euro-6-Dieselmodelle unter Normbedingungen mit vorbildlichen Abgaswerten glänzen. In der Praxis sind diese idealen NOx-Emissionen aber genauso wenig zu erreichen wie die oft kritisierten Normwerte für den Kraftstoffverbrauch. Sie liegen rund 30 Prozent unter dem realen Spritbedarf im Alltag.

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