Sportwagen im Fahrbericht:Der französische Anti-Porsche kehrt zurück

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Die 2018er Produktion der neuen Alpine A110 ist schon fast vergriffen - trotz des Grundpreises von fast 60 000 Euro. (Foto: Renault)

Die Alpine A110 hat eine neue Chance verdient, denn eine Fahrt mit ihr ist ein Vergnügen. Wenn auch ein ziemlich digitales - und teures.

Von Georg Kacher

Der Kopf tut sich schwer, die Eindrücke zu sortieren. Da wäre zum Beispiel die achte und bislang hellste Schattierung des legendären Alpine-Blau, ein Déjà-vu des behutsam veränderten Vier-Augen-Gesichts, die für ein modernes Auto ungewöhnlich kompakten Abmessungen, der im Sport-Modus angriffslustige und im Track-Modus basslastig-brabbelnde Auspuffsound.

Alles schon mal dagewesen? Mag sein. Nur innen ist garantiert nichts mehr, wie es einmal war. Das ungewöhnlich geräumige Cockpit ist dem Zwei-Meter-Mann Michael van der Sande zu verdanken. Der Alpine-Chef bestand auf einer Handbreit mehr Kopf- und Beinfreiheit als in der Klasse der auf Taille geschnittenen Zweisitzer üblich. Obwohl die A110 mit 1,25 Metern flach genug ist, um die eine oder andere Mautschranke zu unterfliegen, erfordern Ein- und Ausstieg keine zirkusreifen Verrenkungen.

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Gefragt sind dagegen schnelle Reaktionen, gutes Timing und Grundvertrauen in die neu entwickelte Technik. Die Karosserie der Alpine besteht komplett aus verschweißtem, genietetem, geschraubtem und verklebtem Aluminium. Mit dieser leichten und steifen Matrix sind vier Doppel-Querlenker und eine kompakte Antriebseinheit verblockt. Der aufgeladene 1,8-Liter-Vierzylinder leistet 252 PS - nicht die Welt, aber genug, um das fahrfertig 1080 Kilogramm leichte Coupé in Verbindung mit dem Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe in flinken 4,5 Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer zu beschleunigen. Obwohl bei Bedarf 250 km/h erreicht werden, ist es im normalen Verkehr kaum zu schaffen, den Verbrauch auf zweistellige Werte zu treiben.

Wie kommt es, dass sich Renault den Luxus einer Kleinserienmarke leistet, deren Name bei jüngeren Kunden bestenfalls ratloses Schulterzucken auslösen dürfte? Obwohl die letzten Alpine-Modelle vor dem Produktionsstopp 1995 nur noch weichgespülte Pseudo-Sportwagen waren, haben die Macher immer an ein Comeback des französischen Anti-Porsche geglaubt. Es gab unzählige Versuche der Reinkarnation - vom kleinen A410-Flitzer über einen fetten V6 GT bis zur Kooperation mit Caterham, die in letzter Minute platzte.

Die Produktion für 2018 ist fast vergriffen

Am Ende waren es zwei hochrangige Manager, die Alpine unter dem Dach von Renault Sport eine neue Chance gaben. Während der rennbegeisterte, inzwischen zum französischen Konkurrenten PSA abgewanderte Carlos Tavares das technische Konzept definierte, genehmigte mit Carlos Ghosn die oberste Instanz der Renault-Nissan-Allianz die nötigen Mittel.

Michael van der Sande kam von Aston Martin zu Alpine, wo das neue Werk am historischen Standort in Dieppe bis zu 10 000 Fahrzeuge im Jahr fertigen könnte. Die Produktion für 2018 ist fast vergriffen, aber von 2019 an muss aktiv verkauft werden. Schon im nächsten Schritt soll ein deutlich mehr als 300 PS starkes Sportmodell die etablierten Wettbewerber ärgern. Mittelfristig ist ein zweitüriger Mittelmotor-Crossover angedacht, dem fahrdynamische Wunderdinge nachgesagt werden. Europaweit sind nur 57 Händler vorgesehen, elf davon in Deutschland.

Nach der auf 1955 Stück limitierten ersten Serie kann der Kunde zwischen zwei Ausstattungsvarianten wählen. Pure ist als reines Aus-Spaß-an-der-Freude-Auto ausgelegt, die Variante Legende spart nicht mit Luxusextras. Auf Dinge wie Verstelldämpfer, Handschalter und mechanisches Sperrdifferenzial muss der Alpine-Käufer allerdings verzichten.

Die Papierform trübt ein wenig die Vorfreude, denn mit 252 PS und 320 Newtonmeter ist die A110 auch antriebsseitig ein Leichtgewicht. Wie soll diese Neukonstruktion Porsche und Lotus Paroli bieten können? Wir nehmen Platz im erstaunlich bequemen Schalensitz, drücken den Startknopf, legen den ersten Gang ein und machen uns auf den Weg. Es gibt keinen Schalthebel, nur Paddel, die nach Ferrari-Art an der Lenksäule befestigt sind. Es gibt auch keine Knöpfchen für dies und das, nur drei mit Lenkung, ESP/ASR, Motor und Getriebe vernetzte Modi, die über einen Taster am Lenkrad ausgewählt werden. Comfort entschleunigt, Sport macht Lust auf mehr, Track ist auch abseits der Piste eine stete Herausforderung. Im Gegensatz zum total analogen Original übernehmen im Nachfolger Halbleiter die Aufgabe, das Fahrerlebnis noch ein wenig zu steigern - dass reicht von ungefragt Zwischengas geben über prolliges Lastwechselpatschen bis zu pfeifenden Hochschaltkicks. Schöne neue digitale Welt.

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Knapp 60 000 Euro sind viel Geld für einen Newcomer

Die Alpine von damals war eine Angst-essen-Seele-auf-Mutprobe - zickig, kantig, nachtragend, unberechenbar, herausfordernd. Lastwechselschläge und Gegenpendler führten immer wieder zu Abflügen der 800 Kilogramm leichten und beängstigend fragilen Kunststoff-Heckschleuder. Die Alpine-Wiedergeburt des Modelljahres 2018 gibt sich deutlich verbindlicher. Lange Federwege und die überzeugende Elastokinematik schaffen einen ordentlichen Grundkomfort, das neue Fahrwerk und die feingetunte Aerodynamik sind vor allem der Richtungsstabilität verpflichtet, die Bremse hat mit dem Federgewicht leichtes Spiel. Im Track-Trim funkelt das Display in den Farben der Trikolore, der Dialog zwischen Fahrer und Fahrzeug entwickelt sich im Grenzbereich schon mal zum Wortgefecht, der elektronische Schutzengel lässt erstaunlich aufregende Zweite-Gang-Driftwinkel zu. Es ist ein Vergnügen.

Es gibt Marken, deren Totenruhe man besser nicht gestört hätte. Dazu gehören zum Beispiel Maybach, Bristol und DS. Alpine hat dagegen eine zweite Chance verdient. Nicht wegen der großartigen Historie, sondern aufgrund der vielversprechenden Zukunft. Die späte Metamorphose der A110 ist ein sehniges Auto, das sich nach Herzenslust um Ecken prügeln aber auch herrlich schaltfaul fahren lässt. Das Fahrzeug funktioniert als entspannter Cruiser genauso wie als furchtloser Quertreiber. Klar, knapp 60 000 Euro sind viel Geld für einen Newcomer mit dünnem Servicenetz, absolut null Elektrifizierungs-Ambitionen und unsicherer Langzeitqualität. Aber man muss kein frankophiler Nonkonformist sein, um dem neuen Voiture Bleue die eine oder andere Überraschung zuzutrauen.

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Vor mehr als einem halben Jahrhundert brachte Renault den legendären Sportwagen Alpine auf den Markt.

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Mit dem Nachfolgemodell wollen die Franzosen an die glorreichen Zeiten anknüpfen.

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Auf Taille geschnittener Zweisitzer: Das Cockpit des ursprünglichen Modells bot weniger Raum.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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