Sicherheit im Schienenverkehr:So sicher ist Zugfahren

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Wie gefährlich sind eingleisige Strecken? Könnte eine Gurtpflicht Tote vermeiden? Gibt es Crashtests für Züge? Antworten auf die wichtigsten Sicherheitsfragen.

Von Benjamin Köbler-Linsner

Ist die Bahn gefährlicher als das Auto?

Nein. Dem Statistischen Bundesamt zufolge kam in den Jahren 2013 und 2014 nicht ein Fahrgast bei Unfällen ums Leben. 2014 ereigneten sich im Schienenverkehr insgesamt 492 Unfälle mit Personenschäden, auf der Straße wurden im selben Jahr 302 435 Unfälle mit Personenschäden verzeichnet. Dabei wurden 822 Personen im Bahnverkehr verletzt, im Straßenverkehr waren es fast 393 000. "Bahnfahren ist rein technisch betrachtet hochgradig sicher", schlussfolgert der Forschungsverbund ifv Bahntechnik. "Die Unfallstatistiken belegen die absolute und relative Sicherheit des Verkehrsträgers Bahn."

Laut einer Erhebung des Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene ist das Todesrisiko im Auto, bezogen auf die Personenkilometer, 63 Mal höher. Dies ergab eine Untersuchung aus den Jahren 2004 bis 2014.

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Gibt es einen Crashtest für Züge?

Wagenkästen, also Rahmen und Fahrgestell der Züge, müssen festgelegten Sicherheitsstandards entsprechen. 2008 wurde mit der DIN 15227 eine europaweite Norm eingeführt, die typenspezifische Crashanforderungen definiert. Somit müssen S-Bahnen, Regional- und Hochgeschwindigkeitszüge unterschiedliche Sicherheitsprüfungen erfüllen, bevor sie zugelassen werden. Dazu zählen verschiedene Tests, bei denen das Fahrzeug mit diversen Geschwindigkeiten gegen ein Hindernis gerammt wird und die dabei entstehenden Kräfte aushalten muss. Die am Dienstag in Bad Aibling verunglückten Züge vom Typ Stadler Flirt3 sind nach der aktuell gültigen Crashnorm zertifiziert.

Würde eine Gurtpflicht für mehr Sicherheit auf der Schiene sorgen?

"Jetzt von einer Gurtpflicht zu sprechen, halte ich für eine Überreaktion", sagt Dirk Flege vom Bündnis Allianz pro Schiene. Außerdem würden die Fahrgäste den Sicherheitsgurt nicht akzeptieren. Der Zug biete den Reisenden eine Bewegungsfreiheit wie kein anderes Verkehrsmittel. Dieser Freiraum gehöre zum Konzept einer Bahnreise. Außerdem gibt es in stark frequentierten Zügen Passagiere, die während der Fahrt stehen. "Somit gäbe es ein Sicherheitsniveau zweiter Klasse", erklärt Flege.

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Welcher Platz ist bei einem Zugunglück am sichersten?

Den sichersten Platz gibt es im Zug nicht, da sich die Kräfte je nach Art des Unfalls unterschiedlich verteilen. Wie Experten bestätigen, sind bei einem Frontalzusammenstoß die Überlebenschancen im hinteren Teil des Zuges am größten, da ein Großteil der Aufprallenergie bereits absorbiert wurde. Bei einem Auffahrunfall dreht sich die Kräfteverteilung um - der Aufenthalt im vorderen Teil des ersten Zuges wäre sicherer. Es gibt jedoch auch Unfälle, bei denen der mittlere Teil des Zuges entgleist und gegen Gebäude oder Brückenpfeiler prallt. Dies war zum Beispiel 1998 beim Zugunglück in Eschede der Fall, bei dem 101 Personen ums Leben kamen.

Sind ältere Züge unsicherer als aktuelle Bauarten?

Die Sicherheitsnorm DIN 15227 wurde 2008 mit einer vierjährigen Übergangsfrist eingeführt. Oft sind Züge jedoch mehrere Jahrzehnte lang im Einsatz. "Eine Nachrüstung von Bestandsfahrzeugen ist gemäß dem Regelwerk nicht vorgesehen", sagt ein Sprecher des Eisenbahnbundesamtes. Dirk Flege ergänzt aber: "Mir ist kein Fahrzeug bekannt, das den Sicherheitsansprüchen nicht genügen würde."

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Als Folge zahlreicher Unfälle auf eingleisigen Streckenabschnitten ist seit 2012 ist das gesamte Schienennetz der Deutschen Bahn mit Zugbeeinflussungssystemen ausgestattet. Im Fernverkehr geschieht das kontinuierlich über die Linienzugbeeinflussung (LZB), im Regionalverkehr wird die Punktförmige Zugbeeinflussung (PZB) eingesetzt. Sobald ein Nahverkehrszug ein Haltesignal überfährt, wird er automatisch abgebremst. Allerdings hat der Fahrdienstleiter Einfluss auf dieses System. Er kann die Zwangsbremsung mit Hilfe eines Ersatzsignals außer Kraft setzen.

Dem Forschungsverbund ifv Bahntechnik ist der Unfall von Bad Aibling deshalb ein Rätsel: "Trotz der vorhandenen Bahn-Sicherheitssysteme hat sich ein Unfall ereignet, der nach Expertenansicht 'nahezu unmöglich' war", erklären die Experten. Hinsichtlich der Sicherheit unterscheide die Deutsche Bahn nach eigener Aussage nicht nach ein- und zweigleisigen Strecken. Ein Sprecher des Unternehmens sagte dem WDR, die Annahme, eingleisige Strecken stellten ein größeres Sicherheitsrisiko dar, sei falsch.

Werden Daten über die Zugfahrt protokolliert?

Jeder Führerstand ist mit einer elektronischen Fahrtenregistrierung (EFR), umgangssprachlich auch Blackbox genannt, ausgestattet. Ähnlich wie bei Flugschreibern zeichnet das Gerät Daten wie Geschwindigkeit, Bremsverhalten und den Funkverkehr zwischen Lokführer und Fahrdienstleiter auf. Die Auswertung dieser Informationen kann wichtige Hinweise auf den Unfallhergang liefern.

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