Schrottplatz der Kriegsgeräte:"Panzerstahl eignet sich perfekt für Kochtöpfe"

Panzerverschrottung

Diesen Panzern steht ihr letztes Gefecht noch bevor - in der Demontagehalle der "Battle Tank Dismantling GmbH".

(Foto: Steve Przybilla)

In einem Dorf in Thüringen werden Panzer verschrottet und recycelt. Davon gibt es dort mehr als auf jeder Nato-Basis - und manchmal schauen obskure Kunden vorbei.

Reportage von Steve Przybilla

Es ist noch nicht lange her, da standen die Feldjäger bei Peter Koch im Büro. Mit geladener Maschinenpistole. Der 61-jährige Geschäftsmann war so erschrocken, dass ihm nichts anderes einfiel, als die Soldaten anzublaffen: "Haben Sie 'nen Vogel? Nehmen Sie das Ding runter!"

Im Normalfall könnte man solche Anekdoten getrost ins Fantasiereich verfrachten. Doch wenn Peter Koch sie erzählt, nimmt man ihm die Geschichte sofort ab. Was auf seinem Firmengelände geschieht, fällt nämlich nicht in die Kategorie "Normalfall". Koch verschrottet Panzer. Nicht ein paar, sondern komplette Armeebestände. Mehrere Hundert Kettenfahrzeuge stehen auf dem 125 000 Quadratmeter großen Hof der Battle Tank Dismantling GmbH (BTD). Wie viele Panzer es genau sind, darf aus Sicherheitsgründen nicht verraten werden. Kein Geheimnis ist hingegen die Tatsache, dass zwei Drittel zunächst noch funktionstüchtig sind. Sobald ein Panzer auch nur falsch parkt, rücken deshalb die Feldjäger aus. "Unser Gelände ist satellitenüberwacht", sagt Koch. "Hier stehen schließlich keine Spielzeuge, sondern Kriegswaffen."

Manch ein Kunde hegt konkrete Kaufabsichten

Als die Feldjäger anrückten, ließ sich die Situation leicht entschärfen. Wie sich herausstellte, hatte ein Mitarbeiter versehentlich einen Panzer bewegt, für den an diesem Tag keine Genehmigung vorlag. Menschliches Versagen. Dass die Bundeswehr so schnell zur Stelle war, beruhigt den Geschäftsführer: "Das zeigt, dass unser Sicherheitssystem funktioniert. Sie glauben gar nicht, wie viele Idioten hier anrufen, weil sie einen Panzer wollen."

Koch berichtet von einem Mann, der eine Tasche voller 500-Euro-Scheine auf den Tisch legte, untermauert von dem Kommentar "Ich brauch' keine Quittung." Der Panzerknacker verneinte und informierte die Polizei. An einem anderen Tag schaute Körperwelten-Erfinder Gunther von Hagens vorbei. "Er wollte eine präparierte Leiche in einen Panzer setzen", erzählt Koch. Auch ehemalige Soldaten riefen regelmäßig an. "Die wollen ein Erinnerungsstück ihres Panzers, mit dem sie im Einsatz waren."

Die Abgeschiedenheit ist Absicht

Oft kann Koch solche Wünsche erfüllen, zumindest solange sie nicht gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen. Eine im Panzer verbaute Plakette darf er guten Gewissens verkaufen; ein Kanonenrohr oder ein Motor wären tabu.

Die BTD GmbH befindet sich im thüringischen Rockensußra, einem Dorf mit nicht einmal 200 Einwohnern. Mühlhausen, der nächste größere Ort, liegt mit dem Auto eine halbe Stunde entfernt. Der Weg zum Panzerfriedhof ist nicht ausgeschildert. An Feldern vorbei führt er über dicke Betonplatten zu einem umzäunten Gelände, auf dem ein Wachdienst patrouilliert. Die Abgeschiedenheit ist Absicht. Kein Wandertourist soll auf die Idee kommen, dass mitten in Thüringen mehr Panzer stehen als in jeder Nato-Basis.

Eine Armee aus Stahl und Glas

Es sieht aus wie bei einer Militärparade: Da stehen Panzer, Minenleger, Truppentransporter, Diplomaten-Limousinen, Wasserwerfer. Die Fahrzeuge heißen Marder, Skorpion, Leopard oder schlicht M 113. Eine Armee aus Stahl und Glas, die nach ihrer Ausmusterung ihren Dienst im zivilen Leben fortsetzt. "Panzerstahl eignet sich perfekt für Kochtöpfe", so Koch. "Die Kanonenrohre lassen sich zu Messern verarbeiten. Auch die Elektronik kann man wiederverwerten."

Ihr letztes Gefecht tragen die Panzer in der Demontagehalle aus. Es ist eine Schlacht, die die Kettenfahrzeuge am Ende immer verlieren. Es wird geschweißt, gehämmert, gebohrt und geschraubt. Um die Explosionsgefahr zu minimieren, entleeren die Mitarbeiter zunächst die Tanks: Benzin, Altöl und Kühlflüssigkeit werden abgelassen; danach kommt der Brenner zum Einsatz.

96 Prozent der Bauteile lassen sich recyceln

Alles muss raus: Lampen, Kabel, Stecker, Knöpfe. Mit einem Kran geht es schließlich den schweren Teilen an den Kragen: Nach und nach entfernen die Mitarbeiter Ketten, Getriebe, Motoren und Kanonenrohre. Mehrere Tage dauert eine solche Demontage, bis nur noch das Stahlskelett übrig bleibt - und abermals in kleine Teile zerschnitten wird. Die Arbeit lohnt sich, denn 96 Prozent der Bauteile lassen sich nach Angaben des Unternehmens recyceln.

"Was wir machen, könnte eigentlich jedes Land selbst machen", sagt Koch. "Aber ganz so einfach ist dieses Handwerk eben nicht." Das Kapital seiner Firma liege im Wissen, wie man die einzelnen Komponenten voneinander trennt. Immerhin besteht Panzerstahl aus diversen Legierungen, die ihn widerstandsfähiger gegen Beschuss machen. In jedem der Kolosse ist Elektronik verbaut, die sich ebenfalls wiederverwerten lässt. "Wir schneiden die Panzer nicht einfach wahllos in Stücke", sagt Koch. "Wenn man an der falschen Stelle ansetzt, wäre das Teil wertlos."

Manchmal kauft die Bundeswehr Geräte zurück

Das Geschäftsmodell von BTD funktioniert wie folgt: Zunächst kauft die Firma ausrangierte Kriegsgeräte von ihren Eigentümern ab, worunter die Bundeswehr sowie andere west- und osteuropäische Staaten fallen. Nach der Zerlegung und Demilitarisierung verkauft BTD den Schrott weiter. Beispiel Gold: Rund ein Gramm des Edelmetalls befindet sich in jedem Panzer, verbaut in der Elektronik. BTD verkauft sie an ein polnisches Unternehmen, das die relevanten Bauteile ausschlachtet. Andere Komponenten gehen zurück an die Rüstungsindustrie.

Bizarr: Manchmal kaufe die Bundeswehr ihre bereits ausgemusterten Geräte wieder zurück, berichtet Koch. "Die Minenwerfer lasse ich erst mal stehen." Wegen der Spannungen in Osteuropa überlege die Bundeswehr, diverse Altbestände wieder in Dienst zu stellen.

Was Panzer und Computer gemeinsam haben

Wie viel die Firma mit ihrer Arbeit verdient, will Koch nicht verraten. Der Jahresumsatz liege zwischen sechs und acht Millionen Euro. Seit der Gründung im Jahr 1991 seien über 17 000 Panzer, Raketentransporter, Minenwerfer und Flugabwehr-Kanonen verschrottet worden.

Am Anfang ging es vor allem um Relikte des Kalten Krieges: Laut dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) müssen die Armeen ihre Waffenbestände verringern. Inzwischen laden auf dem Hof in Rockensußra aber auch Kriegsgeräte neuerer Generationen. "Bei Panzern ist es wie bei Computern", sagt Koch. "Wenn ein neues Modell kommt, werden die Vorgänger weggeworfen, auch wenn sie noch funktionieren."

Aktiver Beitrag zur Abrüstung - oder doch nicht?

Der KSE-Vertrag erlaubt es Rüstungsinspekteuren, jederzeit am Standort Rockensußra vorbeizuschauen. Koch berichtet von einer E-Mail, die am selben Morgen bei ihm eingegangen sei. "Montag kommen mal wieder Kontrolleure aus Osteuropa, um sich hier umzuschauen. Das ist ein ganz normaler Vorgang." Ungewöhnlich für Außenstehende mutet dagegen der Umgang mit den ausländischen Kontrolleuren an. Laut Koch zahlt BTD nicht nur deren Anreise, sondern stelle auch "Geschenke" bereit. Er zeigt auf ein Regal in seinem Büro, in dem sich mehrere Weinflaschen stapeln. "Das wird erwartet", beteuert der Geschäftsmann.

Der Unternehmer sieht in seiner Arbeit einen aktiven Beitrag zur Abrüstung, was auch niemand bestreiten würde. Ganz so einfach ist die Sache dann aber doch nicht, denn die "Battle Tank Dismantling GmbH" ist mittlerweile kein eigenständiges Unternehmen mehr. Seit Anfang 2016 gehört sie zum Imperium des Münchner Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann (KMW), der unter anderem die Leopard-Kampfpanzer herstellt. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Fest steht nur, dass KMW nun gleich doppelt Geld verdient: mit Krieg und mit Frieden.

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