Schiffsbau:Lebenshilfe auf See

Die Largyola von Rupert Kellner

In 30 000 Arbeitsstunden baute Rupert Kellner die "Largyola" selbst zusammen.

(Foto: Rupert Kellner)

30 000 Stunden arbeitete Rupert Kellner an seinem Traum vom eigenen Schiff. Heute hilft der Katamaran "Largyolo" Jugendlichen, den richtigen Beruf zu finden.

Reportage von Joachim Becker

"Kiki soso Largyalo"- der Ruf ertönt nicht über dem Meer, sondern auf den höchsten Gipfeln der Welt. "Mögen die Götter siegreich sein - das rufen die Ladakhi und Tibeter, wenn sie den Scheitelpunkt eines Passes oder die Spitze eines Berges erreicht haben", erzählt Petra Wolfinger. Während einer Trekking-Tour im Himalaja kam ihr die Idee für den Bootsnamen. Bis der Zweimaster Largyalo in See stechen konnte, verging aber noch etliche Zeit. Sechs harte Jahre standen ihr und ihrem Lebensgefährten Rupert Kellner bevor, bis der Do-it-yourself-Katamaran vom Stapel lief. Largyalo stand also nicht am Ende, sondern ganz am Anfang eines schweren Anstiegs. Verglichen mit dem eigenhändigen Bootsbau war die Hochgebirgswanderung fast ein Sonntagsspaziergang.

Die Largyalo ist der bunte Hund unter den weißen Seglern im Mittelmeer. In seinen Heimatgewässern rund um Mallorca fällt der Katamaran nicht nur wegen seiner knallroten Segel und der gelben Rümpfe auf. Ungewohnt ist auch die Form und vor allem die Bauweise des schwimmenden Wohnmobils. Für die Tragstruktur wurden über 1000 Jahre alte Prinzipien der Polynesier übernommen: Die Rümpfe aus Sperrholzplatten, Glasgewebe und Epoxid-Harz wurden nur durch Seile mit den Querträgern aus Vollholz verbunden. Beim Segeln kann sich das Boot dadurch im Zentimeterbereich verwinden. Auch bei der Takelage wurde darauf geachtet, dass dynamische Windlasten auf mehrere Stellen in den Rümpfen verteilt werden. Geleimte Masten aus hochfesten Nadelhölzern sind eine weitere Reminiszenz an den traditionellen Bootsbau. Sie sind laut Rupert Kellner noch immer leichter als viele Hightech-Aufbauten aus Aluminium.

Kirmes der Eitelkeiten

Im Sommer, wenn die Häfen und Buchten von Segeljachten überquellen, zählen nachwachsende Rohstoffe nicht zu den Trendthemen auf den Balearen. Viel wichtiger ist dann der Snob-Appeal: Sündteure Racer werden von ihren Besitzern in Ufernähe zur Schau gestellt, statt damit auf hoher See den Wolken nachzujagen. Die Kirmes der Eitelkeiten wirkt von der Largyalo aus gesehen ebenso fremd wie Prestigerennen gegen die Uhr. Dabei kann das leichte Doppelrumpfboot mit weniger als einem Meter Tiefgang 16 Knoten schnell durch die Wellen gleiten. Statt auf sportlichen Ehrgeiz und Prunk wurde die Largyalo auf maximalen Komfort und ein großes Platzangebot getrimmt. Auch Nichtsegler sollen sich an Bord wohlfühlen: Der große Katamaran liegt stets aufrecht im Wasser, daher bleiben die Kaffeetassen nicht nur vor Anker, sondern auch beim gemütlichen Fahrtensegeln auf dem Tisch.

Die Largyalo ist ein Schiff der Begegnung: Völlig untypisch für ein Boot der 20-Meter-Klasse stehen auf dem Zentraldeck und der Heckplattform insgesamt 150 Quadratmeter ebene Fläche zur Verfügung. Ideal, um sich im Kreis von einem Dutzend Menschen entspannt auszutauschen. "Die Wirkung des Bootes ist unübersehbar. Die Menschen gehen anders von Bord, als sie gekommen sind", sagt Rupert Kellner. Längst haben sich therapeutische oder pädagogische Coaching-Angebote auf anderen Schiffen bewährt. Mit dem Projekt "MyMotiVision" will die Crew jungen Menschen künftig beim Start ins Berufsleben helfen. Begleitet werden sie nicht nur vom Skipper und seiner Frau, sondern auch von zwei Pädagogen. Dabei ist nicht nur die Segelerfahrung der Bootsbauer und -besitzer gefragt: "Der Kapitän ist Vorbild und Beschützer, ich bin in mancherlei Hinsicht auch Ersatzmama", beschreibt Petra Wolfinger lachend ihre Aufgaben.

Individuelles Coaching auf der "Largyalo"

"Das ist kein Feriencamp oder eine abenteuerliche Urlaubsreise", betont Rupert Kellner. Vielmehr gehe es darum, herauszufinden, was einen wirklich antreibe. "Ich hatte als Jugendlicher 15 bis 20 Berufe im Kopf - vom Bierbrauer über ein landwirtschaftliches Leben bis zum Bootsbauer. Deshalb kann ich den Jugendlichen heute gut nachfühlen", so Kellner. Der Aufenthalt und das individuelle Coaching auf der Largyalo sollen Zeit für Besinnung und Orientierung schaffen, wenn nach der Schule alles ganz schnell gehen muss. Auch bei Krisen im Studium oder in der Ausbildung ist es mit abstrakten gesellschaftlichen Leitbildern nicht mehr getan: Handwerksbetriebe beklagen zu Beginn des Ausbildungsjahres immer auf Neue ihre Nachwuchssorgen. Fragt man Schüler, so nennen sie geringe gesellschaftliche Anerkennung, niedriges Gehalt und fehlende Aufstiegschancen als Gründe für die Misere.

Auch die Scheu vor körperlicher Arbeit wird in einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Mafo häufig als Grund gegen einen Lehrberuf genannt. Ein Argument, dass beim Segeln auf einem großen Schiff nicht zählt: Wenn das Zusammenspiel der Mannschaft nicht klappt, kommt der Windjammer nicht von der Stelle. Motivationsschwäche, Angst vor Verantwortung und eine allzu materielle Ausrichtung sind Themen, die junge Menschen mit professioneller Begleitung auf der Largyalo hinterfragen können. Quest werden solche Reisen durch das eigene Innere genannt. Die Sinn- und Selbstsuche muss ja nicht gerade zur zehnjährigen Odyssee ausufern wie in der antiken Sage. Vier Wochen sollen genügen, um das Hirn in der Seebrise zu lüften und den nächsten Meilenstein beim Einstieg ins Berufsleben zu erreichen.

"1999 habe ich mein Traumschiff gefunden"

Rupert Kellner hat viele Jahre gebraucht, um seinen eigenen Traum zu verwirklichen. Der 14-jährige Berti, wie ihn seine Freunde nennen, begann auf dem Simssee bei Rosenheim zu segeln. "Mit 16 bekam ich ein Buch geschenkt: Flora und Fauna ferner Inseln - das hat mich nie wieder losgelassen." Statt Bootsbauer wurde er zunächst Kaufmann und gründete 1981 den ersten größeren Bio-Supermarkt in Rosenheim. Daraus entstand die Idee für eine Software zur Datenkommunikation zwischen Groß- und Einzelhandel. Das Geschäftsmodell war lukrativ genug, um den Kaufmann schließlich doch noch zum Bootsbauer zu machen. "1999 habe ich mein Traumschiff gefunden: Auf Seite 48 des Design-Buches von James Wharram." Im gleichen Jahr traf der damals 44-jährige Berti den Experten auf einem Forum für Mehrrumpf-Boote. Doch zunächst holte er sich eine brüske Abfuhr von der bejahrten Segellegende.

James Wharram hatte schon in den 1950er-Jahren mit einem selbstgebauten Katamaran den Atlantik bezwungen und einen Boom des Fahrtensegelns ausgelöst. 1999 kam der Schiffs-Designer gerade von einer neuerlichen Weltumsegelung zurück und beschied Rupert Kellner: "Als Greenhorns, die noch nie ein Schiff gebaut haben, habt ihr keine Chance." Der Pionier des Katamaranbaus hatte über hundert Pläne verkauft und bereits einige Eigenbauprojekte scheitern sehen. "Seine erste Reaktion hat mich nicht aufgehalten, sondern eher motiviert. Er hat mich einem Initiationsritus unterzogen, um zu prüfen, ob ich wirklich durchhalten würde", erinnert sich Rupert Kellner.

30 000 Arbeitsstunden und 650 000 Euro

Mit seiner anfänglichen Skepsis sollte Wharram nicht ganz unrecht behalten. Das Ziel, spätestens Bertis 50. Geburtstag auf dem eigenen Schiff zu feiern, musste das Paar schließlich aufgeben. Erst 2006 wurde die Largyalo per Kran zu Wasser gelassen. "Der Bootsbau hat mit 650 000 Euro drei Mal so viel gekostet wie erwartet - die Kosten für die 30 000 Arbeitsstunden nicht eingerechnet", so Kellner

James Wharram hat der Largyalo dann doch noch seinen Segen erteilt. Nach einer genauen Inspektion des Bootes im Rohbau bestätigte er Berti schriftlich, dass alle Änderungen für gut befunden wurden. "Ein tolles Lob", gesteht Petra, "vor allem, weil Berti sich alles Wissen über den Bootsbau durch Lesen, Fragen und Ausprobieren selbst angeeignet hat." Genau darin sieht der Kapitän auch heute noch den wesentlichen Unterschied zwischen sich und anderen Träumern: "Man muss seinen Traum zu einem Ziel machen, das man wirklich erreichen will!" Largyalo ist dann ein Ausdruck des Triumphes, aber auch der Erleichterung, der Demut und der Dankbarkeit, das Ziel erreicht zu haben.

Der Name ist also Programm. Und er soll auch zum Markenzeichen für bis zu sechs Seminare mit Jugendlichen pro Jahr werden. Etwa 5000 Euro plus Anreise kostet die Reise zu sich selbst. Um die Teilnahme unabhängig von Herkunft und sozialem Status zu ermöglichen, wurde ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Straubenhardt gegründet. Fördergelder und private Spenden sollen sicherstellen, dass acht junge Leute pro Tour "Largayalo" rufen können, wenn sie nach vier Wochen wieder von Bord gehen.

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