Schifffahrt in Afrika:Heikle Mission am Tanganjikasee

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Seit fast hundert Jahren ist ein berühmter deutscher Dampfer die wichtigste Verbindung auf dem See - doch seine Tage sind gezählt.

Klaus C. Koch

Kisten, Körbe, Säcke und Kanister stapeln sich an Deck. Vom nahen Ufer nähern sich Holzboote mit Außenborder. Fliegende Händler gehen längsseits, laden Ware ab. Sie sind bunt gekleidet, gestikulieren wild, feilschen. Manche der Zubringerboote liegen bedrohlich tief im Wasser, katastrophal überladen. Die Bordwand der Liemba, an der sie beidrehen, ist von Schrammen und Dellen übersät. Die Farbe blättert.

Schiff mit Geschichte: Seit fast hundert Jahren verkehrt die Liemba auf dem Tanganjika-See. (Foto: N/A)

Der 1200-Tonnen-Dampfer versieht hier seit fast hundert Jahren seinen Dienst, er verkehrt zwischen Kigoma und Kasanga. Bald jedoch werden seine Tage auf dem Tanganjikasee, mit 673 Kilometern längstes Binnengewässer Afrikas, gezählt sein.

Dass ausgerechnet eine Delegation aus Niedersachsen den 69 Meter langen Dampfer unlängst in Augenschein nahm, hat seinen Grund. Denn die Liemba hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich. 1913 wurde sie im Auftrag von Kaiser Wilhelm II. in Papenburg im Emsland gebaut, und auf Graf Goetzen getauft.

Der hatte, nebenbei gesagt, als Militärgouverneur von Deutsch-Ostafrika einen Aufstand der Afrikaner gegen die deutsche Kolonialherrschaft, die sogenannte Maji-Maji-Revolution, blutig niederschlagen lassen. Maji steht auch auf den Plastikflaschen, die die fliegenden Händler den Schiffspassagieren verkaufen. Es bedeutet Wasser.

Die Niedersachsen kamen ursprünglich nicht nur wegen der Liemba, sondern wegen einer ganzen Reihe von Entwicklungshilfeprojekten nach Tansania. Das Schiff, das dringend eine Generalüberholung bräuchte, sagt Heinz Davidson, Abteilungsleiter in der niedersächsischen Staatskanzlei, fiel da eigentlich aus dem Rahmen.

Sechs- bis siebenstellige Summen wären nötig, um sie zu restaurieren. Die Frage ist, ob sie danach im Liniendienst fährt, möglicherweise als Nostalgiedampfer Touristen über den See schippert, oder als Museumsschiff in Kigoma vor Anker gehen soll. Der Haken: Das Schiff wird in der Region, in der es kaum andere Verkehrswege gibt, nach wie vor dringend gebraucht.

Für Hunderttausende See-Anwohner wie auch für den Handel ist die Liemba die einzige zuverlässige Verbindung, die nicht selten auch für UN-Missionen genutzt wird, um Bürgerkriegsflüchtlinge von der anderen Seeseite aus dem Kongo zu transportieren.

Im Ersten Weltkrieg diente die Graf Goetzen dazu, Kaiser Wilhelms II. Visionen einer Vorherrschaft in Zentralafrika zu befeuern. Als die riesige Silhouette an einem Februarmorgen des Jahres 1916 vor ihnen auf dem See auftauchte, zwanzigmal größer als alles, was bislang auf dem Binnengewässer vor sich hin tuckerte, starrten die Briten sie an wie hypnotisiert.

Doch verschraubte Stahlplatten zur Panzerung, stählerne Takelagen und bewegliche Ladebäume räumten jeden Verdacht aus, dass es sich hier um eine Halluzination handeln könnte. Wie, um alles in der Welt, rätselten die Militärs, war dieser Koloss mitten im schwarzen Kontinent auf diesen See geraten?

Der Erste Weltkrieg tobte zu jener Zeit schon zwei Jahre. Die Kolonialmächte hatten ihre Territorien abgesteckt. Deutsch-Ostafrika kam dabei eine wichtige Rolle zu. Die Chancen standen gut, mit einem einzigen, gut bewaffneten Schiff die Vorherrschaft über das Binnenmeer ausüben zu können. In Papenburg, wo man Erfahrung mit flachgängigen Schiffen hatte, wurde die Goetzen in Auftrag gegeben.

1916 hieß das Schiff noch Graf von Goetzen und sollte die Interessen des Deutschen Kaisers in Zentralafrika verteidigen. 35 Jahre später entstand daraus ein Filmklassiker. (Foto: N/A)

Doch das größte Problem bestand weniger im geringen Tiefgang, als darin, das Schiff an seinen Bestimmungsort zu bekommen. Also wurde die Graf Goetzen zunächst nur notdürftig zusammengenietet, um sie wenig später, komplett durchnummeriert bis ins letzte Einzelteil, wieder auseinanderzunehmen und an Bord von vier Frachtschiffen nach Daressalam, der Hauptstadt Tansanias zu schicken.

Unter Regie des Schiffsbaumeisters Anton Rüter wurden die 5000 Kisten anschließend dort auf die Eisenbahn verladen, deren Bau von den Deutschen zu dieser Zeit fast schon bis nach Kigoma vorangetrieben worden war. Auf den letzten dreißig Kilometern freilich musste die Goetzen dann von einem Heer afrikanischer Helfer getragen werden. In Kigoma wurde sie schließlich wieder zusammengesetzt.

Inzwischen hatte sich unter Leitung eines Draufgängers namens Geoffrey Spicer-Simson von Kapstadt aus ein britischer Trupp ähnlicher Stärke in Bewegung gesetzt. Die Soldaten transportierten zwei Kanonenboote zum See. Doch weil sie auf dem Weg über Kapstadt und Johannesburg nach Albertville einen 2000 Meter hohen Pass überwinden mussten, der - zumindest für Tonnen schwere Schiffe - als unüberwindbar galt, maßen die Deutschen der Aktion zunächst keinerlei Bedeutung bei.

Dass die beiden Kanonenboote 35 Jahre später, 1951, in einem Film mit Humphrey Bogart und Katharine Hepburn eine Hauptrolle spielen sollten, ist dabei eher eine kuriose Fußnote der Geschichte.

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"African Queen" hieß der Streifen, in dem sich alles darum drehte, dass zwei lächerlich kleine Nussschalen ein deutsches Schiff, das dort als Königin Luise seine Runden drehte, versenken sollten, um die Dominanz der Gesandten Kaiser Wilhelms auf dem See zu brechen. Die Dramaturgie des Drehbuchs sah aus künstlerischen Gründen allerdings etwas anders aus, als es sich damals in der Realität zutrug.

Tatsächlich wurde die Königin Luise alias Graf Goetzen 1916 an der Mündung des Malagarasi-Flusses von der eigenen Mannschaft auf Grund gesetzt, um sie nicht in die Hände der Alliierten fallen zu lassen. An Land waren die Briten und Belgier bereits in Kigoma eingerückt. Die Schiffsbauer, deprimiert ob der vergeblichen Mühe, fetteten freilich Maschinen und Ruderanlage ein, um sie später wieder in Betrieb nehmen zu können.

Nach dem Krieg wurde die Goetzen von den Belgiern gehoben und tatsächlich wieder in Dienst genommen. So kreuzt sie heute noch - mehrmals umgetauft - als einzige Verbindung zwischen 20 Orten, die kaum über nennenswerte Hafenanlagen verfügen, über den See. Das Süßwasser ist gnädig mit dem Schiff umgegangen, das in Meerwasser längst viel stärker von der Korrosion angefressen wäre.

Jochen Zerrahn, langjähriger Chefingenieur der Meyerwerft in Papenburg, begleitete die niedersächsische Delegation, um sich die Liemba anzuschauen. "Völlig übermotorisiert", sagt er nach einem Blick in den Maschinenraum. Dänische Entwicklungshelfer tauschten die Dampfaggregate in den siebziger Jahren gegen zwei 625 PS starke Diesel aus, die heute unzeitgemäß viel Treibstoff verbrauchen.

Die Meyerwerft hat kein übermäßiges Interesse daran, die Goetzen als Museumsschiff wieder nach Deutschland zu holen, wie es Herrmann-Josef Averdung, ein Mitglied des Stadtrats von Papenburg und Enkel von Schiffsbaumeister Rüter, gerne hätte. Denn Museumsschiffe haben sie hier im Norden genug. Allein der Rücktransport der Goetzen könnte jene Millionen verschlingen, die nötig wären, um die See-Anwohner mit Ersatz zu versorgen. Aber die Werft könnte Teile liefern und die Schiffsmechaniker schulen, um die Liemba in Gang zu halten.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verfolgt Guido Herz, der deutsche Botschafter in Tansania, die Diskussion. Als Symbol für deutsche Wertarbeit und eine teils unrühmliche Vergangenheit hat die Liemba Symbolkraft erlangt. Ein Regenwaldprojekt war angedacht, um nachwachsende Rohstoffe ging es, um ein Projekt der Humboldt-Universität mit behinderten Kindern. Mit Spannung wartet Herz deshalb auf ein Gutachten, das bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Auftrag gegeben wurde, bevor Geld für die Liemba fließen soll.

Martin Schramm, der Gutachter, kam dieser Tage aus Tansania zurück. An seinem Schreibtisch bei Hamburg Consult ist er gerade dabei, die Alternativen durchzukalkulieren, die für die Zukunft der Liemba in Frage kämen. Drei Anlegestellen, berichtet er, seien mittlerweile am See entstanden. Die Entscheidung darüber, was mit der Liemba geschehen soll, wird auf politischer Ebene fallen.

© SZ vom 2.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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