Schienenverkehr:Fast wie in der Schweiz

In Pisa verbindet seit Kurzem eine Seilbahn auf Schienen die Stadt mit dem Flughafen. Der "Pisa-Mover" soll so etwas sein wie der Beginn einer Mobilitätsrevolution in der Region.

Von Felicitas Witte

Guasto. Das fängt ja gut an. "A causa di un guasto c'è un ritardo di 20 minuti", tönt es aus dem Lautsprecher. "Ci scusiamo per il disagio." 20 Minuten Verspätung. Guasto, auf Deutsch in etwa: Defekt, Störfall oder Panne, ist eines der Worte, die man als Bahnreisender in Italien sofort lernt. Immer gibt es irgendein Problem auf der Strecke. Der Regionalzug von Florenz nach Pisa hat kurz vor Empoli abrupt gehalten. Zum Gespräch mit dem Bürgermeister von Pisa soll es gehen, denn der will erzählen, wie es zu seinem neuesten Projekt kam, dem Pisa-Mover.

Das ist eine Seilbahn auf Schienen vom Flughafen zum Hauptbahnhof in Pisa. Mitte März wurde das Projekt eröffnet. "Mit dem Pisa-Mover verwirklichen wir einen Teil unseres Traums vom Verkehr der Zukunft", sagt Enrico Rossi, der Präsident der Region Toskana und so etwas wie ein Ministerpräsident. "Moderner, schneller, effizienter - und das auch noch nachhaltig. Wie eine kleine Schweiz." Offenbar hat der Regionalzug Florenz-Pisa von diesem Traum noch nichts mitbekommen. Langsam zuckelt der Zug weiter und rollt mit 25 Minuten Verspätung in den Bahnhof Pisa Centrale ein. Der Pressesprecher des Bürgermeisters reagiert, wie es in Italien normal ist: "Non c'è problema", kein Problem. Verspätungen sei man ja gewöhnt.

Die beigefarbenen Waggons erinnern an die Zukunftsfilme aus den Siebzigerjahren

Aber wo ist jetzt der Pisa-Mover? Selbst Vielreisende finden den Weg nicht auf Anhieb. Vom Gleis die Treppe runter, wieder hoch, einmal ums Eck. Auf Gleis 14 fährt er ab, und kurz darauf ist man statt auf einem quirligen italienischen Bahnhof plötzlich in der "sterilen" Welt solcher kleiner Mini-Bahnen, wie man sie von Flughäfen kennt. Die beigefarbenen Pisa-Mover-Waggons erinnern an Zukunftsfilme aus den Siebzigern. Gestaltet hat sie der italienische Architekt Adolfo Natalini, der als Begründer der "radikalen Architektur" gilt. Leise und ruhig gleitet der vollautomatische Mover über seine Trasse. Drumherum sieht es noch etwas kahl nach Baustelle aus.

Nach wenigen Minuten erreicht man die Zwischenstation San Giusto, wo sich auch die Antriebsmotoren und die Schaltzentrale befinden. Hier ist ein Parkplatz mit 1300 Plätzen, vorgesehen für Pendler - denn der Mover soll auch die 90 000-Einwohner-Stadt vom Stau entlasten. Ein Auto steht einsam auf dem Parkplatz. "Das ist meins", sagt der Techniker in der Schaltzentrale. Nach weiteren wenigen Minuten ist der Flughafen erreicht, und man muss zugeben: Dort anzukommen, ist viel angenehmer, als in einem klapprigen orangefarbenen Pisa-Stadtbus. Touristen und Geschäftsreisende können jetzt in fünf Minuten vom Flughafen zum Bahnhof fahren, statt wie vorher in 15 bis 20 Minuten mit Bussen, die oft im Stau steckten. Der Mover fährt täglich, alle fünf Minuten, von morgens sechs Uhr bis Mitternacht. Realisiert wurde er von der Südtiroler Seilbahnfirma Leitner in Kooperation mit der Baufirma Condotte d'Acqua. Die Firmen rechnen mit zwei Millionen Passagieren pro Jahr, von 2020 an sollen es 2,6 Millionen sein. Marco Filippeschi, Bürgermeister von Pisa, sagt: "Der Pisa-Mover steht für innovative, urbane Mobilität, was sich auf die gesamte Stadt positiv auswirken wird."

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Beginnt hier die Zukunft des Verkehrs? Blick auf die Altstadt von Pisa.

(Foto: imago/blickwinkel)

Die ersten Reisenden waren skeptisch. "Das Ganze scheint mir eher ein Vorzeigeobjekt zu sein als eine wirkliche Innovation - typisch italienisch", sagt John Howard aus London. Seine Frau Penny hat sich vor sieben Jahren eine Wohnung in Florenz gekauft und beide pendeln regelmäßig über Pisa nach Florenz. "Am Flughafen war am Anfang total schlecht ausgeschildert, wo man den Mover findet", sagt Penny. "Als ich endlich den Ticket-Schalter gefunden und eine Viertelstunde gewartet hatte, konnte ich noch nicht mal mit Karte bezahlen und musste erst noch Geld umtauschen." Von "Kinderkrankheiten" sprach Maurizio Todesco vom Hersteller Leitner damals. Man habe mit Hochdruck daran gearbeitet, die Probleme zu lösen.

Die "Geburt" des Pisa-Movers begann 2009. Die EU-Kommission hatte damals unter anderem Pisa zu einer Konferenz zur Zukunft des Verkehrs in Europa eingeladen. Bürgermeister Filippeschi präsentierte seine Idee von einer schnellen und umweltfreundlichen Verbindung vom Flughafen nach Pisa Centrale. Der Antrag wurde angenommen. Naheliegend wäre gewesen, die vorhandene Gleisverbindung Florenz-Pisa zu nutzen. "Lange Jahre konnte man direkt von Florenz zum Flughafen von Pisa fahren und am Anfang war es sogar möglich, das Gepäck in Florenz einzuchecken", erzählt Penny. Warum, fragt sie, wurden auf dieser Strecke nicht modernere Züge eingesetzt, die häufiger fahren?

Dazu hätte man ein zweites Gleis gebraucht, erklärt Enrico Beccatini, Direktor für Mobilitätspolitik, Infrastruktur und öffentlichen Nahverkehr der Region Toskana. Das wäre zu teuer geworden. Die Zugverbindung Florenz-Pisa musste also vorerst bleiben und erst einmal das Stück zum Flughafen modernisiert werden. Die Überlegung, mehr Busse einzusetzen, schied rasch aus - das wäre nicht umweltfreundlich und hätte zu noch mehr Staus geführt. Ein "Personal Rapid Transit", eine Art Kabinentaxi auf Schienen, sei ebenfalls nicht infrage gekommen, weil damit nur vier bis sechs Personen auf einmal hätten transportiert werden können. Schließlich schlugen Ingenieure den People-Mover vor, entweder mit Motor an Bord wie bei einer S-Bahn oder per Seilbahn-Technik. "Die Seilbahn-Technik war 30 Prozent preiswerter bei gleichen Wartungskosten - also haben wir uns dafür entschieden", sagt Bürgermeister Filippeschi. 21 Millionen Euro steckte die EU in das Projekt, 51 Millionen kamen von den beteiligten Firmen. Das Geld floss nicht nur in Bau und Inbetriebnahme des Movers, sondern auch in ein neues Radwegenetz, verbesserte Fußwege und zusätzliche Kreisverkehre.

Schienenverkehr: Weil sie 30 Prozent günstiger ist als eine S-Bahn mit Motor, haben sich die Verantwortlichen in Pisa für die Seilbahntechnik entschieden.

Weil sie 30 Prozent günstiger ist als eine S-Bahn mit Motor, haben sich die Verantwortlichen in Pisa für die Seilbahntechnik entschieden.

(Foto: Leitner)

Ihr habe der Mover noch zu viele Kinderkrankheiten, klagt indes Penny. Immerhin könne man inzwischen ein Zugticket von Florenz bis Pisa Flughafen online kaufen und aufs Handy laden oder ausdrucken. Dann aber fehlte an der Sperre ein Scanner für die Tickets, erzählt sie. Die Leute seien einfach drübergestiegen. Jetzt gebe es zwar einen Scanner, doch Personal müsse den Leuten den Umgang damit erklären.

"Bis all diese Kinderkrankheiten beseitigt sind, fahre ich lieber mit dem Bus", sagt Penny. Der wird von einer privaten Gesellschaft betrieben und fährt direkt vor der Tür vom Flughafen Pisa ohne Halt nach Florenz. "Das ist viel angenehmer", sagt Penny. Da kümmere sich der Busfahrer ums Gepäck. Der Bus braucht eine Stunde und zehn Minuten, der Zug zehn Minuten mehr - ohne Verspätung oder Stau natürlich. Zwischen Busbetreibern sowie Politikern und Trenitalia scheint indes ein Streit zu schwelen: Während früher der Flughafenbus in Florenz direkt vor dem Bahnhof abfuhr, wurde die Haltestelle jetzt verlegt. Um vom Haupteingang dorthin zu gelangen, kann es schon mal zehn Minuten dauern. "Das ist Schikane", glaubt Penny. "Die wollen, dass wir den Zug nehmen." Im Internet protestieren Reisende, dass sie den neuen Halt nicht finden. Präsident Rossi regt sich hingegen über die Busse auf: "Die widersprechen meinem Traum von einem sauberen, nachhaltigen Verkehrskonzept."

Er hat viel vor, um den Traum der "kleinen Schweiz" zu verwirklichen. Wild beginnt er auf ein Papier zu zeichnen: Bahntrassen, Bahnhöfe, Orte. Florenz soll einen neue Station inklusive Busbahnhof bekommen, rasch erreichbar per Tram. Die Fernbus-Flotte soll durch leise, umweltfreundliche Busse und alle Regionalzüge durch nagelneue ersetzt werden. Am Flughafen Florenz ist eine neue Landebahn geplant, und 2019 soll endlich auch die Straßenbahn-Linie zum Flughafen fertig werden.

Und sein Herzensprojekt? Rossi zeichnet erneut: Ein 7000 Hektar großes Gebiet neben dem Flughafen Florenz soll ein Naherholungsgebiet werden, mit Spazier- und Radwegen und vielen Bäumen. Die sollen den gesamten CO₂-Ausstoß der Flugzeuge kompensieren. Im Frühjahr 2018 ist die Eröffnung geplant. Der Pisa-Mover sei nur ein Teil des Traums, sagt Rossi. "Hoffentlich verstehen auch die Italiener, wie schön es ist, in einer kleinen Schweiz zu leben."

So funktioniert die Seilbahn auf Schienen

Der Pisa Mover ist eine Seilbahn auf Schienen - und sehr flexibel: Die Schienen können gerade oder in Bögen verlaufen, bergauf oder bergab, die Wagen können größer oder kleiner sein, einzeln fahren oder zu Zügen gekuppelt werden. Entweder bildet das Zugseil eine endlose Schleife ("Umlaufbetrieb"), an die unterschiedlich viele Wagen hintereinander aufgefädelt im Kreis unterwegs sind. Oder die Wagen fahren im Pendelbetrieb wie beim Pisa-Mover, also zwei Wagen oder zwei Züge immer hin und zurück, jeweils auf einer eigenen Trasse. Die Klemme, die Wagen und Zugseil verbindet, öffnet sich beim Pisa-Mover automatisch, sobald er in die Station fährt. Zum Ein- und Aussteigen werden sie sanft abgebremst. Solche People-Mover kann man auf Strecken bis zu acht Kilometern bauen, sie fahren bis zu 40 Kilometer pro Stunde und können stündlich maximal 4000 Leute je Richtung transportieren. People Mover gibt es in vielen Städten, bevorzugt an Airports - beispielsweise die Skymetro am Zürcher Flughafen, die Squaire Metro in Frankfurt, die Mini-Metro in Perugia oder der Cable Liner am Flughafen in Birmingham. Felicitas witte

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