Rolls-Royce Phantom Drophead Coupé:Jenseits von Edel

Unterwegs im Rolls-Royce Phantom Drophead Coupé. Einem Auto wie aus einer anderen Welt.

Jörg Reichle

Diese Stille ist überwältigend. Das Öffnen der Tür: lautlos. Das elektrisch niedergleitende Fenster: stumm. Der startende Zwölfzylinder: fast unhörbar. Im Blickfeld vor uns liegt die Hochebene der Motorhaube, eine ausladende, beruhigende Landschaft, an deren Horizont sich jene kleine, leicht asymmetrisch beflügelte und silbrig glänzende Dame in den Wind reckt, die alle Welt mit Namen kennt. Emily ist Rolls. Und umgekehrt.

Rolls-Royce Phantom Drophead Coupé: Gullivers Reise:Das Drophead Coupé ist 5,60 Meter lang und hoch wie ein Geländewagen.

Gullivers Reise:Das Drophead Coupé ist 5,60 Meter lang und hoch wie ein Geländewagen.

(Foto: Foto: Rolls-Royce)

Der Phantom beginnt dort, wo andere nie hinkommen

Das Phantom Drophead Coupé, das nur unbekümmerte Naturen als Cabrio bezeichnen würden, ist das zweite Modell, seit die britische Marke 1998 in BMW-Regie überging. Und ein mutiger Schritt in die Moderne, wenn man so will. Zum ersten Mal in der Rolls-Royce-Historie wagte man, die Kühlermaske leicht nach hinten zu neigen. Auch von Leichtbau durch den massiven Einsatz von Aluminium ist die Rede. Was bei 2,6 Tonnen Leergewicht aber eher humorvoll zu sehen ist.

Der Phantom beginnt also dort, wo andere nie hinkommen. Natürlich steigt man in dieses Auto auch nicht ein, sondern auf. Und betritt eine andere Welt, schwer von Tradition und Würde. Die Tür, die einem dezent entgegenschwingt und, wenn man will, elektrisch wieder ins Schloss fällt, ist hinten angeschlagen - eine Hommage an die klassischen Roadster oder Coupés, die schlanken Bugatti, die rassigen Bentley, die strengen Mercedes.

Holz, Leder und Chrom, die heilige Dreifaltigkeit des klassischen Automobilbaus, ignorieren im Phantom gelassen die Erfindung des Kunststoffs. Leder schmiegt sich über die Skulpturen der Sitze, ist gespannt über die Steilwand der Türen, adelt duftend noch das kleinste Detail. Endlos möchte man die schimmernden Chromknöpfe zwischen den Fingerspitzen drehen. Mehr als 80 Prozent der Kunden, erfährt man auf Nachfrage, lassen sich Lack, Verdeck und Inneneinrichtung nach eigenen Vorgaben erstellen.

Jenseits von Edel

Nirgends, Gott bewahre, eine Spur von Großserie, auch wenn unter der mondänen Hülle längst die Synergien mit BMW ihre kostensenkende Wirkung entfalten. Das Navi zum Beispiel. Oder die Klimaanlage. Und natürlich der Motor, ein feiner V12 mit 6,7 Liter Hubraum, der sich herablässt, tonnenweise Auto vibrationsfrei in Bewegung zu versetzen.

Rolls-Royce Phantom Drophead Coupé: Aus diesem Auto für 450.000 Euro sieht man die Welt mit anderen Augen.

Aus diesem Auto für 450.000 Euro sieht man die Welt mit anderen Augen.

(Foto: Foto: Rolls-Royce)

Stilecht rechtsgelenkt

Früher, heißt es, hätten die Ingenieure von Rolls-Royce die Frage nach der Motorleistung mit einem angewiderten Gesichtsausdruck und einem knappen "genug" mehr zurückgewiesen, denn beantwortet. Heute weiß man zwar, dass 460 kräftige Pferdestärken zu Diensten sind, aber noch immer redet man darüber eher beiläufig. Stattdessen ziert die mächtige hölzerne Armaturentafel ein Instrument, das stets die beanspruchte Motorleistung anzeigt.

Um es vorauszuschicken: Mehr als 20 Prozent waren es selten. Nur die steilen Anstiege aus dem frühlingshaften Lechtal hinauf zum verschneiten Arlberg fordern das Drophead Coupé ernsthaft, das heißt etwa zu 50 Prozent. Dort zeigt sich auch: Alpenstraßen sind nicht für einen Rolls gemacht. 5,60 Meter ist das Coupé lang, an die zwei Meter breit und fast so hoch wie ein Saurer-Postbus. Das waren die, die uns früher in den Bergen immer zur Flucht in eine Ausweichbucht zwangen.

Auch das dünne Volant mit dem großen flachen Pralltopf ist so riesig, als stamme es aus den Fünfzigern. Verblüffenderweise lässt sich der Rolls damit mit zwei Fingern dirigieren, die Lenkung ist präzise wie die Hausordnung im britischen Parlament. Stilecht rechtsgelenkt ist unser Coupé, wir legen mit dem Lenkstockhebel eine Fahrstufe ein und vergessen fortan das Getriebe. Und nur, wenn bergab die Tonnen allzu ungebührlich schieben, empfiehlt sich ein Druck auf die kleine L-Taste am Volant. Worauf sich die nächstniedere Fahrstufe einstellt und die Fuhre bremst.

Jenseits von Edel

Ansonsten ist Gelassenheit die natürliche Wesensart eines Rolls. Überholen? Würdelos. Hupen sowieso. So gleitet man dahin wie eine Hochseeyacht, sieht in der Bugwelle die winzigen Nussschalen nach beiden Seiten davontreiben und prüft den Stand der Winde.

Und lässt sich bewundern ohne Eindruck zu schinden. Bergbauern vergessen ihre Feldarbeit, Kinder lassen die Ranzen fallen, Mädchen holen ihr reizendstes Lächeln hervor. Ein Rolls ist im Dorf. Und wenn es genug ist mit dem Zuwinken, hebt sich auf Knopfdruck leise surrend das fünfschichtige, innen mit Cashmere gefütterte Verdeck und wird eine schützende Höhle vor der Welt.

Die angemessene Art der Fortbewegung ist das Gleiten

Dann ist Zeit für die Betrachtung des Inneren. Für die Noblesse des Salons zum Beispiel. Oder für die tatsächlich einmalige Kunst des Fahrwerks, weich wie ein Kissen, die Straße und den Grad ihres Verfalls vergessen zu lassen. Einerseits. Andererseits kann dieser Rolls auch durchaus schnell fahren. Bis zu 240 km/h, um genau zu sein. Und er lässt sich in 5,9 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen. Ohne Mylord am Steuer auch nur eine Sekunde zu verunsichern.

Viel lieber ist es dem Drophead Coupé aber, mit 90 km/h leise dahinzurauschen, ganz ohne Kawumm. Dass es dabei über die Strecke so 15, 16 Liter edlen Saft zu sich nimmt, sollten wir nicht überbewerten, denn diese Spezies ist bei einer Produktion von 250 Stück per annum und kaum fünfstelligen Laufleistungen kein wirklich geeignetes Hassobjekt für Umweltaktivisten.

Stattdessen so fern und eindrucksvoll wie ein Komet am nächtlichen Himmel. Der Gegenwert von allermindestens 450.000 Euro liegt da sozusagen in der Natur der Sache.

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