Rolls-Royce / Bentley:Nicht nach dem Preis fragen

Der Kundenwunsch ist der britischen Nobelmarke heilig

(SZ vom 17.08.1996) "We build motor cars for people we know", behaupten die wohl renommiertesten Automobilbauer der Welt. Ihre Autos heißen Rolls-Royce und Bentley, und sie demonstrieren erstmals seit Jahren wieder jenes ausgeprägte Selbstbewußtsein, das auch ihre Kunden charakterisiert. Dazu hat Rolls-Royce offensichtlich gute Gründe. Das Anfang 1995 gestartete, ambitionierte Investitionsprogramm fruchtet: Die Produktion wurde reorganisiert, und im ersten Halbjahr dieses Jahres verließen 25 Prozent mehr Neuwagen das Werksgelände als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Rolls-Royce entwickelt aus der Not eine Tugend. Weil der Nachfolger der bereits heftig in die Jahre gekommenen Limousine noch einige Zeit auf sich warten läßt, muß mit neuen Versionen zum altbekannten Thema Kompetenz demonstriert werden. Und das gelingt von Jahr zu Jahr besser, wie die jüngste Geschäftsentwicklung zeigt. Schließlich behauptet RollsRoyce, seine Kunden besser zu kennen als jede andere Automarke.

Chauffeur an Bord

Stolze 70 Prozent aller Rolls-Royce- und Bentley-Kunden besitzen einen SKlasse-Mercedes oder 7er-BMW. 27 Prozent von ihnen fahren einen Ferrari oder Porsche und 21 Prozent einen Jaguar. Daß diese Klientel darüber hinaus noch Zeit findet, das britische Luxusschiff aus Crewe zu bewegen, mag schwer zu verstehen sein. Um so mehr, als dessen jährliche Kilometerleistung in den vergangenen 24 Monaten sogar um durchschnittlich 45 Prozent auf mehr als 20 000 Kilometer stieg. Immerhin wurden 24 Prozent dieser Edelkarossen von Chauffeuren gefahren.

Daß die Verteilung der Laufleistung auf mehrspurige Schnellstraßen (43 Prozent) und Stadtfahrten (55 Prozent) gesellschaftlichen Zwängen folgt, muß vermutet werden. Mehr als die Hälfte aller Rolls-Royce- und Bentley-Kunden besitzen nämlich eine Kunstsammlung und 37 Prozent eine Jacht, beide sicherlich in Stadtnähe gelegen. Da verwundert es kaum noch, daß 34 Prozent selbstverständlich auch eine zweite Residenz im Ausland unterhalten.

Von guter Kenntnis der Kundenwünsche zeugt das "Feintuning" der neuen Flotte des Modelljahrs 1997. Wer einen italienischen oder deutschen Sportwagen chauffiert, mag sich nicht mit einer 2,5-Tonnen-Limousine zufrieden geben, die von "mageren" 184 kW (250 PS) auf Trab gehalten wird. Die Erkenntnis führte zum Entschluß, grundsätzlich alle Modelle mit Turbomotoren anzubieten. So treibt der leicht aufgeladene 6,75-Liter-V 8-Motor den Rolls-Royce Silver Spur und das Langschiff Park Ward an. Er leistet 224 kW (305 PS) und arbeitet ebenfalls im Bentley Brooklands. Den Bentley-Modellen Turbo R (Limousine), Continental R (Coupé) und Azure (Cabriolet) bleibt das baugleiche, aber stärker aufgeladene Turbo-Triebwerk mit Ladeluftkühlung vorbehalten. Es leistet stattliche 286 kW (389 PS) und kommt darüber hinaus im nagelneuen Continental T zum Einsatz, einem um 10 Zentimeter auf 4,96 Meter verkürzten Coupé.

Doch Rolls-Royce wäre nicht Spezialist für Kundenzufriedenheit, würde nicht auch eine Ausnahme zugelassen. Sie heißt Rolls-Royce Silver Dawn und ist das, was andere Hersteller ihr Einstiegsmodell nennen. Für etwa 250 000 Mark sorgen 182 kW (247 PS) aus dem gleichen, nicht zwangsbeatmetem V8-Saugmotor für Fahrleistungen, die zum Charakter des luxuriösen Reisens passen. Sein Name (englisch dawn = Morgendämmerung) indes ist Programm. Bereits in der Nachkriegszeit trug ein sehr erfolgreich verkauftes Modell diesen Titel. Mit dem neuen Silver Dawn materialisieren seine Väter die herrschende Aufbruchstimmung dieser Tage. Weil das bisherige "Basismodell" Rolls-Royce Silver Spirit in der Vergangenheit immer häufiger in der Langversion mit 3,16 Meter Radstand und mehr Knieraum im Fond verlangt wurde, kommt der neue Silver Dawn, der den bisherigen Silver Spirit ablöst, ausschließlich mit langem Radstand.

Daß alle Modelle für die Moderne bestens gerüstet sind, zeigen die Ausstattungsmöglichkeiten eines jeden Modells. Die als "Park Ward" bekannte Abteilung für Sonderwünsche kennt wirklich alles, außer einem Wort: unmöglich! Ob Bar mit Gläsern für jeden Anlaß, PC oder TV, ob Navigationssystem, Telephon oder fernbediente Audioanlage. Ein Rolls-Royce oder Bentley wird jedem Interessenten individuell angepaßt. "Unsere Kunden kaufen ihre Garderobe ja auch nicht von der Stange", weiß Marketingdirektor Keith Sanders.

Deshalb gehört auch der Begriff "Grundpreis" nicht zum Vokabular der Rolls-Royce-Klientel. Rechnen sollte man mit bis zu 470 000 Mark für einen Rolls-Royce Park Ward von sechs Metern Länge und stattlichen 2,77 Tonnen Leergewicht. Zuzüglich Individualausstattung, die neben der Waage auch das Portemonnaie belasten kann. Doch wie lautet eine der vielen Rolls-Royce-Weisheiten? "Wer nach dem Preis fragt, kann sich keines unserer Automobile leisten."

Von Jürgen Zöllter

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