Rolls-Royce:Alltagsauto für Millionäre

Der Rolls-Royce von Lady Gaga bei der Julien's Auctions to Benefit MusiCares

Lady Gagas Rolls-Royce bei der Versteigerung für "MusiCares".

(Foto: dpa)

Rolls-Royce fahren ist keine sehr subtile Art Wohlstand zu präsentieren. Jedes Fahrzeug kostet so viel wie Reihenhaus. Dafür gibt es ein Auto in Handarbeit. Und den Kunden werden auch bizarre Wünsche erfüllt.

Von Björn Finke, Chichester

Man sieht sie erst, wenn man direkt vor ihr steht: eine Halle, eher lang als hoch, viel Glas, auf dem Dach wächst Gras. Eingerahmt von Wiesen, Hügeln, einem See und akkurat gestutzten Bäumen. Dieses Werk hat keine Schornsteine, es ist weder von einer Asphaltwüste noch von hohen Mauern umgeben. Und doch ist dieser Standort im Grünen eine Autofabrik, wenn auch eine der exklusivsten der Welt. Denn dort, in einem Vorort von Chichester, einem Städtchen 100 Kilometer südwestlich von London, fertigt Rolls-Royce seine teuren Karossen. Die altehrwürdige Marke gilt als Inbegriff für Luxus und für Britishness, tatsächlich haben hier allerdings Deutsche das Sagen. Das Unternehmen gehört BMW, und es waren die Münchner, die das gut versteckte Werk in der 30 000-Seelen-Gemeinde hochzogen.

Seit 2003 rollen hier Limousinen aus der Halle. Den Anfang machte das Modell Phantom, die erste Baureihe, die unter der Regie von BMW entwickelt wurde. Mit dem Ghost und Wraith folgten zwei weitere Limousinen-Modelle. Bald könnte ein eher ungewöhnliches viertes hinzukommen: ein Rolls-Royce-Geländewagen.

Rivale Bentley bringt 2016 einen luxuriösen SUV auf den Markt, also einen dieser Pseudo-Geländewagen. Und Rolls-Royce-Chef Torsten Müller-Ötvös sagt, sein Team überlege ebenfalls gerade, wie ein SUV aussehen könnte. Die Entscheidung, ob ein solches Modell wirklich kommt, sei jedoch noch nicht gefallen. Viele Kunden äußerten allerdings den Wunsch nach dieser Version. So ein Wagen wäre weniger formell und außerdem vielseitig einsetzbar, sagt der 53-jährige Deutsche. "Mit einem SUV können Sie gut an der Oper vorfahren, Sie können zu Ihrem Chalet in den Alpen fahren oder in den Yachthafen."

Ein echtes Alltagsauto für Millionäre

Unter dieser Klientel erfreut sich die Marke steigender Beliebtheit. Im vorigen Jahr verkaufte Rolls-Royce 3630 Autos mit der Kühlerfigur Spirit of Ecstasy, die gerne auch Emily genannt wird - ein Rekord. "Und das erste Quartal 2014 war gleichfalls hervorragend", sagt Müller-Ötvös, seit 2010 Chef der Firma mit weltweit 1400 Beschäftigten. Für BMW sei die Tochter ein "lohnendes Investment", versichert er, ohne Details zu verraten. Rolls-Royce wiederum hätte ohne das Kapital der Mutter und den Zugang zu deren Technologie nicht überleben können. Der Dax-Konzern musste der Marke erst wieder neues Leben einhauchen, nachdem sie unter dem alten Eigner einen Niedergang erlitten hatte. "Rolls-Royce hat in den Achtzigerjahren stark an Glanz verloren", sagt er. "Es war nicht genug in die Produkte investiert worden, die Qualität litt, die Marke wurde beschädigt."

Für BMW-Verhältnisse sind 3630 Autos im Jahr ein Witz. Aber so klein die Produktion, so hoch die Preise: Unter 250 000 Euro ist kein Rolls-Royce zu haben. "Damit fühlen wir uns sehr wohl. Wir wollen in diesem Segment bleiben", sagt der Manager, der nach einem Betriebswirtschaftsstudium 1988 bei den Münchnern anfing.

Wobei es nicht gerade zum grünen Zeitgeist passt, sich ein benzinschlürfendes, extragroßes Schlachtschiff der Straße zuzulegen. Und dafür so viel Geld zu zahlen wie andere Leute für ihr Reihenhaus. Rolls-Royce zu fahren ist keine sehr subtile Art, Wohlstand zu präsentieren. Der kalifornische Elektroflitzer Tesla ist da deutlich besser für das grüne Gewissen - und nicht so teuer und so protzig. Müller-Ötvös zeigt allerdings keine Angst vor grünen Rivalen: "Soll ich einen Rolls-Royce oder ein anderes schönes Auto kaufen? Das ist für unsere Kunden nicht mal ansatzweise die Frage." Diese hätten im Schnitt fünf bis sieben Fahrzeuge in der Garage. Sie hätten für jeden Anlass das passende Auto, "so wie andere Menschen für jeden Anlass eine passende Garderobe haben". Sprich: Im Zweifel erwirbt ein Millionär einfach beide, einen Tesla und einen Rolls-Royce.

Rolls-Royce feiert Sir Malcolm Campbell's Water Speed Record

Das Klientel von Rolls-Royce ist exklusiv - und soll es auch bleiben. 3630 Autos verkaufte man im vergangenen Jahr.

(Foto: Getty Images)

Vor drei Jahren fertigte die BMW-Tochter eine Limousine mit reinem Elektroantrieb, als einmaliges Experiment. Kunden durften Probe fahren - und waren wegen der geringen Reichweite nicht angetan. Das Aus für dieses Projekt. Sollte der Gesetzgeber jedoch eines Tages in Innenstädten nur noch Elektroautos zulassen, werde Rolls-Royce Hybridmodelle auf den Markt bringen, verspricht der Manager, also Autos, die zwischen Verbrennungs- und Elektromotor hin- und herschalten.

Direkt neben dem Werk können Kunden mit ihrem Privatjet landen

Der 1906 gegründete Luxushersteller gehörte lange dem britischen Rüstungskonzern Vickers. 1998 verkaufte dieser die Tochter, die außerdem Bentleys produzierte, an Volkswagen. Dummerweise hatte aber BMW inzwischen die Rechte am Namen Rolls-Royce erworben. Die zwei deutschen Rivalen einigten sich: BMW darf seit 2003 Rolls-Royce-Limousinen fertigen, Volkswagen behielt dafür die Schwestermarke Bentley und das alte Stammwerk der Firma in Crewe bei Manchester. Daher musste BMW eine neue Fabrik bauen.

Und die setzten die Münchner an die idyllische Ärmelkanalküste fernab von Crewe. "Die Lage des Werks gehört zum Marketingkonzept", sagt Müller-Ötvös. "Die Gegend ist schön und sehr englisch, es ist ein Genuss herzukommen." Viele Kunden besuchten die Fabrik. Praktischerweise befindet sich in der Nachbarschaft eine kleine Landebahn für Privatflieger. Ebenfalls um die Ecke wird alljährlich das Goodwood Festival of Speed veranstaltet, ein nostalgisches Rennen, das Autoverrückte aus aller Welt anlockt.

Wer sich das Werk anschaut, sieht viele Menschen, aber keine Roboter. Die werden nur in der Lackiererei eingesetzt, und dieser Teil der Fabrik ist für Gäste geschlossen. Ansonsten ähnelt die Fertigung einem Manufakturbetrieb. Es gibt zwei Produktionsstraßen mit elf und 16 Stationen, doch die halb fertigen Luxusschlitten werden nicht über ein Fließband weiterbewegt, sondern von Mitarbeitern mit einer Art Hubwagen geschoben. Behandschuhte Angestellte montieren die Verkabelung in einen Wraith, das jüngste der drei aktuellen Modelle. Hinter ihnen große Fenster, die einen Blick ins Grüne eröffnen. Auf der Fertigungsstraße daneben stehen Phantoms, die größte Baureihe. Deren Kunden lassen sich in der Regel von einem Chauffeur fahren. Die Autos sind schwarz lackiert, und an den Fenstern der Rücksitze bieten Vorhänge ein wenig Diskretion. Schwarz und Vorhänge: Die Kombination ist vor allem bei chinesischen Abnehmern ein Renner. Und davon gibt es einige. China und die USA sind mit jeweils gut einem Viertel des Umsatzes die wichtigsten Märkte, danach kommt der Nahe Osten. Auf Europa entfallen gerade mal zehn Prozent der Erlöse.

In einem Phantom stecken die Häute von elf Bullen

Im Schnitt stecken 800 Arbeitsstunden in einem Auto, von Bestellung bis Auslieferung dauert es drei Monate. Ordert der Kunde viele Maßanfertigungen, kann es länger als ein halbes Jahr dauern. Da geht es nicht nur um besondere Holzsorten oder Einbauten wie Kühlschrank und Tresor. Die Käufer können auch ihr Wappen auf das Leder der Sitze sticken lassen. Selbst für große Kunstwerke ist genug Fläche da: In einem Phantom sind die Häute von elf Bullen verarbeitet. Die Rinder stammen von Biohöfen und werden nicht nur für Sitzbezüge, sondern ebenso wegen des Fleisches geschlachtet - ob das Tierfreunden ein Trost ist? In den Leder- und Holzabteilungen der Fabrik sind fast 300 der 1100 Beschäftigten des Standorts tätig.

Der Innenraum des Rolls-Royce Phantom Coupé Aviator

Für die Ledersitze eines Rolls-Royce Phantom, hier in der Variante "Coupé Aviator" zu sehen, werden die Häute von elf Bullen verarbeitet.

(Foto: STG)

Beliebt ist es auch, auf der Innenseite des Autodachs aus Hunderten kleiner Lichtpunkte einen Sternenhimmel erstrahlen zu lassen - gerne mit dem individuellen Sternzeichen. Neben der Fertigungsstraße sitzt eine Angestellte vor einem dieser Dachbezüge und näht von Hand Glasfaserkabel ein. Das dauert bis zu anderthalb Tage. Ihre Kreativität können Käufer genauso beim Lack ausleben. Ein Kunde aus dem Nahen Osten wollte da Goldpulver reingemischt haben: 19 Gramm pro Liter, wobei auf die Riesenkarossen 30 Liter Farbe gesprüht werden. Allein die Materialkosten des Goldes lagen bei mehr als 25 000 Euro. Manche haben offenbar zu viel Geld.

Eine Kundin aus Paris hatte keine Zeit für einen Besuch, schickte aber ihren pinken Lippenstift - so sollte der Wagen aussehen. Die Lackierer fingen an zu mischen. Jeder sechste Abnehmer ist inzwischen eine Frau, ihr Anteil wächst. "Selbst in Saudi-Arabien haben wir einer Unternehmerin einen Rolls-Royce verkauft", sagt Müller-Ötvös. Dabei dürfen da keine Frauen ans Steuer. Doch wozu gibt es Chauffeure?

Mit pinken Limousinen hat der Hersteller kein Problem

Mit pinken Limousinen hat er kein Problem: "Wir sind nicht die Geschmackspolizei. Wir würden nie einen Wunsch ablehnen." Die Maßanfertigung hält der gebürtige Düsseldorfer sogar für ein Erfolgsgeheimnis: "Ich glaube, Massenluxus hat keine Zukunft. Aber High-End-Luxus, wo Käufer ihre eigene Handschrift einbringen können, hat eine sehr gute Zukunft." Rolls-Royce baue kein "Bling-Bling", sondern etwas, bei dem Kunden sagen könnten: "Ich habe das von Anfang an mitgestaltet."

Der Rolls-Royce Phantom 102EX

Wenn der der Gesetzgeber eines Tages in Innenstädten nur noch Elektroautos zulässt, würde auch Rolls-Royce Hybridmodelle auf den Markt bringen, verspricht CEO Torsten Müller-Ötvos.

(Foto: dpa-tmn)

Bei den Karosserien endet die Maßanfertigung - die liefert BMW aus Dingolfing. Auch die Motoren fertigt BMW, wobei der Chef betont, die Antriebe würden extra für Rolls-Royce gebaut, in BMWs fänden die sich nicht. Trotzdem: Ist Rolls-Royce nicht im Kern ein bayerisches Auto? Er widerspricht vehement: "Die Form bestimmt nicht die Karosseriefabrik, sondern der Designer." Und der sei Engländer. Rolls-Royce lege viel Wert darauf, eine englische Marke zu sein. Eine Fertigung außerhalb Großbritanniens komme nicht infrage.

Der Münchner Mutterkonzern setzt Müller-Ötvös kein Umsatz-, sondern ein Gewinnziel. Daher will der Deutsche die Anzahl der Fahrzeuge gar nicht rasant steigern. "Wir würden nie ankündigen, demnächst 15 000 Autos pro Jahr zu bauen", sagt er. "Unsere Kunden würden die Stirn runzeln." Ein Seitenhieb auf Bentley - die Volkswagen-Tochter setzte sich kürzlich dieses Ziel. Aber Einsteiger-Bentleys sind eben auch schon für deutlich unter 200 000 Euro zu haben. Die Luxusmarke Ferrari verordnete sich hingegen eine Höchstgrenze, die Italiener wollen nicht mehr als 7000 Fahrzeuge jährlich fertigen. "Wir werden sicher immer unter einem solchen Wert liegen", sagt der Manager.

Selbst wenn demnächst vielleicht Geländewagen aus der Halle im idyllischen Chichester rollen.

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