Retro-Bikes:Pures Vergnügen

Triumph Bonneville

Die Triumph Bonneville hat 2001 die Retrowelle bei den Motorrädern ausgelöst.

(Foto: Triumph)

Lange Zeit sahen viele Motorräder aus wie Insekten auf zwei Rädern. Jetzt feiern klassische Maschinen mit schnörkelloser Optik ein Comeback. Ein Glück!

Von Peter Fahrenholz

Wenn Christian Schmiedt, Chef des Münchner Triumph-Händlers Rock'n'Ride, einen neuen Kunden in seinen Laden kommen sieht, erlebt er oft, dass der begeistert vor einem ganz bestimmten Modell stehen bleibt. Und sich auf dem Gesicht spiegelt: Wow, sieht die geil aus. Triumph verkauft die Bonneville, die so viel Leidenschaft auslöst, seit 2001 und hat damit auf ein Segment gesetzt, lange, bevor es zum Trend wurde: Motorräder mit moderner Technik, aber im klassischen Design. Die Bonneville ist ein Bestseller bei Triumph. "Wir verkaufen die wie geschnitten Brot", sagt Schmiedt.

Begehren kann man auch über die Optik wecken

Gut möglich, dass er in Zukunft noch mehr Brot aufschneiden kann. Denn seit zwei, drei Jahren gibt es einen klaren Trend hin zu Retro-Bikes, nicht nur bei Triumph. Keine Oldtimer, wie sie von unzähligen Hobbyschraubern liebevoll gehegt und gepflegt werden müssen, damit sie überhaupt noch fahren. Sondern Motorräder auf dem neuesten Stand der Technik, die aber aussehen wie früher. Oder an Modelle von früher anknüpfen. "Das Segment wird bei uns immer wichtiger", sagt Triumph-Sprecher Uli Bonsels, "wir gehen davon aus, dass es noch weiter wächst."

Überraschend wäre das nicht, denn viele Menschen haben schon länger Sehnsucht nach Retro-Produkten, die nicht nur schön aussehen, sondern zugleich etwas Wertiges und Solides ausstrahlen. Doch die Motorradbranche hat die Zeichen der Zeit verschlafen. Als Honda vor zwei Jahren seine CB1100 endlich auch auf den deutschen Markt brachte, wurde die klassisch schöne Maschine, die auf den ersten Blick wie ein Nachbau erfolgreicher Honda-Modelle der Siebzigerjahre aussieht, von den Lesern einer Zeitschrift prompt zum Motorrad des Jahres gewählt.

Die Augen geöffnet hat das den Herstellern nicht. Seit Jahren tobt zwischen ihnen ein bizarrer Leistungswettkampf. Immer mehr PS, immer mehr Hubraum, immer mehr technische Gimmicks. Vielen neuen Modellen ging es wie ihren älter werdenden Fahrern: Sie wurden immer schwerer. Und obwohl das Durchschnittsalter der Kunden höher und höher wird, überbieten sich die Hersteller in der Entwicklung immer stärkerer Sportmotorräder, die kaum ein Mensch kauft. Denn für den normalen Straßenverkehr ist so ein 200-PS-Monster völlig untauglich, für den Durchschnittsfahrer kaum mehr beherrschbar. Das wäre ungefähr so, als würde man mit einem Formel-1-Wagen zum Bummeln durch die Stadt fahren.

Wie riesige Insekten - oder Panzer auf zwei Rädern

Selbst im beliebtesten Motorradsegment, den großen Reiseenduros, tobt der Leistungswahn. Sie werden bevorzugt von Herren mittleren bis gesetzten Alters gekauft, um damit kleinere bis sehr große Touren zu unternehmen, mit viel Gepäck und gerne mit der Gattin als Sozia hintendrauf. Klingt nicht unbedingt nach wildem Draufgängertum. Trotzdem hat der österreichische Hersteller KTM, um dem Marktführer BMW ein bisschen das Wasser abgraben zu können, eine Großenduro mit 160 PS auf den Markt gebracht. 160 PS braucht kein Mensch, um damit das Stilfser Joch rauf- und wieder runterzufahren.

Über die Optik vieler Motorräder braucht man erst gar nicht zu reden. Entweder sehen sie aus wie riesige Insekten oder wie Panzer auf zwei Rädern. Mit vielen billigen Plastikteilen dran. Dabei spielt, anders als beim Autokauf, beim Motorradfahren die Emotion die Hauptrolle.

Die Zeiten, als man mit dem Motorrad zur Arbeit fuhr, weil man sich ein Auto nicht leisten konnte, sind längst vorbei. Motorradfahren hat deshalb mit Vernunft nur wenig zu tun, ähnlich wie Skifahren. Der einzige Grund, mit dem Motorrad irgendwohin zu fahren besteht meist darin, irgendwohin zu fahren. Es geht um Genuss, Spaß, Entspannung, Flucht aus dem Alltag, das Gefühl von Freiheit. Und natürlich auch um Geschwindigkeit, aber eben nicht unbedingt um die Höchstgeschwindigkeit. Viele Gefühle mischen sich dabei. Die meisten Hersteller haben aber vor allem auf Leistungsprotzerei gesetzt, um das Herz ihrer Kunden zu erreichen. Und dabei völlig vergessen, dass man Begehren auch über die Augen wecken kann.

Die friedfertige Lässigkeit der Ducati Scrambler

Das passiert jetzt endlich wieder. Ducati, sonst für brachiale Hightech-Maschinen bekannt, hat vor wenigen Monaten, begleitet von einer aufwendigen PR-Kampagne, die Scrambler auf den Markt gebracht. Sie knüpft wie die Bonneville an ein Modell an, das in den Siebzigerjahren gebaut wurde. Ein Motorrad, das nichts mit den anderen Ducatis zu tun hat, sondern schon auf den ersten Blick eine friedfertige Lässigkeit ausstrahlt. Und nach dem die Kunden Schlange stehen. Ducati hofft, in diesem Jahr 1500 Scrambler in Deutschland verkaufen zu können, damit wäre sie das bestverkaufte Modell der Italiener.

Die Kollegen von Moto Guzzi haben ihre V7, die seit 2008 auf dem Markt ist und sich ebenfalls auf historische Vorbilder bezieht, für dieses Jahr deutlich überarbeitet, um auf der Retrowelle besser mitschwimmen zu können. Die kleine Guzzi ist jetzt auch mit Antiblockiersystem zu haben und damit auch für Einsteiger interessant, die auf das Sicherheitsmerkmal ABS nicht verzichten wollen.

BMW R NineT - ein Überraschungserfolg

Und auch BMW, das in Deutschland mit Abstand die meisten Motorräder verkauft, hat mit der R NineT ein spektakuläres - und spektakulär schönes - Motorrad gebaut. Ausgerechnet BMW, haben viele gestaunt, denn die Bayern sind ansonsten zwar für technisch hochwertige, optisch aber biedere Fahrzeuge bekannt. Doch mit der R NineT wollte man bewusst an die 90-jährige Geschichte der Marke anknüpfen (Ja, auch BMW hat mal richtig schöne Motorräder gebaut). Bei den Käufern hat die neue Maschine, für die 14 500 Euro zu zahlen sind, eingeschlagen, 2014 hat BMW weltweit 8500 Exemplare verkauft, das schaffen andere Hersteller mit ihrer gesamten Produktpalette nicht. Von dem Erfolg waren die Münchner selbst überrascht. "Das hat uns sehr viele neue Kunden in die Showrooms gespült", sagt Robert Probst, Pressemann bei BMW.

Wie wichtig Design und eine spezielle Aura sind, macht die US-Kultmarke Harley-Davidson seit Jahren vor. Harley ist weit davon entfernt, die besten Motorräder der Welt zu bauen, in Vergleichstests schneiden die Maschinen meist mäßig ab. Aber das ist den Käufern völlig egal. Harleys gelten als klassische Schönheiten, die sich nach Belieben individualisieren lassen. Der Zubehörkatalog ist telefonbuchdick. Wer eine Harley erwirbt, kauft nicht bloß ein Motorrad, sondern einen Mythos, dessen Teil er werden möchte.

Die Neoklassiker erwecken auch einen Mythos zu neuem L eben, wenn auch einen etwas anderen. Easy going statt Easy Rider. Es geht einerseits um Genuss und Entschleunigung, andererseits um Reduktion auf das Wesentliche. Alle Maschinen in diesem Segment sind schnörkellos und puristisch. Kein Bordcomputer, durch dessen Menü man sich erst durchklicken muss, um alle Funktionen zu durchblicken. Keine Plastikverhunzung, die den Blick auf die Technik verstellt. Stattdessen wertige und oft einfach hinreißend schöne Details. Wie der Aluhöcker der BMW anstelle eines Sozius-Sitzes, der an die Café Racer der Sechzigerjahre erinnert. Damals sind junge Engländer auf aufgemotzten und umgebauten Triumphs oder Nortons kleine Straßenrennen gefahren, etwa vom legendären Ace Café in London bis zum nächsten Kreisverkehr. Es ging darum, zurück zu sein, ehe die Single aus der Jukebox zu Ende war.

Die Retro-Maschinen zielen auf Genussfahrer

Natürlich verzichtet keine der Maschinen auf moderne Technik, das unterscheidet die neuen Klassiker elementar von den echten Oldtimern mit ihren fragwürdigen Fahrwerken und wenig vertrauenswürdigen Bremsen. Und die Kunden sollen die Möglichkeit haben, ihre Maschine mit allerlei Zubehör zu verändern und so zum Unikat zu machen. Selbst BMW, wo das sogenannte Customizing bisher ein Fremdwort war, hat die R NineT extra so konstruiert, dass auch weniger versierte Schrauber Hand anlegen können.

Und die Fahrer? Die Vorstellung, hier würden vorwiegend alte Säcke ein Stück ihrer Jugend zurückholen wollen, liegt nahe, stimmt aber so nicht. Sicher gibt es die Wiedereinsteiger, die sich nach Karriere und Familie eine Maschine gönnen, die sie an früher erinnert. Und die sich das nach jahrzehntelanger Pause auch zutrauen. Als die Honda CB 1100 vor zwei Jahren präsentiert wurde, schlich vor allem die Generation 50 Plus um die Maschine herum.

Bunt gemischter Kundenkreis

Doch inzwischen ist es eine ganz bunte Mischung, die sich ein Motorrad im Retro-Look kauft. "Das Schöne ist, dass es auch junge Leute anspricht", sagt Guzzi-Sprecher Ansgar Schauerte. Der Altersschnitt der Bonneville-Kunden bei Triumph liegt heute bei Mitte dreißig - coole, junge Hipster, für die vor allem die Ästhetik wichtig ist und nicht irgendwelcher technischer Schnickschnack. Im Herbst wird auch das neue Modell der Bonneville endlich über ABS verfügen und damit die Lücke zu den neuen Konkurrenten schließen.

Die Frage ist, ob die neuen Maschinen und ihre Fahrer das Image des Motorradfahrens insgesamt wieder verändern können. Das ist ohne Zweifel eher schlecht. Raser, die im fünfstelligen Drehzahlbereich mit nervtötendem Geheule unterwegs sind, bringen die Leute ebenso auf wie die fetten Cruiser, die mit (meist illegal) aufgemotztem Auspuff durchs Wohngebiet bollern. Wenn gerade mal wieder die Sperrung einer besonders unfallträchtigen Strecke diskutiert wird oder von Polizeikontrollen bei Motorradfahrern die Rede ist, gibt es in den einschlägigen Foren meist zwei Arten von Reaktionen. Der größere Teil empört sich über die ständigen Schikanen, der kleinere Teil weist die Kollegen dezent, wenn auch erfolglos, darauf hin, doch mal über das eigene Verhalten nachzudenken.

Es wird wohl darauf ankommen, ob eine kritische Masse neuer Genussfahrer zusammenkommt. Leute, die nicht vom PS-Wahn befallen sind, auf Maschinen, die auch von Nicht-Motorradfahrern bewundernde Blicke ernten. Klar, über die mickrigen 48 PS der kleinen Guzzi rümpfen PS-Fetischisten die Nase. Wenn man auf der Maschine sitzt, merkt man davon keine Sekunde etwas. Es geht mehr als flott dahin und der Guzzi-Motor, ein Triebwerk mit Kultcharakter, verwöhnt den Fahrer mit einem betörenden Sound. Aber egal, welchen der neuen Neoklassiker man auch wählt, jeder verführt dazu, einfach aufzusteigen und loszufahren. Ganz entspannt. Ohne festes Ziel.

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