Renault Clio V6:Auto aus der Lostrommel

Trotzdem müssen die glücklichen Gewinner 75 000 Mark zahlen

(SZ vom 31.10.2000) Ein Auto als Hauptgewinn bei einer Lotterie oder in einer Fernseh-Show - das entlockt vielen Zuschauern in Zeiten, da man per Mattscheibe Millionär werden kann, nur noch ein müdes Lächeln. Trotzdem winken die Gewinner dankbar in die Kameras, denn immerhin enthebt sie der neue kostenlose Wagen der Mühe, sich selbst um einen fahrbaren Untersatz kümmern und damit auch noch das Konto belasten zu müssen.

Beim französischen Automobilhersteller Renault hingegen verläuft die neueste Lotterie ganz anders: Die glücklichen Gewinner dürfen einen Clio V6 Sport beim Händler abholen - und dort im Gegenzug gleich 75 000 Mark auf den Tresen legen. Denn gewonnen ist noch lange nicht geschenkt im Falle des Clio V6. Die Knappheit an Fahrzeugen erlaubt es den Franzosen, beim Verkauf neue Wege zu beschreiten. Nur etwa 300 Exemplare des muskulösen Sportpakets werden in den nächsten drei Jahren ihren Weg nach Deutschland finden - aber die Zahl der Interessenten ist weit höher. Nur vier Fahrzeuge werden zurzeit pro Tag gebaut, und das weitgehend in Handarbeit, zunächst in der Sport-Abteilung von Renault. Die Endmontage erfolgt bei Tom Walkinshaw Racing in Schweden. Wer Ende November einen Clio V6 zugeteilt und im März ausgeliefert bekommt, wird übrigens live per Internet übertragen.

Aufplustern macht größer

Eigentlich ist es in Zeiten hoher Spritpreise erstaunlich, dass es anscheinend noch einen Kreis von Enthusiasten gibt, denen Leistung über alles geht und die dafür beinahe jeden Preis zu zahlen bereit sind. Vor allem dann, wenn die Leistung in die - zwar durch allerlei Spoiler und Schweller aufgeplusterte - Karosserie eines Kleinwagens gepackt wird. Bei einer ersten Begegnung mit dem Clio V6 wurde aber deutlich, was die Faszination eines Autos, das man in seinen Jugendzeiten als Rennsemmel à la R5 turbo bezeichnet hätte, ausmacht: das Leistungspotenzial, das vorhanden ist, aber nicht unbedingt abgerufen werden muss, und vor allem die Handlichkeit. "Wir wollten einen Sportwagen bauen, bei dem die Leidenschaft zum Auto zum Ausdruck kommt", sagt Reinhard Zirpel, das bei Renault Deutschland für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Vorstandsmitglied.

Bei der Konzeption des Clio V6 sind die Franzosen keine Kompromisse eingegangen: Kurzerhand bauten sie die komplette Rückbank aus und verwandelten den Fünfsitzer in einen Sportwagen, in dem gerade einmal Fahrer und Beifahrer Platz finden. Den Platz der Fondsitzbank und des Kofferraums dahinter nimmt nun der Motor ein, in diesem Fall ein mächtiges 3,0-Liter-V6-Aggregat, das 166 kW (226 PS) leistet. Es wird von nächsten September an auch den futuristisch gestylten Avantime antreiben. Dazu haben die Ingenieure ein Sechsgang-Getriebe gepackt und die Antriebskräfte von der Vorderachse, die die normalen Clio-Modelle antreibt, auf die Hinterachse umgelenkt. Die Karosserie wurde um knapp sieben Zentimeter tiefergelegt und um 17 Zentimeter verbreitert. Und ohne Rücksicht auf die Designer nehmen zu müssen, wurden Lufteinlass-Schlitze, Dachspoiler und sonstiger Rallye-Zierrat anmontiert.

Herausgekommen ist ein Sportwagen, der hohe Ansprüche an das Fahrkönnen und vor allem an die sittliche Reife des Fahrers stellt. Denn auf Dinge wie eine Traktionskontrolle, die durchdrehende Reifen verhindern würde, oder ESP hat Renault bewusst verzichtet - sie würden das auf pure Dynamik getrimmte Konzept nur verwässern, meint man. 226 PS wollen im Clio V6 wohldosiert eingesetzt werden. Vor allem auf nasser Straße besteht sonst die Gefahr, dass sich das Auto schnell in einen Kreisel verwandelt.

Die möglichen Fahrleistungen sind fulminant: Höchstgeschwindigkeit 235 km/h, in einem Kleinwagen wohlgemerkt, und bei guten Verhältnissen eilt die Tachonadel bereits nach 6,4 Sekunden an der 100-km/h-Markierung vorbei. Das maximale Drehmoment beträgt 300 Nm bei 3750/min. Dass dabei kein 3-Liter-Auto herauskommen kann, ist klar: Renault beziffert den durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch des Motors, der nach Euro 3 eingestuft ist, auf 11,2 Liter Super plus.

Das Fahrwerk des Clio V6 ist so straff abgestimmt, wie es das Leistungspotenzial erfordert. Das Erstaunliche ist aber, wie gutmütig sich dieses Kraftpaket auf der Straße bewegen lässt. Diese andere, zivile Seite beschert dem V6 eine Alltagstauglichkeit, die der seiner schwächer motorisierten Brüder kaum nachsteht - wenn man einmal vom Platzangebot und dem Mini-Kofferraum vorne absieht. Der Grund für diesen ambivalenten Charakter liegt im Motor: Hier arbeitet kein hochgezüchtetes, nervöses Rennaggregat, das nach hohen Drehzahlen giert, sondern ein ganz normaler V6, der in diesem Fall nicht in einer Oberklasselimousine, sondern in einem Kleinwagen seinen Dienst verrichtet.

Einzigartig kurz dürfte die Aufpreisliste sein, denn alles, was - wie eine Klimaanlage - wichtig sein könnte, ist bereits serienmäßig an Bord. Der einzige Posten ist eine Staubschutzhülle, um das gute Stück vor den Blicken der Nachbarn zu verstecken. Was eigentlich gar nicht nötig ist.

Von Otto Fritscher

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