Renault Avantime 3.0 Privilège:Captain Future

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Verdrehte Hälse sind im Kaufpreis inbegriffen. Denn der Renault Avantime sieht aus, als komme er von einem anderen Stern und aus einer anderen Zeit. Fast jeder guckt ihm nach und fragt sich: Was ist das?

Michael Harnischfeger

Crossover heißt das Modewort. Nicht nur in der Musik, wo Rocker und Sinfoniker sich gern einmal zusammen setzen, um auf mehr oder weniger begeisternde Weise zusammen zu bringen, was für viele nicht zusammen gehört.

Ein schöner Rücken kann auch entzücken. (Foto: Foto: Renault)

Auch die Autoindustrie hat den Reiz des Crossover entdeckt, wie etwa die BMW-Studie X3 zeigt: ein Coupé mit erhöhter Bodenfreiheit, Allradantrieb und Dieselmotor.

Renault ist in Sachen Crossover schon einen Schritt weiter, denn der schon vor zwei Jahren gezeigte Avantime hat den schwierigen Sprung vom Studien-Status zur Serienproduktion geschafft. Er kommt im September auf den Markt und sucht mutige, nein: verwegene Menschen, die ein alles andere als alltägliches Auto kaufen und fahren wollen.

Das Produkt einer Affäre zwischen Van und Coupé

Was ist der Avantime? Technisch basiert er auf dem Renault Espace und auf dessen modifizierter Bodengruppe. Doch bei der Karosserie bricht dann der Coupé-Gedanke heftig durch - von der unübersichtlichen Nase bis zum Heck, das eine wilde Mixtur aus Kanten und Rundungen ist. Die Anzahl der Türen? Zwei, natürlich. Ist ja ein Coupé, oder?

Aber diese Türen sind außergewöhnlich und, so ist zu hören, der zentrale Grund für das eine Jahr Verspätung, mit dem der Avantime zu den Kunden kommt. 1,40 Meter lang und 55 Kilo schwer, hängen die gewaltigen Portale an ausgeklügelten Doppel-Scharnieren, die die Tür beim Öffnen erst etwas nach vorn rutschen lassen, ehe sie aufschwingen.

Gewünschter Effekt: Man muss in engen Parklücken nicht durch die kanzelartige Heckklappe aussteigen, weil diese Türkinematik tatsächlich Platz sparend funktioniert. Kleiner Makel: Das Entern der Rücksitze ist trotzdem längst nicht so komfortabel wie bei einem Viertürer, und beim Schließen verursachten die Türen mit ihren rahmenlosen Seitenscheiben ein schepperndes Geräusch, das Sorgen um die Langzeitqualität wecken kann.

Der Testwagen entstammte, so Renault, der Vor-Serie. Bis zum Verkaufsstart könnte sich also noch etwas bessern.

Neu, gewagt und einfach kurios: Monsieur Avantime

Im Cockpit stammen die meisten Anzeigen vom Espace, so auch der kleine Drehzahlmesser hinterm Lenkrad, der für groß gewachsene Menschen nicht komplett einsehbar ist. Der Digital-Tacho und andere Anzeigen versammeln sich mittig dicht vor der großen Windschutzscheibe und über dem großen Monitor des aufpreispflichtigen Navigationssystems.

Hochwertige Materialien, Aluminium und Leder, auch in gewagten Farben, sorgen für eine Anmutung, die von jedem etwas ist: frisch, verwegen oder elegant. Durch das großzügig verglaste Dach und die durchgehenden Seitenscheiben (der Avantime kommt ohne B-Säule aus) wirkt der Innenraum hell und freundlich, man fühlt sich wohl in diesem Auto. Das übrigens auch hinten, wo auch große Mitfahrer kaum einmal ans Dach stoßen. Zu dritt wird es dort zwar eng, doch als Viersitzer taugt der Avantime sehr gut.

Mehr Van denn Coupé

Gewaltig auch der Kofferraum unter der kurios geformten Heckklappe: 530 Liter finden dort Platz. Schwere Koffer hinein und heraus zu bekommen, ist wegen der sehr breiten und tiefen Ladekante allerdings kein großer Kraftakt.

Das Umklappen der Rücksitze hingegen verlangt körperlichen Einsatz, da die Entriegelungshebel schlecht erreichbar sind.

Im Fahrbetrieb ist der Avantime mehr Van denn Coupé. Trotz der hohen Sitzposition ist er unübersichtlich nach vorn und hinten, eine elektronische Einparkhilfe ist für die preiswerteren Ausstattungslinien Expression und Dynamique als Option lieferbar, das Topmodell Privilège hat den Piepser serienmäßig.

So geht`s voran

Das Fahrwerk machte auf ersten Ausfahrten einen zwiespältigen Eindruck: Mit relativ glattem Untergrund kommt es bestens zurecht und federt alle kleineren Unebenheiten weg. Wegen einer unterdämpften Zugstufe der Stoßdämpfer gerät das Van-Coupé nach Bodenwellen allerdings in deutliches Auf und Ab.

Für das sportliche Fahren ist der Avantime daher nicht gemacht, obwohl der Top-Motor, ein 207 PS starker V6, gut für 220 km/h Spitze sein soll. Der Dreiliter klingt sonor, läuft kultiviert und passt gut zum leichtgängigen Sechsganggetriebe.

Wer seine Kraft als stille Reserve ansieht und sich aufs Cruisen verlegt, ist sicher besser beraten. Dann kommt auch der Spaßschalter über dem Innenspiegel zum Einsatz: Er öffnet das Kingsize-Schiebedach über den Vordersitzen und lässt die großen Seitenscheiben nach unten schnurren. Windumtost kann man nun ein wenig Cabrio-Feeling genießen oder bei schnellerer Fahrt den Innenraum ganz ohne Staubsauger auf natürliche Weise von Zigarettenasche, Brötchenkrümeln und ähnlichem befreien.

Auffallend: die reichhaltige Serienausstattung

Etwa 80.000 Mark soll der Avantime 3.0 Privilège kosten, wobei die Serienausstattung wirklich reichhaltig ist: von Xenonscheinwerfern über Leder an den Sitzen bis hin zum ESP.

Im November kommt noch ein neuer Zweiliter-Vierzylinder mit 163 PS, im Jahr 2002 wird ein 2,2-Liter großer Commonrail-Diesel mit 147 PS folgen.

Renault stellt bei abgespeckter Serienausstattung Einstiegspreise von rund 60.000 Mark in Aussicht. Damit ist der Avantime, der leider nicht das Reifenluftdruck-Kontrollsystem oder den Chipkarten-Schlüssel vom Laguna übernommen hat, nicht wirklich ein Sonderangebot.

Aber womit vergleicht man ihn, was könnte eine Alternative sein? Wer diesen Captain Future nicht mag, bleibt bei seiner Limousine, seinem SUV, seinem Coupé oder seinem Van.

Wer ihn mag, erfreut sich am Avantime wie an einem schönen Designer-Kunstwerk. Es soll ja exzentrische Teekannen geben, die sündhaft teuer sind und ihre Liebhaber finden. Auch wenn sie tropfen.

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