Räder mit Motor:Ehrliche Schiebung

Wer in die Pedale tritt, dem wird von einem Elektromotor geholfen - unterwegs mit einem Flyer-Rad.

Alex Rühle

Für einen Mittdreißiger hat dieses Fahrrad erstmal nur den amüsanten Sexappeal eines Bond-Gadgets. Der Agent besitzt ja in jedem seiner Abenteuer solche Gegenstände, die auf den ersten Blick zwar elegant daherkommen, aber das alltägliche Aussehen einer harmlosen Fotokamera, einer Armbanduhr oder eines Handspiegels haben. Unter dieser Alltagsfunktion aber schlummert irgendwo das Geheimnis. Bond muss im entscheidenden Augenblick nur einen Knopf drücken - schon wird aus der Kamera ein Geigerzähler und aus der Uhr eine Miniaturkreissäge; der schicke Handspiegel enthielt gar eine Massenvernichtungswaffe. Einen ähnlichen Knopf hat auch das Fahrrad mit dem kryptischen Namen Flyer T9HS. Am besten kam dieser beim Probefahren immer an den Ampeln zur Wirkung.

Räder mit Motor: Das T9HS

Das T9HS

(Foto: Foto: Hersteller)

München, Wittelsbacherbrücke, der Radweg entlang der Isar. Zur Rechten ein Fahrradkurier mit aerodynamischem Helm und rasierten Beinen, links zwei Normalradler mit unrasierten Beinen, aber auf scharfen Geschossen. In der Mitte dieses anthrazitgraue Ding, das auf den ersten Blick nach gediegenem Getrödel und Hollandradelei aussieht. Dann wird es grün - und plötzlich fahre ich Büroexistenz auf diesem braven Stadtrad denen allen davon wie Bond im Raketenauto. Das Ding ist eine Wunderwaffe. Aber eben eine sehr diskrete. Einmal holte mich ein studentischer Rennradler atemlos ein und rief, das Ding gehe "ja ab wie 'n Zäpfchen".

Im Bondfilm gäbe es nun einen Schnitt ins Labor von Q, dem genialen Erfinder der Bondschen Maschinen, der dann immer plausibel zu erklären weiß, wie kinderleicht all die Apparate funktionieren. Das Labor der Firma Biketec steht im Schweizerischen Kirchberg, wo man seit 1995 an Elektrofahrrädern namens Flyer tüftelt. Dort hat ein unbekannter Q diesen Motor mit Drehmomentsensorik erfunden - ein System, das die Kraft in des Fahrers Beinen misst und entsprechend mitschiebt. Das Ganze geht völlig geräuschlos vonstatten, der Akku füttert sanft den E-Motor, sobald man lostritt. Man muss also schon selber was tun, Schiebung gibt's nur für ehrliches Treten. Dazu ist das Ganze noch dermaßen einfach zu handhaben, dass man selbst als Grobmotoriker, der jede Bond-Waffe kaputtmachen würde, zurechtkommt, ohne je eine Gebrauchsanweisung zu lesen.

Knopf über der Handbremse drücken, entscheiden, ob man wenig oder viel Unterstützung will - los geht's. Da der Antrieb in der Mitte des Rahmens und der Schwerpunkt des Rades dementsprechend tief liegt, da außerdem die Kraft aufs Hinterrad umgelegt wird, sitzt man der schmeichelhaften Illusion auf, plötzlich über enorme Kraftreserven zu verfügen. Gut fürs Ego, und man kommt mit bis zu 80Kilometer erstaunlich weit. Seltsam nur, wenn man wieder umsteigt aufs normale Fahrrad. Als trete man durch zähes Blei.

Den wahren Wert dieses Fahrrads habe ich aber erst erkannt, als ich meine Mutter eine Runde fahren ließ und ihr Strahlen sah, weil sie plötzlich so ausnehmend diskret geschoben wurde. Da meine Mutter noch nie in einem James-Bond-Film, dafür aber schon sehr oft in der Kirche war, da außerdem ihr Fahrstil weniger an Action als vielmehr an meditative Tätigkeiten erinnert, sollte man ihr Erlebnis mit einer diskret metaphysischen Überraschung vergleichen: Es war, als hätte ihr Schutzengel plötzlich nicht nur Flügel, sondern auch noch Muskeln. Sie, die sehr sparsam ist und sich selten was gönnt, sagte nach der kleinen Tour: "Das muss ich haben!" Woraufhin mein Vater, ein souveräner Skeptiker vor dem Herrn, sich auch noch draufsetzte, für eine Stunde verschwunden blieb, dann aber zurückkehrte mit dem Lächeln eines kleinen Jungen. 38 km/h sei er gefahren, "wirklich ein tolles Rad!" Jetzt muss ich ihm nur noch schonend beibringen, dass dieses tolle Fahrrad 3390 Euro kostet.

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