Radfahren:Warten statt treten

Service-Center von "Call a Bike" in München, 2015

Kunden haben es Fahrradwerkstätten nicht immer leicht.

(Foto: Florian Peljak)

Unser Autor ist sich sicher: Wer im Frühling sein Fahrrad reparieren lassen will, braucht die Ausdauer eines Langstreckenathleten. Ein Leidensbericht.

Von Sebastian Herrmann

Der Kunde steht am Tresen und lässt sich Pedale zeigen. Die Fahrradbranche bietet sehr viele Varianten dieser Bauteile an. Dieser Kunde sucht solche mit breiter Standfläche für sein Mountainbike, die mit sogenannten Pins bewehrt sind, kleine Nippel, die dem Schuh auch bei Nässe Halt garantieren. Der Verkäufer hat einen Stapel Päckchen auf den Tresen gestellt, präsentiert Pedale, referiert Vor- und Nachteile und berät den Kunden so gut, wie ein Kunde nur beraten werden kann. Es gibt so viele Fragen zu klären, wie viel wiegen die Teile, sind sie zu flach oder zu breit und sind die in glänzender oder matter Optik schöner? Der Kunde zögert, er hadert, er wägt ab. Daneben stehen zwei weitere Radler, warten, blicken einander genervt an und beklagen sich irgendwann: "Ich wollte nur schnell einen Ersatzschlauch kaufen und jetzt stehe ich mir hier wieder die Beine in den Bauch."

Quälende Wartezeiten gehören einfach zu jener Erfahrung, die sich auch als "Ohnmacht im Angesicht des Fahrradladens" bezeichnen ließe. Ein Termin in der Werkstatt, jetzt im Frühsommer? In drei Wochen, frühestens. Auf dem Weg zur Arbeit einen Ersatzschlauch kaufen? Der Laden macht erst um 12 Uhr auf. Na gut, dann auf dem Rückweg? Zu spät, der Laden schließt schon um 19 oder sogar 18 Uhr. Also doch zum Onlinehändler? Nun ja, erstens ist da dieser Wunsch, die kleinen Läden zu unterstützen, und zweitens kann es einen mitunter überfordern, das korrekte Ersatzteil zu identifizieren - ist der Trekkingradschlauch mit der Bezeichnung 700x28-45C der richtige oder nicht?

Im Kunden brodelt zwar stets der Drang, über den Service zu meckern, doch ist auch Verständnis für die Betriebe angebracht. Der Laden des stets getriebenen, aber stets sehr netten Händlers in der direkten Nachbarschaft zum Beispiel ist ein Einmannbetrieb. Er verkauft, er berät, er repariert, und wenn ein Kunde sich für ein E-Bike oder einen Kinderanhänger interessiert, dann dauert so ein Beratungsgespräch auch mal länger als 15 Minuten. Deswegen kommt man als Kunde ja in den Laden und bestellt nicht die Radl-Katze im Sack aus dem Internet. Wenn dann diese eine Kundin, die noch vor einem dran ist, das Fördermodell der Stadt München für Käufer von Lastenfahrrädern mit elektrischem Zusatzmotor erklärt haben will, dann braucht man als Wartender schon mal die Leidensfähigkeit eines Langstreckenathleten. Aber gut, ein Internethändler erklärt kommunale Fördermodelle nun eher nicht, da muss man froh sein, wenn sich der Händler dem drögen Kram angenommen hat und das nun weitergibt.

Lieber im Winter zur Generalsanierung

Etwa 5500 Fahrradhändler betreiben in Deutschland ihr Geschäft, nicht alle, aber viele davon verfügen über eine Werkstatt. Und dennoch dauert es jetzt Anfang Juni Tage oder gar Wochen, um einen Termin zu bekommen. Ja, das ist lästig, aber es wäre auch eine prächtige Idee gewesen, das Rad im Winter zur Generalsanierung zu bringen. Zwischen November und Februar werben viele Geschäfte mit Preisnachlässen auf Wartung und Reparatur - weil in dieser Zeit kaum Kunden kommen. Trotz solcher Aktionen sind viele Geschäfte in diesen Monaten nicht ausgelastet und schicken ihre Mitarbeiter auf Schulungen, in den Urlaub oder beschäftigen sie mit dem Umbau der Verkaufsräume.

Im Winter denkt eben kaum jemand an sein Fahrrad, das im Hinterhof einsam Rost ansetzt. Erst wenn die Sonne die Schneereste von den Radwegen und die Kehrmaschinen den Rollsplitt vom Asphalt gefegt haben, fällt der Masse ein: Die alte Schüssel muss hergerichtet werden, neue Reifen, neue Bremsbeläge, neue Kette, aber bitte pronto. 73 000 000 Fahrräder stehen laut Schätzungen in Deutschland herum. Da kann es terminlich schon mal eng werden, wenn im Frühjahr alle in der Radlwerkstatt anrufen und sofort drankommen wollen. Also, Vorsatz für das nächste Jahr: Gute Planung ist die halbe Miete, das gilt für Fahrradtouren und Werkstatttermine gleichermaßen.

Mit der falschen Marke im falschen Laden

Doch dann kann es passieren, dass der hilflose Zweiradbesitzer an einen Händler gerät, der sich ein bisschen arg mit der Technik oder der von ihm vertriebenen Marke identifiziert. Das kann so weit gehen, dass in den Toilettenschüsseln mancher Geschäfte die Logos verhasster Marken angebracht sind. Das ist albern, lässt sich aber auch als Zeichen der Leidenschaft deuten, die viele Betreiber von Radläden für ihren Job haben.

Das kann aber auch zu seltsamen Situationen führen, wie einst in einer Fahrradwerkstatt in der Münchner Innenstadt. Am hinteren Rad waren zwei Speichen gerissen. Diese zu ersetzen und dann das Laufrad wieder zu zentrieren - sagen wir so: das klappt nicht unbedingt beim ersten Versuch, also lieber zum Mechaniker gehen und nach einem Termin fragen.

Das Fahrrad, das geheimnisvolle Gerät

"Ist das Rad von Steppenwolf?", wollte der wissen, und wischte seine öligen Hände an einem Lumpen ab. "Nein, wieso?", lautete die konsternierte Antwort. "Dann kannst du es gleich vorbeibringen, sonst hätte ich es nicht genommen", sagte der Mechaniker, der aus irgendwelchen Gründen einen Groll gegen diese Marke hegte. Kommt ein Kunde mit einem Billigrad aus dem Baumarkt oder einem allzu günstigen E-Bike an, dann gibt es hingegen sogar gute Gründe, dass die Reparatur dieser Gefährte im Laden verweigert wird: Oft sind dazu keine Ersatzteile zu bekommen, und Billig-Elektroräder zu warten, kann sicherheitstechnisch heikel werden.

Ohnmachtsgefühle lassen sich am besten bekämpfen, indem der Radler die Werkzeuge selbst in die Hand nimmt und schraubt. Das Fahrrad wirkt ja schließlich wie ein geheimnisloses Gerät, es verbirgt nichts, alles liegt offen, es gibt keine Motorhaube, unter der rätselhafte Technikklumpen lauern. Aber innen im Rahmen verlegte Schaltzüge zu wechseln, die Leitungen der hydraulischen Scheibenbremsen zu entlüften, das ist trotz Youtube-Erklärvideos oft komplizierter als gedacht; das traut sich nicht jeder zu.

Montieren und scheitern

Wer es wagt, der muss Zeit investieren und sein Scheitern einkalkulieren. Zum Beispiel so: Das vordere Kettenblatt am Crossrenner war zu klein, da sollte eine größere Übersetzung hin. Schritt eins: das richtige Kettenblatt beim Onlinehändler identifizieren und bestellen, Hürde genommen. Schritt zwei: montieren und scheitern. Das Kettenblatt ließ sich zwar anbringen, aber dafür war nun die Kette zu kurz. Die längere Kette überforderte das Schaltwerk am hinteren Ritzelpaket. So was muss man als blutiger Laie erst lernen, denn Fahrradtechnik ist doch komplizierter als geahnt. Also, hinschrauben, wegschrauben, wieder dranfummeln - und dann war eine der Schrauben ausgedreht, das zu große Kettenblatt ließ sich nicht mehr abmontieren.

Der reuige Radler schob sein verpfuschtes Werk also zum Mechaniker. Es war Winter, immerhin, es gab einen Termin und mitleidige Blicke. "Was hast du denn da versucht?" Ja was eigentlich? Es war der gescheiterte Versuch, unabhängig zu sein. Die Ohnmacht in Angesicht des Fahrradhändlers kennt eben viele Facetten. Und oft genug trägt man selber die Schuld.

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