Projekt Urban:Ein Schulterschluss, der nicht funktioniert

Leitzentrale der Düsseldorfer Verkehrstechnik

Technik von gestern, Verkehr von morgen: In der Düsseldorfer Leitzentrale wird der Fahrzeugstrom zentral überwacht.

(Foto: Steve Przybilla)

In einem Modellprojekt arbeiten die Hersteller mit Unis und Kommunen daran, Autos und Verkehrsraum zu vernetzen. Die Ergebnisse sind bescheiden - weil sie mehr gegen- als miteinander arbeiten.

Analyse von Steve Przybilla

Patric Stieler muss nicht einmal aufstehen, um die Lage im Großstadt-Dschungel zu checken. Vor seinem Schreibtisch erstreckt sich eine Videotafel, die so groß ist wie eine Kinoleinwand. Zu sehen sind Live-Aufnahmen von 36 Düsseldorfer Kreuzungen, daneben eine riesige Stadtkarte, deren Straßen in verschiedenen Farben dargestellt sind. Grün bedeutet freie Fahrt, bei Dunkelrot herrscht Verkehrschaos. Meist liegen die Werte irgendwo dazwischen. Oder, wie an diesem Vormittag, sogar bei Grün. Stieler, der Leiter der Düsseldorfer Verkehrstechnik, lehnt sich in seinem Drehstuhl zurück. "Uns geht es darum, die Verkehrsdefizite im städtischen Raum zu beheben", sagt er und zeigt stolz auf die Kreuzungen.

Bisher fährt jeder auf gut Glück durch die Stadt, die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur geht nur in seltenen Fällen über Verkehrsschilder und Ampeln hinaus. Düsseldorf wurde dagegen für vier Jahren zum Freiluft-Labor, um neue Formen der Vernetzung zu erproben. Im "Projekt Urban" haben 31 Autokonzerne, Zulieferer und Hochschulen gemeinsam an neuen Assistenz- und Verkehrsleitsystemen geforscht. Getestet wurden die Prototypen in einer eigens dafür umgerüsteten Kreuzung im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk. Noch heute hängt dort ein Wlan-Empfänger an einer Ampel. Nähert sich ein Auto, kann die Signalanlage mit dem Bordcomputer "sprechen". Das Fahrzeug weiß nun genau, wie schnell es unterwegs sein muss, um bei Grün über die Ampel zu kommen. Für all das ist im Idealfall nicht mal ein Fahrer nötig: Ampel und Auto kommunizieren selbstständig miteinander.

Jeder kocht sein eigenes Süppchen

"Unsere Erkenntnis war, dass es funktioniert", sagt Stieler, "sowohl die Sicherheit als auch der Schadstoffausstoß haben sich verbessert." Blöd nur, dass genau solche Systeme in Deutschland bislang absolute Zukunftsmusik sind. Während Google bis 2020 das erste selbstfahrende Auto auf die Straße bringen will und mit viel Forschungsgeld Standards setzen könnte, kocht hierzulande jeder sein eigenes Süppchen. Wie auch im restlichen Europa. Statt gemeinsame Grundlagenforschung zu betreiben, belauern sich hiesige Zulieferer und Hersteller mit Argusaugen. Nach dem Motto: Meine Erfindung, dein Nachteil.

Das Projekt Urban sollte genau dieses Konkurrenzdenken überwinden, deshalb hat das Bundeswirtschaftsministerium die Initiative mit 40 Millionen Euro bezuschusst. Die Industrie hat noch einmal den gleichen Anteil beigesteuert. Bei der Abschlussveranstaltung in einer Düsseldorfer Messehalle konnte man dann Autos beobachten, die selbstständig an eine Kreuzung heranfuhren, anderen Fahrzeugen auswichen und für Fußgänger bremsten. Mit anderen Worten: Assistenzsysteme, an denen die Industrie ohnehin schon forscht.

Teamgeist ist gefragt

Warum also gibt die Bundesregierung öffentliches Geld dafür aus? Eberhard Hipp, der Projekt-Koordinator, hat darauf eine simple Antwort: "Ohne gemeinsame Standards geht es nicht." Was nützt es, wenn Hersteller A einen Assistenten anbietet, der mit Fahrzeug B oder Ampel C nicht kommunizieren kann? Teamgeist ist also gefragt, zumindest auf einer technischen Ebene. Die Fördermittel dienten dabei als "Brandbeschleuniger im positiven Sinne", sagt Hipp.

Für die Wissenschaft seien solche Kooperationen ebenfalls interessant, betont Klaus Bengler, Professor für Ergonomie an der TU München. Er selbst habe in den 1990er-Jahren im Vorgängerprojekt Prometheus promoviert und so seine akademische Karriere gestartet. "Auch heute noch spielt der menschliche Faktor eine entscheidende Rolle", sagt Bengler. "Wir brauchen die Experten fürs autonome Fahren." Beim Projekt Urban seien viele Jung-Wissenschaftler an die Materie herangeführt worden: Insgesamt hätten 100 Doktoranden an verschiedenen Aufgabenstellungen geforscht, ein bedeutender Beitrag zur Nachwuchsförderung.

Das Nachfolgeprojekt lässt auf sich warten

Auch die Vertreter der Automobilindustrie sind mit den Ergebnissen des Projekts zufrieden: "Es ist extrem wichtig, dass wir ein gemeinsames Systemverständnis in Deutschland entwickeln", sagt Ulrich Kreßel, Projektleiter "Kognitive Assistenz" bei Daimler. Beim Umgang mit Fußgängern habe man das deutlich gesehen: Vor Urban hätten Assistenzsysteme lediglich bremsen können; inzwischen wichen sie den Passanten sogar aus. "Heute erkennen wir Fußgänger als willensbasierte Wesen. Bei solchen Algorithmen geht es um Millisekunden." Regina Glas (BMW) klingt nicht ganz so euphorisch: "Wir haben in Düsseldorf unseren Ampelassistenten getestet - das Ergebnis war sehr positiv." Aber: "Wenn das System in zwei Städten funktioniert, ist das noch ein bisschen wenig."

Dass weitere gemeinsame Forschung sinnvoll ist, steht also außer Frage. Immerhin stecken die Entwicklungen bei der nächsten großen Herausforderung, dem autonomen Fahren in der Innenstadt, noch in den Kinderschuhen. Umso erstaunlicher erscheint, dass seither nicht viel passiert ist. Zwar gibt es ein Nachfolgeprojekt, das vom Wirtschaftsministerium abermals mit 40 Millionen Euro bezuschusst wird ("Hoch- und vollautomatisiertes Fahren für anspruchsvolle Fahrsituationen"). Doch die Ausschreibung endete erst im Januar 2016, also Monate nach dem Ende von Urban. Das Ministerium schweigt zu der Frage, ab wann die neue Förderung startet; nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wird sich der Entscheidungsprozess aber noch mehrere Monate hinziehen. Erst dann steht fest, welche Akteure diesmal den Zuschlag bekommen.

Querelen, Reibereien, Geheimnisse

Ein Grund dafür könnten interne Querelen sein. Entgegen aller öffentlichen Beteuerungen war vom viel beschworenen Teamgeist beim Projekt Urban nämlich nicht immer etwas zu spüren. "Da gab es unheimlich viele Geheimnisse, niemand wollte sich in die Karten gucken lassen", berichtet ein Beteiligter, der anonym bleiben möchte. In der Branche gehe es nach wie vor "knallhart zur Sache". Auch innerhalb des Wirtschaftsministeriums gab es offenbar Reibereien, weshalb sich die Ausschreibung des Nachfolgeprojekts verzögert hat.

"Es geht jetzt erst einmal darum, den Automatisierungsgrad auf der Autobahn hochzuschrauben", erklärt Ergonomie-Professor Bengler von der TU München. Und die komplexen Szenarien in der Stadt? Kommen auch noch dran. Irgendwann.

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