Porsche Cayenne:Die Übersteigerung des Bekannten

Leistung, Masse, Mehrverbrauch - aber auch ohne Technologiesprung beeindruckt der Offroader.

Georg Kacher

(SZ vom 6. 11. 2002) - Wer die Sinnfrage stellt, wird abgestraft: Die Cayenne-Produktion ist für die ersten zwei Jahre weltweit ausverkauft - was, bitteschön, soll Porsche bei diesem Auto falsch gemacht haben?

Porsche Cayenne: Der Cayenne ist alles andere als zierlich.

Der Cayenne ist alles andere als zierlich.

(Foto: Foto: Porsche)

Die Antwort lautet: alles und gar nichts. Alles, weil das Unternehmen bei der Entwicklung auf Nummer Sicher gegangen ist. Statt auf Leichtbauweise und auf revolutionäre Technologien setzten die Schwaben im Teamwork mit dem Kooperationspartner VW auf die Evolution traditioneller Bausteine.

Das heißt im Klartext: noch mehr Gewicht und in direkter Konsequenz noch mehr Leistung, noch stärkere Bremsen, noch größere Kühler, noch mehr Masse und noch mehr Trägheitsmoment. Diese Lösung funktioniert, aber sie ist so gar nicht Porsche-like.

Sagenhafter Verbrauch

Und sie treibt Raubbau an den Ressourcen. Unser Testwagen konsumierte auf der ersten Etappe prohibitive 30,3 Liter. Bei Dauerregen sank der Verbrauch später auf 26,3 Liter. Das Werk gibt im Mittel wenig praxisnahe 15,7 Liter an.

Natürlich haben die Ingenieure auch vieles richtig gemacht. So ist der Cayenne neben dem Touareg und, mit Abstrichen, dem neuen Range Rover eines der wenigen Fahrzeuge seiner Art, das sich abseits der Piste genauso wohl fühlt wie auf festen Straßen.

Kaum zu glauben: Der 4,78 Meter lange Fünfsitzer kann es in Sachen Wattiefe und Böschungswinkel ebenso mit jedem Hardcore-Offroader aufnehmen wie in Bezug auf Bodenfreiheit und Steigfähigkeit. Dafür sorgen diverse Quer- und Längssperren, die sechsfach höhenverstellbare Luftfederung und das bequem per Hebeldruck anwählbare Reduktionsgetriebe.

Nach Gutsherrenart

Keine Frage: Dieser Porsche ist ein Geländewagen nach Gutsherrenart, der seinem Fahrer am Bordmonitor bei Bedarf sogar quasi-analog den Einschlagwinkel der Vorderräder mitteilt, was das bourgeoise Herauslehnen aus dem Seitenfenster überflüssig macht.

Die Serienbereifung ist für solche Exkursionen zwar ungeeignet und Abweisbleche, Zusatzsperren und Unterfahrschutz-Maßnahmen sind im Turbo-Grundpreis von 99.876 Euro natürlich nicht enthalten, aber wer es darauf anlegt, könnte mit der noblen Pfeffermühle bei der Paris-Dakar an den Start gehen.

Volle Kraft voraus

Einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterlässt der 331 kW (450 PS) starke Cayenne Turbo auf der Schnellstraße. Obwohl Cw-Wert und Stirnfläche eher an eine Plakatwand erinnern als an ein Automobil, macht das von einem neu entwickelten 4,5-Liter-V8 befeuerte Kraftwerk mit dem Fahrtwind kurzen Prozess, beschleunigt in 5,6 Sekunden von Null auf 100 km/h und schwingt sich zu einer Höchstgeschwindigkeit von 266 km/h auf.

So viel Muskelschmalz verführt gelegentlich zu Balzverhalten auf der Überholspur. Wenn allerdings nach spätestens 300 Kilometern der 100-Liter-Tank nahezu trocken gefahren ist, wünscht man sich statt des durstigen Super-Turbos einen halbwegs sparsamen Diesel, auf den Porsche leider bis auf weiteres verzichten will.

Dafür bekommt der Cayenne die Tapferkeitsmedaille in Gold für unbeirrbare Richtungsstabilität und für die groß dimensionierte Bremsanlage, die diesen Koloss mit der Konsequenz einer Guillotine verzögert - ein ums andere Mal und stets mit der gleichen, fast schon übernatürlichen Effizienz.

Grenzen ausloten

Während der permanente Allradantrieb für optimale Traktion zuständig ist, hält die Elektronik den Wagen sicher in der Spur, indem sie bei Bedarf unmerklich Gas wegnimmt, durch selektiven Bremseneingriff ein drohendes Ausbrechen verhindert und durch gezieltes Ansteuern einzelner Dämpfer kritische Taumel- und Gierbewegungen schon im Ansatz unterdrückt.

An den Grenzen der Physik zerrt der All-Roader vor allem auf kurvenreichen Landstraßen. Hier kämpft der schwere Wagen nicht nur mit den Tücken der Topographie, sondern auch gegen die eigene Leibesfülle.

Die 18-Zoll-Reifen leisten laut protestierend Schwerstarbeit, die erfreulich direkte Lenkung hat mit den ständigen Kurskorrekturen alle Hände voll zu tun, und das kopflastige Handling drängt den Bug mit Vehemenz weg vom Scheitelpunkt der Kurve.

Am Limit macht die Längssperre auf, um das Einlenkverhalten zu entkrampfen, und die Quersperre macht zu, um die Balance stärker in Richtung Hinterhand zu verschieben. Doch das ändert nicht viel daran, dass ein hart am Wind bewegter Cayenne so stur untersteuert wie ein Ozeanriese in schwerer See.

Auch die Hoffnung, mit abgeschaltetem Stabilitätsprogramm engagierter in die Kurven gehen zu können, erfüllt sich nicht, trotz der im Prinzip eindeutig heckbetonten Drehmomentverteilung. Dieser Porsche ist also kein geländetauglicher Sportwagen, sondern ein Offroader mit sportwagenähnlichen Fahrleistungen.

Gut bestückt

Speziell der Turbo erfreut durch seine komplette Ausstattung. Dinge, die beim 911 extra kosten, sind hier aufpreisfrei - zum Beispiel das Navigationssystem, Bi-Xenonscheinwerfer mit integriertem Kurvenlicht, Ganzledertapezierung, Einparkhilfe, elektrisch betätigte Memory-Sitze und eine klangstarke Musikanlage von Bose.

Der Platz reicht selbst auf langen Strecken für vier Erwachsene, der Kofferraum fasst in Normalstellung reisetaugliche 540 Liter und die Verarbeitung ist tadellos. Trotzdem wirkt der holzgetäfelte Touareg noch gediegener als der mit Alublendwerk verzierte Cayenne, dessen von Digital- und Analoganzeigen zerfurchtes Kombiinstrument uns ebenso wenig gefällt wie die zu kleinen Tasten in der Mittelkonsole und die zu schwach konturierten Sitze.

Volles Lob gibt es dagegen für die homogene Feder-Dämpfer-Abstimmung und die aufmerksame Sechsgang-Automatik, die man auf Wunsch über Wippen im Multifunktionslenkrad manuell bedienen kann.

Zu viel Masse

Der Cayenne ist Allradkombi, Luxus-Van und Nobel-Offroader in Personalunion, aber er trägt zu viel Masse und Gewicht am Leib. Als Geländewagen setzt er zwar neue fahrdynamische Maßstäbe, doch als Porsche bleibt er hinter den Erwartungen zurück - es fehlen die Leichtfüßigkeit, das eindeutige Eigenlenkverhalten, die akzeptable Wirtschaftlichkeit. Eigentlich müsste der Cayenne-Interessent die Vertrauensfrage der sozialen Akzeptanz stellen, doch in der Oberklasse gelten eigene Gesetze, auf wichtigen Märkten wie den USA zählt ohnehin nur die Leistung und nicht der Verbrauch.

Das Gewinner-Image der Marke Porsche profitiert bereits vom erwarteten Nachfragestau, und statt der vertanen Chance nachzutrauern, sind die Zuffenhausener drauf und dran, auf Basis der neuen Overkill-Plattform ein weiteres Crossover-Sportwagenprojekt auf Kiel zu legen. Ein Auto mit zwei Gesichtern? Die Symbiose von Fortschritt und Rückschritt? Wir bitten um Bedenkzeit.

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