Porsche 911 Carrera:S muss nicht sein

Der Traum vom Elfer lässt sich auch mit dem "einfachen" Carrera erfüllen - für fast 10.000 Euro weniger als beim Topmodell S.

Von Jörg Reichle

Zurückhaltung gehört nicht gerade zu den hervorstechenden Wesenszügen von Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. Das missfällt, wie man hört, bisweilen selbst der Eigentümer-Familie. Wenn sich ihr oberster Angestellter mal wieder allzu offensichtlich als der wahre Mr. Porsche darstellt, dann hängt in Zuffenhausen der Haussegen schon mal schief.

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Carrera "normal": Wie üblich, fährt der Spoiler bei rund 120 km/h von selber aus.

(Foto: Foto: Porsche)

Andererseits sind Wiedekings Erfolge unumstritten. Gerade erst hat er den höchsten Gewinn in der Geschichte des Unternehmens verkündet: 1,088 Milliarden Euro, das sind 16,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Mann scheint derzeit über jede Kritik erhaben.

Auch seine Produkte, wie man vor allem am Gewinnbringer Cayenne sieht. Von Beginn an war der Geländewagen bei der Fachpresse umstritten. Zu durstig, zu plump, kein echter Porsche eben, monierten die Kritiker. Die Kundschaft sieht das offenbar anders und kauft.

Selbstläufer Carrera

Dagegen stößt die aktuelle Generation des 911 auf einhelligen Beifall. Die Rückkehr zur klaren Linie, mit Rundscheinwerfern und schönem Fugenverlauf, wird den neuen Elfer wohl zu einem weiteren Erfolgskapitel in der Ära Wiedeking machen. Der Carrera scheint ohnehin längst eine Art Selbstläufer zu sein, der Punkt an dem sich Kinder- und Männerträume begegnen.

Einmal im Leben einen Porsche fahren, das ist, wie einen Baum pflanzen und einen Sohn zeugen. Lebensziel und männliche Selbstdefinition in einem. An der Motorleistung allein kann das kaum liegen. Längst haben die Topmodelle von Audi, BMW und Mercedes gleichgezogen, mindestens. Bei mehr Platz und weitaus besserem Komfort.

S muss nicht sein

Und trotzdem: Elfer bleibt Elfer, mit seinem traumhaften Klang und seiner souveränen Kraftentfaltung, aber auch mit seinen Macken, die man ihm nicht nur verzeiht, sondern zu lieben scheint bis zur partiellen Verblendung.

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Cockpit: übersichtlich, aber ganz, ganz viele Knöpfe in der Mitte

(Foto: Foto: Porsche)

Die Lenkung zum Beispiel läuft auf schlechter Strecke jedem Buckel nach und liebt Längsfugen auf der Autobahn etwa so wie ein Terrier die Nachbarkatze. Oder die Hecklastigkeit, die trotz aller elektronischen Schadensbegrenzer immer noch als besondere Herausforderung an die Fahrkunst gilt. Oder der lächerlich kleine Tank.

Aber an Ikonen nörgelt man nun mal nicht herum. Insofern tut man bei Porsche auch gut daran, das Denkmal bei Lebzeiten zu pflegen und sich von Modellgeneration zu Modellgeneration mit feinen Verbesserungen zu begnügen.

Was ist "normal"?

Erstmals seit 1977 wird der 911 diesmal in zwei Leistungsstufen angeboten: als Basismodell mit 3,6 Liter Hubraum und 239 kW (325 PS) und als Carrera S mit 3,8 Liter Hubraum und einer Leistung von 261 kW (355 PS).

Nach den ersten Testfahrten mit dem stärkeren (siehe Link) sollte der einfache Carrera nun die Frage beantworten, ob für fast 10.000 Euro weniger auch der Traum vom Porsche ein weniger schöner sei.

In Zahlen ausgedrückt, sind die Unterschiede klein bis unerheblich. Von Null auf Tempo einhundert, nach wie vor Richtgröße an deutschen Stammtischen, vergehen beim Normal-Carrera gerade mal zwei Zehntelsekunden mehr als beim S, das Spitzentempo hängt mit 285 km/h auch nur um acht Kilometer nach.

Besser

Dafür bekommt man im Gegenzug fast alles, was den neuen Elfer besser macht als den alten: das neu entwickelte Sechsgang-Schaltgetriebe zum Beispiel, das Gangwechsel leicht und lässig gestaltet. Oder Sitze mit besserer Seitenführung und ein höhenverstellbares Lenkrad, das zusammen mit der vorgerückten Pedalerie auch langen Lulatschen kommodes Fahren ermöglicht.

S muss nicht sein

Nur für das optionale aktive Dämpfungssystem würden wir die gut 1500 Euro Mehrpreis unbedingt anlegen wollen. Zwar garantiert auch die Normalausführung höchste Dynamik und Fahrsicherheit, aber die Möglichkeit, auf Knopfdruck zwischen eiserner Härte und (relativem) Komfort wählen zu können, hat doch einiges für sich. Wobei die Sportstellung tatsächlich nur im Falle absolut festsitzender Plomben empfohlen wird.

Die Wermutströpfchen

Trotz aller Faszination bleiben auch diesmal noch Wünsche für die nächste Ausbaustufe. Für die Vielzahl an winzig kleinen Bedienknöpfen beispielsweise sollten sich die Innendesigner schon mal etwas einfallen lassen und für die billig aussehenden Pseudo-Alu-Plastikteile gleich mit.

Das Traumauto schlechthin bleibt der Elfer trotzdem. Teuer genug, um ihn zu ersehnen, aber doch nicht so teuer, als dass man nicht an eine kleine Chance glauben könnte, sich einmal im Leben einen zu leisten.

Porsche 911 Carrera: 3,6 Liter; 239 kW (325 PS); max. Drehmoment: 370 Nm bei 4250/min; 0 - 100 km/h: 5,0 s; Vmax: 285 km/h; Verbrauch: 11,0 Liter Super Plus; Abgasnorm EU4; 75.200 Euro

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