Pilotentreffen Oshkosh 2009:Abgehoben

Eine dreiviertel Million Zuschauer pilgern Jahr für Jahr nach Oshkosh: Impressionen vom weltgrößten Pilotentreffen.

Kurt Braatz

An jedem letzten Samstag im Juli schiebt Sam Graves die Tore des kleinen Flugzeughangars hinter seiner Farm in Tarkio, Missouri, zu Seite, zieht die selbstgebaute, schnelle Glasair auf das Vorfeld, verabschiedet sich von seiner Familie und ist für eine Woche weg. Sein Mais soll solange ohne ihn weiterwachsen. Ungefähr gleichzeitig macht Jim Cook 2000 Kilometer südwestlich in Auburn, Alabama, seinen Fachhandel für Luftfahrtbedarf ein paar Tage dicht. Er klettert in ein bulliges, tarngrünes Jagdflugzeug mit großen roten Sternen auf Rumpf und Tragflächen: eine russische Jak-9. Und auf seiner Ranch in Jackson, Wyoming, entscheidet sich Harrison Ford - Beruf: Schauspieler - nach kurzem Blick über seine Fluggeräte für die zweistrahlige Citation. Es ist weit von hier nach Oshkosh - selbst mit dem Businessjet wird er knapp drei Stunden brauchen.

Pilotentreffen Oshkosh 2009: Abgehoben: Hoch oben am Himmel faszinieren die verwegenen Manöver der Piloten.

Abgehoben: Hoch oben am Himmel faszinieren die verwegenen Manöver der Piloten.

(Foto: Foto: AFP)

Sam Graves, Jim Cook und Harrison Ford kommen alle Jahre wieder mit ihren Flugzeugen dorthin. Same Time, Same Place: Oshkosh, Wisconsin. 250 Kilometer nordwestlich von Chicago. Einige zigtausend Einwohner, im Stadtkern Backstein statt Beton, draußen ein bisschen Industrie und ein Regionalflughafen. Und sie kommen nicht allein. Rund 25.000 Flugbewegungen haben die Towerlotsen des verschlafenen Städtchens in sieben Tagen zu bewältigen; fast das Dreifache dessen, was während des gleichen Zeitraums in Frankfurt anfällt.

Oshkosh ist Sitz der Experimental Aircraft Association (EAA), und als Experimental wird in den USA jedes nicht serienmäßige Luftfahrtgerät registriert. Wer ein Bausatz-Flugzeug besitzt oder sein Luftgestühl selbst konstruiert hat, wer einen Oldtimer restauriert oder fliegt, ein Kunstflugzeug oder eine Rennmaschine sein Eigen nennt, ist in aller Regel Mitglied der EAA und bestrebt, an deren jährlicher Air Venture teilzunehmen. In einem Land, in dem das Wort Hobbypilot noch kein Schimpfwort ist und das Fliegen zur Mobilität gehört wie in Europa die Bahn oder das Auto, sind das 170.000 Menschen, deren Treiben allenthalben mit Begeisterung verfolgt wird. Allein nach Oshkosh pilgert Jahr für Jahr eine dreiviertel Million Zuschauer.

Man kommt als Pilot schon allein dann auf seine Kosten, wenn man Lagerfeuerromantik sucht und das Gefühl, im Zelt unter der Tragfläche der eigenen Maschine aufzuwachen. Oshkosh ist aber mehr. In mehr als 500 Veranstaltungen kann man Rat und Hilfe holen, Erfahrungen austauschen, Kontakte knüpfen, Luftfahrt-Veteranen lauschen oder mit Kongressabgeordneten über die Entwicklung des Luftrechts diskutieren. Sam Graves besucht einem Workshop zur Verarbeitung von Verbundwerkstoffen und Jim Cook fachsimpelt zwischen den Startbahnen mit dem Händler, der noch Ersatzteile für den 1400- PS-Zwölfzylinder seines Russenjägers liefern kann. Harrison Ford leitet derweilen die Jahreshauptversammlung der Young Eagles Association, einer EAA-Tochter, deren Präsident er ist: Hier haben sich Piloten zusammengetan, die flugbegeisterte Kinder und Jugendliche zum ersten Mal mit in die Luft nehmen.

Die Messerschmidt Me 262 soll wieder gebaut werden

Im vollbesetzten Forums-Pavillon spricht der deutsche Testpilot Wolf Czaia über das Project 262 - die Neuproduktion von fünf Exemplaren der Messerschmitt Me 262, des ersten Düsenjägers der Welt, durch ein Team ehemaliger Boeing-Spitzenkräfte, denen ihr Ruhestand zu langweilig geworden war. Czaia, ein gebürtiger Deutscher, ist der Testpilot dieses Programms. Nebenan erläutern Sir Richard Branson und Konstrukteur Burt Rutan ihre Vorstellungen vom Weltraum-Tourismus. Branson, Eigentümer der Fluggesellschaft Virgin Atlantic, hat dafür schon Virgin Galactic gegründet. White Knight Two, das Trägerflugzeug, mit dem sie bald ein Passagier-Raumschiff in die Stratosphäre befördern wollen, auf dass es sich von dort ins All katapultiere und hoffentlich den Rückweg finde, haben sie gleich mitgebracht.

Wer allerdings nur wegen der Flugzeuge gekommen ist, wird nicht enttäuscht. Große und kleine Hersteller sind mit ihren neuesten Typen, mit Kits, Bauplänen, Werkzeugen und Zubehör vertreten; Unternehmen wie Cessna, Honda und Garmin zählen zu den Sponsoren. Man stößt auf Niedliches wie den Terrafugia Transition, ein fliegendes Auto, das 2011 ausgeliefert werden soll, oder - am anderen Ende der Größenskala - auf den A380, mit dem Airbus im Mutterland seines Hauptkonkurrenten Flagge zeigt.

Jeden Nachmittag werden dreieinhalb Stunden Airshow auf höchstem Niveau geboten: Prototypen, historische Raritäten, Stunts und vor allem die Warbirds der Propeller-Ära, unter deren hämmerndem Bass die Heide wackelt. Da wirkt der Auftritt der Air Force mit einer nagelneuen F-22 Raptor wie eine Werbepause, in der man lieber Bier holt.

Der Vergleich mit dem Woodstock-Festival liegt nahe - nicht nur aus atmosphärischen Gründen oder wegen der Zuschauermassen. Im Woodstock-Jahr 1969 veranstaltete die EAA ihr erstes Fly-in in Oshkosh und bis heute ist es immer wieder gelungen, einen Koryphäen-Reigen auf Podien und Bühnen zu bringen, der seinesgleichen sucht. Wer ist der Jimi Hendrix hier? Chesley Sullenberger, der Flugkapitän, der den US Airways-Flug 1549 auf dem Hudson notwasserte, ohne dass jemandem ein Haar gekrümmt wurde? Buzz Aldrin, der zweite Mann auf dem Mond? Oder Kirby Chambliss, Kunstflug-Weltmeister und Gesamtsieger der Red Bull Air Races?

Nur die echte Pilotenleistung zählt

Ein paar verwitterte Figuren um eine DC-3 Dakota, die so aussehen, als hätten sie schon in den zwanziger Jahren den Mittleren Westen unsicher gemacht, finden die Frage cool und sind sich schnell einig. "Joe Engle", knurrt der mit der abgeschabtesten Lederjacke und deutet auf einen schlanken Jeansträger um die siebzig, der einem ziemlich fülligen Jeansträger um die vierzig das T-Shirt signiert.

Joe who? "Engle", wiederholt der Abgeschabte. "Joe war Testpilot in Edwards; von der F-100 bis zur F-106 ist jeder Kampfjet durch seine Hände gegangen. Dann hat er die X-15 geflogen, 50 Meilen hoch und sechsmal schneller als der Schall. Da war er gerade dreiunddreißig. Und dann haben sie ihn zum Space-Shuttle-Kommandanten gemacht."

"Okay, aber Buzz Aldrin war auf dem Mond. . . " Der Abgeschabte macht eine wegwerfende Handbewegung. "Wir reden von Piloten, mein Sohn. Nicht von Dosenfleisch. Joe ist der einzige, der den Shuttle mit eigenen Händen aus dem Weltraum bis nach Cape Canaveral zurückgeflogen hat. Ohne Automatik, von Mach 25 bis zum Stillstand."

Wo ist mein Filzstift? - Auf meinem Hemd ist jede Menge Platz. Als ich wieder aufschaue, ist Joe Engle verschwunden.

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