Ozeanriesen im Test:Auf großer Fahrt im kleinen Becken

In der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt werden Ozeanriesen im Miniformat nachgebaut und unter Laborbedingungen getestet. Auch Seegang lässt sich simulieren.

Daniel Hautmann

Das Containerschiff entsteht in Rekordzeit. Schicht für Schicht bauen die Spezialisten den Rumpf auf, dann installieren sie die Antriebseinheit, schließlich befestigen sie Ruder und Propeller. Nach vier Wochen sticht der Frachter in See.

Natürlich erschaffen die Mitarbeiter der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA), kein Schiff in Originalgröße. Müssen sie auch nicht, für ihre Testreihen reichen kleine, maßstabsgetreue Modelle. Die Skalen reichen von 1:25 bis 1:40. Das heißt: Ein zehn Meter langes 1:35-Modell ist in Wirklichkeit 350 Meter lang. Die 30 Zentimeter hohen Wellen, die es im Versuchstank macht, messen auf dem Ozean mehr als zehn Meter.

Gegründet wurde die HSVA 1913. Seinerzeit war sie die erste kommerzielle und größte Schiffbauversuchsanstalt der Welt. 1957 wurde der Eiskanal eröffnet - bis heute gibt es weltweit nur zwei weitere dieser Größe. 1990 kam dann der damals weltweit größte Kavitationstunnel hinzu und in diesem Jahr wurde ein innovativer Seitenwellenerzeuger installiert.

"Hauptsächlich geht es darum, zu prüfen, wie viel Leistung ein Schiff braucht", sagt Uwe Hollenbach, Leiter Propulsion und Widerstand an der HSVA. Die Antriebsleistung, also die Stärke des Motors, wird zwar vor dem Bau berechnet, doch hundertprozentig auf die Computer verlassen wollen sich weder die Reedereien, noch die Werften.

Deshalb wird ein Modell angefertigt und unter den zu erwartenden Bedingungen auf den Test-Ozean geschickt. Damit weiß der Reeder, dass sein Schiff die geforderte Geschwindigkeit erreicht, die Werft hat Gewissheit, dass die Zeichnungen stimmen, und der Charterer kann sich darauf verlassen, dass er den Zeitplan mit seinem neuen Schiff einhält.

Zu den Kunden der HSVA zählen Containerschiffsreedereien wie Maersk, MSC oder die Norddeutsche Reederei H. Schuldt aus Hamburg. Deren Technischer Direktor, Niels Kaiser, hat hier schon einige Schiffe testen lassen und schätzt die unabhängige Expertise: "Die wissen was zu tun ist, um ein Schiff auf seine Verwendungsnische hin optimal auszulegen."

Jedes Schiff ist anders - vor allem unter Wasser

Auch Modelle von Kreuzfahrtschiffen wie die der AIDA-Serie, die Brilliance of the Seas oder Disney Dream wurden in Hamburg geprüft. Und selbst Privatiers lassen ihre Yachten checken. "Aber nur die größten, so ab 40 Meter aufwärts", sagt Hollenbach. Kein Wunder, das Gesamtpaket kostet rund 40.000 Euro.

Der Aufwand ist enorm. Die zwischen acht und dreizehn Meter langen Modelle, jedes um die 700 Kilogramm schwer, entstehen in der Schreinerei. Die Größe des Schiffs gibt dabei der Propeller vor. Er wird aus dem Regal geholt, und um ihn herum bauen die Wissenschaftler dann das maßstabsgerechte Modell auf. Dazu legen sie Schichten von ausgesägten Holzteilen übereinander und verleimen diese.

Dann kommt der Rumpfrohbau auf die Fräsmaschine, anschließend schmirgeln die Mitarbeiter von Hand. Erst wenn alles passt, werden die Modelle lackiert. Eine gelbe Schicht kennzeichnet die Schiffe für die normalen Versuche, rot leuchtende fahren im Eiskanal - so sieht man sie besser.

Doch wozu braucht es Modelle? Sehen die Schiffe nicht alle gleich aus? "Nein", sagt Hollenbach. Zwar ähnelten sich fast alle Schiffe über der Wasserlinie, doch unterhalb gleichen sich nur wenige. "Das kommt ganz darauf an, wo der Reeder das Schiff einsetzen will", erklärt Hollenbach.

Bestimmte Häfen und Fahrtgebiete geben einen maximalen Tiefgang vor. In Schleusen darf eine gewisse Breite nicht überschritten werden. Fahren die Schiffe nach einem festen Fahrplan, müssen sie eine bestimmte Geschwindigkeit einhalten, sonst gerät alles aus dem Takt. "Das alles hat Einfluss auf die Rumpflinien", sagt Hollenbach.

Ob die Linien stimmen, erfahren die Wissenschaftler im großen Schlepptank. Der ist 300 Meter lang, 18 breit und sechs Meter tief. Es ist dunkel, am hinteren Ende des Bassins strahlt ein schwaches Licht. Im sogenannten Schleppwagen, einem monströsen Stahlrohrgestell, das auf Rädern auf dem Beckenrand fährt, ist ein Schiffsmodell befestigt. Gleich wird es geschleppt, wie die Spezialisten sagen.

Auch im Test: geschlossene Eisdecken

Dabei filmen Kameras die Wellenbildung, Sensoren messen die Kraft, die nötig ist, um den Schiffsrumpf ohne Propeller durchs Wasser zu ziehen. Für solche Versuche braucht man ein langes Becken. Doch selbst die 300 Meter sind in wenigen Sekunden abgefahren. "Die Geschwindigkeit wird ebenfalls maßstäblich hochgerechnet", erklärt Hollenbach.

Als nächstes folgt der Propulsionstest. Diesmal treibt sich das Schiff selbst an, Sensoren messen Drehzahl, Drehmoment und Schub. Anhand der so gewonnenen Daten können die Wissenschaftler vergleichen und errechnen die Leistung des echten Schiffs.

Und der Tank erlaubt noch viel aufwendigere Tests. Mit Hilfe der neuen Wellengeneratoren lässt sich Seegang simulieren, und zwar aus so ziemlich jeder Richtung. Denn ob die Wellen von schräg hinten oder exakt von vorne anrollen, macht einen großen Unterschied im Treibstoffverbrauch und der Stabilität des Schiffs.

Selbst geschlossene Eisdecken, können die Schiffstester nachahmen. Auch hier gilt der Maßstab: "40 Millimeter dickes Eis im Kanal entspricht einem Meter auf der Ostsee", erklärt Eistank-Projektleiter Nils Reiner. Damit auch alles möglichst echt ist, wird Salzwasser gefroren, das friert nicht so fest wie Süßwassereis.

Auch hier prüfen die HSVA'ler wie viel Antriebsleistung ein Schiff braucht, um einen definierten Eismantel zu durchbrechen. Ein Argument, dass für Schiffbauer immer wichtiger wird, schließlich wollen mehr und mehr Reeder ihre Schiffe über die Nord-Ost-Passage nach Asien schicken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: