Oldtimer:Die fabelhaften Bentley Boys

Mitglied des Benjafield´s Racing Club in einem Bentley-Oldtimer

Ein extravagantes Auftreten seitens der Mitglieder ist im Benjafield´s Racing Club ausdrücklich erwünscht.

(Foto: Gudrun Muschalla)

Die Beulen und Falten ihrer seltenen Bentley-Oldtimer gehören zum Konzept: Der Benjafield´s Racing Club ist eine der skurrilsten Oldtimer-Vereinigung der Welt - urbritisch und stets zu bösen Scherzen aufgelegt.

Von Roland Löwisch

Der vornehme Inder mit dem belederten Helm auf dem Kopf verzieht angeekelt das Gesicht. Wie groß die Anhänger sein müssen, um diese riesigen, bis zu 2,3 Tonnen schweren Oldtimer zu tragen? "Selbstverständlich sind wir alle auf eigener Achse hierher gekommen", sagt Sati Lall entrüstet mit Blick auf die versammelten 22 Vorkriegs-Bentleys, "wir besitzen doch keine Trailer-Queens . . ."

Trailer-Queens? Darunter verstehen Lall und seine 87 Kollegen vom urbritischen Benjafields Racing Club (BRC) Autos, die mit Q-Tipps und Zahnbürsten auf Hochglanz gebracht werden, um dann per Anhänger einen Ausstellungsort irgendwo auf der Welt zu erreichen. Es steht zwar nicht explizit in den Statuten des exklusiven Clubs, aber nicht auf eigener Achse zu Events in Europa anzureisen, ist verpönt.

Dementsprechend sehen die Autos der Mitglieder auch aus: Gebrauchsspuren beschreibt bei einigen nur ungenügend das bewegte Leben der Cricklewood-Bentleys, so genannt nach dem Ort ihrer Herstellung in den Jahren 1919 bis 1931. Die Ungetüme mit Hubräumen zwischen drei und acht Litern haben Beulen, Falten, hier keinen Lack mehr und dort kein Chrom, sie sind im Laufe ihres mindestens 83 Jahre langen Lebens zigmal umgebaut worden und sie werden nahezu als Alltagsautos benutzt - die Besitzer malen ihre Sprüche darauf, verändern die Kühlerfiguren nach Gusto und das mitgeführte Werkzeug sieht aus, als hätte der werte Walter Owen Bentley sie noch selber angefasst.

Honorige Outlaws vor Schloss Dyck

Jüngst hat es Lall und Kollegen wieder zum Schloss Dyck gezogen, die "Classic Days" bei Jüchen gelten als deutsche Klassikeroase. Hier macht der BRC seit sechs Jahren die Wiese vor dem Haupttor unsicher, und längst sind die honorigen Outlaws der Liebling der Besucher, schließlich missachten keine anderen Gentlemen die Regeln so charmant wie sie. Andererseits gastieren sie selbst hier inzwischen lieber als im altehrwürdigen Goodwood, weil sich Schloss Dyck familiärer gibt als das immer unpersönlicher werdende Revival im Süden Englands.

Es zieht den Club aber jedes Jahr noch ganz woanders hin - zum Beispiel nach Istanbul, Kroatien, Dresden oder in die Cotswolds. Und stets wird auf eigener Achse gereist, egal ob von der Isle of Man oder aus Belgien, Dänemark oder Deutschland - es sei denn, man startet die Tour erst in Südafrika. Oder in Indien, um nach 6000 Kilometern gespendete Gelder an unfallgeschädigte Kinder zu übergeben.

Der BRC hat jedenfalls genau zweieinhalb Gründe für Reisen, Rennen und Rastlosigkeit: "Die Kameraderie untereinander zu pflegen, Spaß zu haben und manchmal auch gesammeltes Spendengeld zu übergeben", sagt Peter Godehardt, einer von sechs deutschen Mitgliedern. Er selbst besitzt einen 2,3 Tonnen schweren Achtliter-Bentley und hat seit der Überarbeitung des 250-PS-Sechszylinders im Jahr 2000 rund 168 000 Kilometer mit dem betagten Wagen zurückgelegt.

Unerbittliche Aufnahmerituale

Bentley-Oldtimer des Benjafield´s Racing Clubs

Eine Kolonnenfahrt der alten Bentleys ist für die Zuschauer vor allem ein akustisches Vergnügen.

(Foto: Gudrun Muschalla)

Um in den BRC aufgenommen zu werden, muss erst mal ein Platz frei werden: Die Anzahl ist auf 88 begrenzt, und ein neues Mitglied kann erst einsteigen, wenn ein anderes den 1971 verstorbenen Mr. Bentley im Himmel besucht. Man braucht einen vehementen Fürsprecher, muss bereit sein, jederzeit an seinem oder einem anderen Auto zu schrauben, bis einem das Öl aus den Poren tropft. Und es hilft natürlich, Besitzer eines oder mehrerer Cricklewood zu sein.

Was nicht einfach ist, denn selbst die geschundensten (aber technisch einwandfreien) Exemplare sind kaum günstiger als 300 000 Euro, andere wie der nur 55-mal gebaute Blower (4,5 Liter mit Kompressor) mit Rennhistorie kosten mehr als eine Million Euro - wenn überhaupt mal ein echter auf dem Markt ist. "Doch um Geld geht es bei uns nicht", weiß Ex-BRC-Präsident Phillip Strickland, "wer mangelnde Liquidität mit Enthusiasmus, Sportsgeist und Freundschaft ausgleicht, hat beste Chancen, Mitglied werden zu dürfen."

Nachfolgegemeinschaft der legendären Bentley-Boys

All das passiert ganz im Sinne von Club-Namensgeber Dudley Benjafield. Der Bakteriologe und Le-Mans-Gewinner von 1927 gilt beim BRC als echter Gentleman, perfekter Teamplayer und Gründer der Tradition des Winter-Dinierens in vollem Abendanzug. Er gehörte zu den legendären Bentley Boys. Das war eine verwegene Schar höchst wohlhabender Draufgänger - geführt vom Diamantenminenerbe und späteren Bentley-Firmenbesitzer Woolf Barnato -, die sich mutig in jedes Abenteuer und Rennen stürzte, das mit Bentleys zu machen war. Und so sieht sich der BRC als deren legitime Nachfolgegemeinschaft.

Und die lässt es krachen. In Rumänien fliehen ein paar von ihnen aufgrund leichten Speedings mit ihren bis zu 250 PS starken Boliden problemlos vor der untermotorisierten Autobahnpolizei, woanders lösen beim morgendlichen Start durch Sound und Vibrationen die Alarmanlagen der umliegenden Autos und Hotels aus.

Ärger wegen der Kartoffelkanone

Zu den größten Entertainern im Club gehört Kjeld Jessen. Der Däne, Besitzer eines viersitzigen Sports-Tourers und Teilnehmer der 16 000-Kilometer-Rallye Peking-Paris, führt meistens eine Kartoffelkanone mit sich. Mit dem Achselspray-getriebenen Selbstbau schießt er normalerweise Bonbons über die staunende Menge am Straßenrand, doch manchmal gehen die Pferde mit ihm durch. Einst munitionierte er das Ofenrohr mit kamellenbestückten Lappen (manche Mitglieder wollen gesehen haben, dass es die persönlichen Socken von BRC-Ehrenpräsident Prinz Michael of Kent, dem Enkel von König George V., waren) und feuerte die Ladung in die Decke eines russischen Hotels. Mangels nachhaltiger Bausubstanz schlugen sie dort tief ein. "Das Ding hat uns schon ein paar Mal fast in den Knast gebracht", freut sich Leidensgenosse Strickland.

Natürlich veranstalten die großen Jungs auch noch eigene Klubrennen. Zum Beispiel den "Vaughan-Davis-Sprint", benannt nach einem Gründungsmitglied. Dazu lädt sich der BRC und andere in den Vorgarten von Lord und Lady Rotherwick ein, um auf deren Zufahrt zum Nordhaus des ehemaligen Jagdschlosses in Cornbury Park, Charlbury, Oxfordshire, ein paar Sprintrennen auszutragen.

Rekordrunde im Flugmotor-Bentley

Mitglieder des Benjafield´s Racing Clubs.

Gute Laune herrscht meistens bei den Bentley-Boys. Kein Oldtimer-Club bricht Regeln so charmant wie sie.

(Foto: Gudrun Muschalla)

500 Meter, drei Kurven, Freunde mit alten Healeys, Alvis und MG, hochoffizielle Zeitnehmer vom Oldtimer-Verband - fertig ist das gelungene Wochenende. Erst recht, wenn zum Beispiel der Bentley-Napier von Chris Williams alles in Grund und Boden brüllt. Der zum Einsitzer umgebaute Sportler besitzt einen 24-Liter-Napier-Flugmotor, und Williams hält mit 44,36 Sekunden die schnellste je auf dieser Strecke gefahrene Rekordzeit. Lord und Lady sind amused.

Etwa 3000 Cricklewood wurden gebaut, es sollen noch rund 1000 existieren. Und davon geht das eine oder andere Modell immer mal wieder durch die Hände von Stanley Mann. Der Mann aus Radlett bei London dealt seit Jahrzehnten mit den Maschinen. In seinem Büro saßen bereits Schauspieler Rowan Atkinson und Ex-US-Talker Jay Leno, der US-Schriftsteller Clive Cussler kaufte ihm gleich zwei Wagen ab.

Die wildesten Pokale für die schrägsten Abenteuer

Einmal im Jahr, immer im November, ist Mann Gastgeber vom "Annual Dinner" auf seiner Farm in der Nähe von London. Die Vorgaben zur Teilnahme sind streng: Smoking, keine Frauen (ein paar schlanke und junge Models sind allerdings erlaubt, wenn es gilt, die neue Klubkluft zu präsentieren) und Gäste nur mit Empfehlung. Der Abend mit Blick auf Mother Gun, einen für Temporekorde umgebauten einsitzigen, Original-Siegerwagen von Le Mans, wo Bentley 1924 und von 1927 bis 1930 gewann, wird stets mit dem gleichen Trinkspruch eingeläutet: "Thanks, God, for turning Water into Wine. And thanks for turning it back again." Das lassen sich die allermeisten der Klubmitglieder, von denen das älteste inzwischen 79 Lenze zählt, nicht entgehen. Manche erreichen die Farm - sogar bei Schnee und Eis - selbstverständlich in ihren offenen Klassikern.

Dann wird über das Jahr parliert, gegessen, getrunken, um sich schließlich die wildesten Pokale für die schrägsten Abenteuer des Jahres zu verleihen. Zum Beispiel einen ausgefransten Hasenkopf, der 1925 auf ein Propellerendstück genagelt wurde. Die Trophäe heißt "Haarigster Moment des Jahres" und honoriert glimpflich überstandene Unfälle - oder auch mal den Mut zur Heirat. Die offensichtlich viktorianische Salatschüssel "Nil Desperandum" gibt es für "Die beste Aktion gegen alle Regeln". Die hat zum Beispiel einmal Robert Harley gewonnen, weil er aus dem Krankenhaus flüchtete, um beim Urauto-Event "London-Brighton", eine 100-Kilometer-Rallye für Autos vor Baujahr 1905, mitfahren zu können. Und dann gab es kürzlich - nur ein einziges Mal - den "Trailer Queen Award". Der war für denjenigen bestimmt, der sein automobiles Juwel am häufigsten auf einem Trailer zu diversen Events gezogen hat. Es fand sich kein Sieger.

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