Öffentlicher Nahverkehr:Der Wegräumer

Verkehrsmeister Tobias Hauser aus Leipzig macht den Weg frei für Bus und Bahn - wenn's sein muss, auch mit Psycho-Taktik.

Von Marco Völklein

Tobias Hauser hat es schon am Vormittag geahnt. Als ein paar Hertha-Fans ihn auf dem Bahnhofsvorplatz ansprechen und fragen, wie sie denn in die Altstadt kommen. "Wollt ihr zum Weihnachtsmarkt?", fragt Hauser zurück. Und einer der Fans sagt nur: "Das auch." Da schwant Hauser Böses: "Ein schlichtes 'Ja' hätte auch gereicht", raunt er später einem Polizisten zu. Und gibt seine Prognose ab: "Die haben sicher noch irgendetwas vor."

Tatsächlich setzen die Berliner ihren Plan später um. Gegen 13 Uhr an diesem Fußballsamstag im Advent stehen sie auf einmal zu Hunderten auf der Kreuzung des Tröndlinrings mit der Gerberstraße und blockieren so einen zentralen Verkehrsknoten Leipzigs. Der Autoverkehr steht. Auch bei den Straßenbahnen geht nichts mehr. Schließlich führen die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) mehr als ein halbes Dutzend Linien über die Kreuzung.

Öffentlicher Nahverkehr: Läuft alles auf dem Tröndlinring, einer der zentralen Straßenbahnachsen der Messestadt? Verkehrsmeister Tobias Hauser im Einsatz.

Läuft alles auf dem Tröndlinring, einer der zentralen Straßenbahnachsen der Messestadt? Verkehrsmeister Tobias Hauser im Einsatz.

(Foto: Marco Völklein)

Hauser ist zu dieser Zeit im Leipziger Nordwesten in seinem orange-silbernen VW-Transporter unterwegs. Er zeigt dem SZ-Reporter das historische Straßenbahndepot in Möckern. Alte Züge erinnern an die Tradition des öffentlichen Verkehrs in der Messestadt. Wie in vielen Kommunen, die keine U-Bahn unterhalten, bildet die Straßenbahn das Rückgrat des Nahverkehrs in der 570 000-Einwohner-Stadt. Hauser sorgt als Verkehrsmeister der LVB dafür, dass dieses Rückgrat hält. Jeden Tag sind er und seine Kollegen unterwegs - nicht nur in Leipzig, auch in vielen anderen Städten. Krachen etwa ein Auto und eine Straßenbahn ineinander, eilen Verkehrsmeister herbei. Sie nehmen den Unfall auf, leiten Busse und Bahnen um, sind Ansprechpartner für Polizei und Rettungsdienste, koordinieren die Abschlepparbeiten. Sie lassen Falschparker umsetzen, wenn die Gleise blockieren. Oder organisieren einen Reparaturtrupp, wenn ein Bagger die Oberleitung herunterreißt. Leute wie Hauser halten den Verkehr am Fließen - auch wenn die Stadt überläuft.

So wie an diesem Adventssamstag in Leipzig. Kurz vor dem Fest lockt der Weihnachtsmarkt Besucher an, die Geschenkeeinkäufer drängen in die Geschäfte. Zudem strömen Tausende Bergleute aus dem Erzgebirge in die Stadt, um am Nachmittag ihre traditionelle Bergparade abzuhalten. Und zu allem Überfluss empfängt der Bundesliga-Aufsteiger RB Leipzig die Hertha aus Berlin. Etwa 42 000 Fans passen ins Stadion, das mitten in der Innenstadt liegt. Es ist ausverkauft. Gut 60 Prozent der Zuschauer reisen mit der Straßenbahn an. Hauser und seine Leute sind gefragt.

145,6 Kilometer

lang ist das Streckennetz der Straßenbahn in Leipzig - es zählt damit zu den größten in Deutschland. Im vergangenen Jahr beförderten die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) etwa 146 Millionen Fahrgäste, sechs Prozent mehr als 2015. Bundesweit lag der Zuwachs 2016 bei 1,8 Prozent. Die LVB betreiben 290 Straßenbahnen und Beiwagen sowie 160 Busse.

Eigentlich hat Hauser alles im Detail geplant für diesen Tag. Per Fan-Brief hat die Polizei die Hertha-Anhänger schon vor Tagen eingestimmt: Wer mit dem Zug anreist, kann sich vom Leipziger Bahnhof im Fan-Shuttle direkt zum Stadion bringen lassen. Von 13 Uhr an sollen die extra angeforderten LVB-Busse am Seiteneingang des Bahnhofs bereitstehen. Bloß: Späher der Polizei haben bemerkt, dass die Herthaner früher anreisen als gedacht. Also klingelt bei Hauser das Telefon: Die Polizei fragt, ob die ersten Busse gute zwei Stunden früher am Bahnhof stehen können. Hauser fordert in der Leitstelle einen Reservebus an und schickt ihn zum Hauptbahnhof. "Den stellen wir den Fans da mal hin", sagt Hauser.

"Für's Auge." Dahinter steckt auch ein wenig Psychologie: Stehen Busse bereit, so hoffen die Planer, bleiben die Hertha-Fans am Bahnhof in Gruppen beisammen - und diffundieren nicht in die Altstadtgassen, mischen sich nicht unter die Besucher auf dem Weihnachtsmarkt. So kann sie die Polizei im Blick behalten. Hauser arbeitet eng mit den Behörden zusammen. Alle sind per Du, die Verantwortlichen treffen sich immer wieder - sei es bei Fußballspielen, Demos oder Großveranstaltungen.

Kreuzung blockiert

Gegen 13 Uhr allerdings ist klar, dass die Psycho-Taktik mit den Bussen nicht aufgeht. Über Funk hört Hauser: "Kreuzung Gerberstraße blockiert." Er schaltet das Blaulicht auf dem Dach seines Dienstwagens an - und prescht zum Hauptbahnhof. Am Vorplatz lässt er das Seitenfenster runter und ruft zu den Busfahrern rüber: "Vier Busse - mir hinterher." Kurz darauf ist der Konvoi an der Kreuzung zur Gerberstraße.

Dort haben Polizisten die gut 400 Hertha-Fans umzingelt. Per Lautsprecher fordert ein Beamter sie auf, in die Busse zu steigen. "Die bringen Sie direkt zur Arena." Schließlich räumt die Gruppe den Platz. Hauser bespricht sich mit dem Einsatzleiter der Polizei. Fahren die Busse nun direkt zum Stadion? Die Ordnungshüter würden gerne Zeit schinden, jetzt, wo man die Fans so schön zusammen hat. Kann Hauser die Busse nicht einen Umweg nehmen lassen? Quasi eine Extrarunde drehen mit den Berlinern quer durch die Innenstadt?

Öffentlicher Nahverkehr: Verkehrsmeister Tobias Hauser

Verkehrsmeister Tobias Hauser

Hauser überlegt. Rät dann aber ab. Er müsste zunächst einen Verkehrsmeister losschicken, um die Route abzufahren. Insbesondere in engeren Straßen könnte es sein, dass Autos knifflige Stellen zugeparkt haben. "Und wenn wir da mal drinstecken, kommen wir nicht wieder raus", sagt Hauser. Das Risiko ist ihm zu groß - insbesondere mit teils gewaltbereiten Fußballrandalierern an Bord. Also geleiten etwa zwei Dutzend Polizeifahrzeuge mit Blaulicht vier LVB-Busse zur Arena. Ganz am Ende fährt Hauser in seinem Kastenwagen, auf dem Dach blitzt ebenfalls das Blaulicht. "Das läuft immer so", sagt er. "Dann weiß die Polizei: Da ist das Ende der Fahrzeugschlange."

Ansonsten läuft alles nach Plan. Von etwa 14 Uhr an rollen die Straßenbahnen auf dem Bahnhofsvorplatz im Minutentakt in Richtung Stadion. Zu Zehntausenden strömen die Fans zu den Waggons. "An solchen Tagen haben wir alles auf der Straße, was rollen kann", sagt Hauser. Erst um kurz nach 15 Uhr reißt der Strom der Fans plötzlich ab. Zeit zum Durchschnaufen. Hauser fährt mit vier weiteren Verkehrsmeistern ins Stadion, das Spiel läuft bereits. Was macht seinen Job aus? Was reizt ihn daran? "Ich mag es, Probleme zu lösen", sagt Hauser. Ihm sei es wichtig, Dinge zu ermöglichen. Hauser ist ein Praktiker, ein Macher. Er sagt: "Entscheidungen sind dazu da, getroffen zu werden."

Während sich seine Leute eine Bratwurst gönnen, trifft sich Hauser in der Halbzeitpause mit den Behördenvertretern. Die Polizei ist da, Feuerwehr, Sanitätsdienst, Stadionordner. Die Einsatzleiter tauschen sich aus, jeder trägt kurz vor. Der LVB-Vertreter sagt nur: "Keine größeren Probleme bei der Anreise." Dann wird die Abfahrt der Berliner Fans besprochen. Die Deutsche Bahn hat zwei Sonderzüge für die Fahrt nach Berlin bereitgestellt. Die LVB soll die Anhänger der Hertha zurück zum Bahnhof kutschieren. "Machen wir", sagt Hauser. Und greift zum Funkgerät, um die nächsten Anweisungen zu geben.

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