Notorisches Staustück einer Autobahn:Auf der Standspur

Hitler hatte das anders geplant, aber zwischen Adelzhausen und Odelzhausen ist immer Stau. Besuch bei einer bayerischen Autobahn.

Willi Winkler

Sie wittern gegen den Wind, das muss der Frühlingswind sein, zwei, drei, vier, eine ganze Gruppe. An der A 8 zwischen Augsburg und München stehen Hirsche. Sie wittern, äsen, gehen langsam weiter, bleiben stehen, wittern wieder. Die Autobahn stört sie nicht, die ist immer da und immer gleich, aber wenn doch der Frühling kommt!

zwischen Adelzhausen und Odelzhausen ist immer Stau Illustration: Arthur Schuh-Hat/SZ

Für einen Stau braucht man: zu viele Autos, zu wenig Straße.

(Foto: Illustration: Arthur Schuh-Hat/SZ)

Die Autobahn ist ein frühes grünes Projekt. Durch Täler und über Höhen sollte sie sich ziehen, dem Lauf der Flüsse folgen und sich an die Mittelgebirge schmiegen und zu guter Letzt noch das Volk zur Volksgemeinschaft zusammenführen. Auf den Bildern der Fotografin Erna Lendvai-Dircksen, die den Bau in den Dreißigern mit riefenstählerner Lust am Mann begleitet hat, ist die Autobahn autoleer, fahren nie mehr als zwei oder drei Wagen über die vierspurige Bahn, die sich, ach Amerika!, weit hinten am Horizont verliert. Sie achtet die Natur, umkurvt respektvoll tausendjährige Ulmen, überbrückt in atemberaubenden Bögen reißende Flüsse, bezwingt sogar die Alpen und bleibt dabei immer Natur.

Dabei führt die naturverliebte Autobahn auf dem kürzesten Weg in die Moderne.

Autofahren als Flucht

"Wer auf solchen Straßen zieht", heißt es mit poetischem Schwung, wenn auch nicht ganz bildsicher, "dem versinkt in fliehender Eile der Kirchturm seines beengten Daseins in versöhnender Ferne." Auf den Bildern dieses Bandes ist Autofahren nicht bloß schön, sondern Flucht. Bloß weg.

Autofahren, das weiß der moderne Autofahrer, war früher, heute ist Stillstand. Die A8 zwischen München und Augsburg ist nichts Besonderes. Die Nürnberger Autobahn hat den längeren Stau, die Salzburger mehr Autos, die Eschenrieder Spange mehr Unfälle, aber nur die A8, und vor allem der Abschnitt zwischen den Ausfahrten Adelzhausen und Odelzhausen, kommt ständig in den Verkehrsnachrichten von Bayern3.

Die Ortsnamen sind nur mehr komische Umschreibungen für Stau, Unfall, Stau und den Geisterfahrer, der einem bei diesen so ähnlich lautenden Ortschaften unweigerlich entgegenkommen muss.

Auf der Standspur

Was da passiert und vielmehr nicht passiert, ist längst wissenschaftlich untersucht. Wenn man die Fahrzeugfolgevorgänge zugrundelegt, die Geschwindigkeitsdifferenz und den momentanen Abstand der Fahrzeuge mitberechnet und auch die Exponentialparameter nicht vernachlässigt, die die Einflüsse der Eigengeschwindigkeit und den Abstand zwischen den aufeinanderfolgenden Fahrzeugen bestimmen, ergibt sich eine bezaubernde Formel, die den Stau exakt beschreibt, aber komischerweise nicht auflöst.

Staufromel Stauforschung zwischen Adelzhausen und Odelzhausen ist immer Stau

Der Stau als mathematische Formel

Im morgendlichen Berufsverkehr stauen sich die Autos wie noch jeden Tag. Bayern 3 gellt wieder aus dem Radio und sagt nichts Neues: Stau auf der Stuttgarter Autobahn vor der Ausfahrt Fürstenfeldbruck nach einem Unfall. "Buddha", so heißt es in der "Lehre des Buddha", die im Schlosshotel Odelzhausen aufliegt, "hält sich von diesen Unterscheidungen fern und schaut auf die Welt wie auf eine Wolke." Das ist sogar recht gut beobachtet, denn draußen raucht es wirklich wie mit Wolken. Es ist wieder einmal Stau.

Vom Autonarr ohne Führerschein

Die Strecke der A 8 ist eine alte Römerstraße, die unter den Füßen der völkerwandernden Goten und Germanen immer mehr herunterkam. In den fünfziger Jahren des 18.Jahrhunderts brauchte Giacomo Casanova für die Reise von München nach Augsburg noch fünf Stunden. Vielleicht lag's daran, dass ihn diesmal bloß der Fürstbischof erwartete und keine schöne, verführungsbereite Frau, und die Straßen waren schon sehr schlecht. Aber die Strecke betrug seinerzeit, kleinere Städte einkalkuliert, auch nur siebzig Kilometer.

Die Autobahn wurde fällig, kaum dass die Volksmotorisierung begonnen hatte. Die Wirtschaft wollte wachsen, und der Volksgenosse hatte ein Recht auf sein eigenes Auto. "Fünf Mark die Woche musst Du sparen,/ willst Du im eigenen Wagen fahren." 1933 gab es 1.562.823 Kraftfahrzeuge (Lkws, Autos, Krafträder) in Deutschland, die sich noch ganz malerisch über das wachsende Fernstraßennetz verteilten.

Der neu ernannte Reichskanzler hatte zwar keinen Führerschein, aber er war ein Autonarr. Julius Streicher, sein Gauleiter von Franken, wusste ehrfürchtig davon zu raunen: "Es war nach seiner Entlassung aus der Festungshaft in Landsberg. Wir saßen irgendwo in der Hauptstadt der Bewegung mit dem Führer beisammen und hörten ihn von Dingen sprechen, die uns die Zukunft bringen würde. Da sprach er auch von seinen Straßen, die er einmal in Deutschland bauen wolle."

Auf der Standspur

zwischen Adelzhausen und Odelzhausen ist immer Stau

Odelzhausen lässt sich vom Gebrumm nicht aus der Ruhe bringen - zumindest auf der Postkarte.

Leider war ihm der Oberbürgermeister von Köln zuvorgekommen. Konrad Adenauer weihte bereits 1932 die erste Autobahn zwischen Köln und Bonn ein. Adolf Hitler machte aber gleich weiter und versprach: "Wir werden die Widerstände dagegen aus dem Weg räumen und die Aufgabe groß beginnen."

Der oberste Lenker forderte sein Volk auf, sich ungesäumt in die "Arbeitsschlacht"" zu stürzen. Im ganzen Reich wurde emsig gebaut, aber immer naturnah. Bereits im ersten Etatjahr waren 350 Millionen kreditfinanzierte Reichsmark für den kreuzungsfreien Schnellverkehr eingesetzt.

Die Rückzahlung konnte - volkswirtschaftlich günstig - unterbleiben, weil die Schulden mit den eroberten Ostgebieten und schließlich der Kapitulation verrechnet wurden.

Trunken-verunglückte Oden

Tausende zogen in die "Arbeitsschlacht", unter ihnen auch der Doktorand Karl Schiller, der in seiner Dissertation von 1936 im Autobahnbau systemkonform eine zeitgemäße Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sah: "Für sie besteht dagegen als Ganzes ein Eingliederungsproblem in dem Sinne, wie sie sich nach ihrer Fertigstellung mit ihrem besonderen Produkt der 'Verkehrsleistung' in das bestehende deutsche Verkehrssystem einordnen."

Er konnte ja nicht ahnen, welchen Schatz sich die Volksgemeinschaft da anlegte. Nicht zu unterschätzen war die Bedeutung der Autobahnen für die Dichter: "Des Führers Straßen ziehen stolz/durch Feld und Heide, Moor und Wald./Ein Plan, gewaltig, wird Gestalt", reimte seinerzeit der heute eher vergessene Julius Bansmer, und der ebenso große wie nazitrunkene Hymniker Josef Weinheber odete beim Blick auf "Die Straßen Adolf Hitlers" von Blut und Natur und Raum: "Magie des Reißbretts, nimmer zerstört sie so/den Zauber größten Gartens, der Landschaft Glanz./Und unverkrampft begegnen Mensch und/Erde einander auf hellern Wegen."

Den Weg zur Vollbeschäftigung pflasterten auch diese neuen Straßen; am 1.Dezember 1934 waren 12 000 Arbeiter allein an der Autobahn Karlsruhe - München beschäftigt. Am 10. Dezember 1938 wurde sie feierlich eröffnet. Der allzeit diensteifrige Albert Speer baute vor Salzburg noch ein germanisches Begrüßungsdenkmal, denn schließlich hatte sein Großer Baumeister grad Österreich heim ins Reich geholt.

Inzwischen gab es 1,2 Millionen Pkws, die sich aber noch immer zwischen Wald und Flur und Teer verloren. Die Autobahn erhöhte das Reisedurchschnittstempo auf hundert Kilometer, aber schließlich wollte sie dem Auto-Piloten noch den Landschaftskunstgenuss erlauben.

Auf der Standspur

Davon kann längst keine Rede mehr sein, oder nur in Odelzhausen, wo am Schlossberg das Rotwild grast. Die Tiere kauen mit stumpfem Desinteresse an allem, was grün oder braun ist und kümmern sich nicht um das Gedränge in der Odelzhauser Furt. Jeden Morgen um halb acht stauen sie sich in dieser Furt, "da kannst du die Uhr danach stellen!", sagt der Einheimische, der sich glücklich preist, wenn er nicht mit drin steckt.

"Vor der Ausfahrt Fürstenfeldbruck/Dachau acht Kilometer Stau in jeder Richtung", dröhnt es seltsam fröhlich aus dem Radio. Für Geisterfahrer wäre jetzt kein Durchkommen. "Die Autobahn kann nicht mehr", sagt ein Ingenieur, der in München-Allach bei MTU arbeitet und wie jeden Morgen in diesem Stau wartet, dass es weitergeht. Wenn - was gelegentlich vorkommt - Schnee fällt in Bayern, etwas mehr Schnee als sonst, merkt es auch die Autobahn. Im vorletzten März musste die Feuerwehr Odelzhausen sogar Notbetten für die im Stau gefangenen Autofahrer aufstellen. Aber man hat schließlich einen Ruf zu verlieren.

Der Ausbau ist in Sicht - seit bald 30 Jahren

So geht es aber nicht weiter, sagen die Odelzhauser, sagt die Baubehörde, sagt das Bundesverkehrsministerium, aber das sagen sie schon lange. Des Führers Straße wird vom bayrischen Innenministerium heute distanziert als "Vorkriegsautobahn" bezeichnet und ist nur mehr lästig. Sie ist wie in der guten alten Zeit vierspurig und verkraftet ein Aufkommen von hunderttausend Fahrzeugen pro Tag einfach nicht.

Spätestens seit 1980 wird der Ausbau zur Sechsspurigkeit beredet, in den Neunzigern sollte er kommen. Stattdessen kam die Einheit und kostete Geld. Sie kostete viel Geld und über die Jahre immer noch mehr Geld, aber dafür gibt es jetzt in den fünf neuen Ländern unseres wiedervereinigten Vaterlandes besonders schöne Autostrecken. An der A 8 wird noch immer vorkriegsmäßig auf vier Spuren gefahren. Kommt der Ausbau oder kommt er nicht?

Termin in der Autobahndirektion Südbayern. Das Gebäude an der Münchner Seidlstraße ist selber eine Baustelle, und der Besucher wird vorm Verlassen vor den vorbeibrausenden Radfahrern gewarnt. Haben die Radler vielleicht schon die Stadt übernommen? An der A 8 ist zwischen Ulm und Augsburg und Augsburg der Abfahrt Palsweis ein sogenanntes "Pilotprojekt" geplant, der erste Ausbau einer Autobahn durch eine Public Private Partnership (PPP).

Verschleuderung von Volksvermögen

Man könnte auch sagen: Die Bürger wollen eine befahrbare Autobahn, der Staat hat kein Geld dafür, also gibt er sie in fremde Hände. Deshalb wird ein privater Betreiber gesucht. "Finanzwirtschaftliche Realisierungsstudien haben für beide Abschnitte ergeben, dass sie sich für einen privaten Betreiber rechnen", teilt die Autobahndirektion Südbayern mit.

Der private Betreiber soll den Autobahnabschnitt für dreißig Jahre übertragen bekommen und dafür die Einnahmen aus der Lkw-Maut erhalten. Für die gesamte Strecke? "Für die Ausbaustrecke".

Die Pressereferentin verweist auf eine Verlautbarung im Internet, die allerdings nicht mehr aktuell sei. Wie sich das für den PPP-Betreiber rechnet, ist erst durch Nachfrage zu erfahren: Die erste Ausbaustrecke zwischen Augsburg-West und Palsweis beträgt 37 Kilometer, "aber die Lkw-Maut wird für 52 Kilometer abgeführt", gibt Pressesprecherin Ute Wenning zu.

Also auch für den Abschnitt im Münchner Westen, der bereits dreispurig ausgebaut ist, ganz klassisch und ohne Pilot mit Steuermitteln. Karl Schiller, der Doktorand von 1935 wie der spätere Bundeswirtschaftsminister, hätte den Kopf geschüttelt über diese Verschleuderung von Volksvermögen.

Auf der Standspur

Im Mai soll mit großem Trara endlich der erste Spatenstich getan werden. Aber seltsam, das Ausschreibungsverfahren läuft noch, der Zuschlag ist noch nicht erteilt. Mindestens ein Bewerber soll abgesprungen sein, ein weiterer nicht die notwendigen Referenzen beigebracht haben. Wie soll das noch gehen? Die Pressereferentin sagt nichts und schaut auf die Karte, auf der alle Autobahnen Südbayerns verzeichnet sind. Das rote Quadrat im Steckkalender an der Wand hinter ihr ist einen Tag hinterher; vielleicht lindert das ja den Termindruck. Die Zeit drängt; bis zum geplanten Baubeginn sind es noch sechs Wochen.

In Odelzhausen wie in Adelzhausen sind die Grundstücke entlang der Ausbaustrecke gekauft, die Bäume gefällt. Die Baubehörde verspricht eine "naturschutzrechtliche Planung" und "landschaftspflegerische Maßnahmen". Die Bäume, die abgeholzt werden, müssen in der Nähe wieder neu angepflanzt werden, Wald im Sinne des Waldrechts (BayWaldG) wird durch Neupflanzung ausgeglichen. Vor allem wird ein Lärmwall errichtet. Die Autobahn rückt zehn Meter näher an das Schloss heran, die Wand senkt die Dezibelbelastung um neun bis zehn Einheiten, und die Autobahn verschwindet dahinter.

Die Piste als Mittelpunkt

Die Autobahn ist für Odelzhausen fast ein und alles. Sie hat den bedeutungslosen Ort wieder nach vorn geholt. Hier sind die Bauplätze noch bezahlbar, und dreißig Kilometer mit dem Auto zur Arbeit ist doch praktisch nichts. So bestimmt die Autobahn Odelzhausens Zukunft. Sie trennt den Ort von seinem Schloss und dem Ortsteil Taxa, wo 1654 das Kloster Stern gegründet worden war. Taxa war ein berühmter Wallfahrtsort im Barock, seitdem sich die Jungfrau Maria im Strahlenkranz als erhabene Erscheinung auf den Eiern gezeigt hatte, die die freilaufenden Hühner in den Graf-Hundt'schen Stallungen legten.

Dem Autofahrer sollte in der naturverliebten Planung des Dritten Reiches etwas geboten werden auf seiner Lustreise, die Autobahn ihrem Nutzer das kolossale Hundt'sche Schloss vorführen. Es war über die Jahrhunderte allerdings weit heruntergekommen und längst in bürgerliche Hände übergegangen. Die Männer vom Arbeitsdienst wurden darin untergebracht, die für fünfzig bis siebzig Pfennig die Stunde die Autobahn bauten. Das regulierte Flüsschen Glonn ließ den Schlossberg dann allerdings absacken, das Schloss verfiel und wurde schließlich 1948 bis auf den Südturm abgerissen. Seitdem, sagt der Besitzer des Schlosshotels, suchen die Autofahrer vergeblich das Schloss, und suchen es mit allem Ingrimm morgens um halb acht.

Der Ort ist immer noch weiter weg vom Schloss gewachsen, besteht heute zum großen Teil aus Büros und Containern und ist als Versorgungszentrum für den westlichen Landkreis Dachau durch den Autobahnschluss vollverlidlt.

Dringender Wunder-Bedarf

Manchmal, aber das kommt nicht in den Nachrichten, ereignen sich auf der Autobahn zwischen Augsburg und München klassische Versorgungsverbrechen: Wenn nächtens ein Gemüselaster umstürzt, so weiß der redselige Volksmund, seien die Anwohner in wenigen Minuten alarmiert und holten sich, was eh bloß verdürbe. Das ist gute Raubrittertradition, herübergerettet in die anstrengende Gegenwart, in der jeden Tag hunderttausend Fahrzeuge die Strecke nutzen, bis zu vierzig Prozent davon Lastwagen mit Nachschub für den tagtäglichen Konsum. Da fällt schon mal was ab.

Der Wirt im Bräustüberl von Odelzhausen ist über solche Aktionen knapp jenseits der Legalität erhaben. Wenn er Hirschragout anbietet, geht er vorher zu seinen Tieren und knallt eine Hirschkuh ab. Die anderen sind einen Moment verblüfft über den Lärm und grasen dann friedlich weiter. Dass eine von ihnen bluttriefend aus dem Gehege geholt und draußen waidgerecht für die Abendkarte zerlegt wird, interessiert sie nicht.

Das Rotwild auf dem Schlossberg wird demnächst umgesiedelt, und hinter der Schallschutzwand wird dann auch der Turm verschwinden. Odelzhausen braucht dringend ein neues Wunder.

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