Neuwagen:Die Lade-Meister von Bremerhaven

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Waschen, legen, föhnen: In der deutschen Küstenstadt werden jährlich 1,5 Millionen Neuwagen verschifft - ein Vorgang, der präzise Logistik verlangt.

Johann Winter

Die Medea liegt im Kaiserhafen, sie ist ein Kasten von Schiff, nicht schön anzusehen, aber enorm praktisch für den Transport von Autos. Der Koloss kommt aus Korea und hat Hyundai geladen.

Gut gepflegt: die Neuwagen in Bremerhaven (Foto: Foto: ddp)

Decks voller Kleinwagen, die noch gefangen sind in ihren Gurten. Zwei vorne, zwei hinten - und schön festgezurrt, damit die See nicht Mikado spielt mit der teuren Ladung. Am Ziel, in Bremerhaven, werden die Autos endlich aus ihrem Geschirr befreit. Hier kommen sie an Land, erobern die Straßen. Bremerhaven ist das Einfallstor.

1,5 Millionen Fahrzeuge im Jahr - eine ganze Armada, die an der Weser ihren Feldzug beginnt und bis in die hintersten Winkel der Republik vorstößt. Bremerhaven ist nach Zeebrügge der zweitgrößte Autohafen in Europa.

Keinen Faden ziehen

Damit er weiter wachsen kann, hat das Land Bremen vor ein paar Wochen für knapp 250 Millionen Euro eine neue Schleuse in Auftrag gegeben. Die Autoschiffe werden unterdessen immer größer und erreichen heute Längen von mehr als 240 Meter. Wer da mithalten will, muss investieren.

Die Medea liegt mit aufgerissenem Schlund am Kai, bereit auszuspucken, was sie im Bauch getragen hat. Es sind Kleinwagen, die heute das Schiff verlassen, der Hyundai Getz vor allem, ein Floh aus Korea. Flink wird er abgeschnallt und fahrbereit gemacht.

Ein Mann klemmt sich hinters Lenkrad, er trägt einen Overall, der nichts hat, was die Neuwagen beschädigen könnte - keine Knöpfe aus Metall, keinen Reißverschluss und Nieten sowieso nicht. Der Mann soll den Wagen fahren, aber eigentlich gar nicht da gewesen sein. Nur ja keinen Faden ziehen aus dem Sitzpolster, vorsichtig schalten und den kürzesten Weg nehmen, damit dem Käufer das Recht der ersten Kilometer bleibt.

In Bremerhaven ist das nicht schwer. Raus aus dem Schiff, rauf auf die Brücke, und schon rollt der Wagen zur Behandlung ein. "Waschen, legen, föhnen", sagen die Techniker scherzhaft, wenn das Prozedere beginnt.

Ganz genau hingucken

Zuerst mal muss das Wachs ab. Das dick aufgetragene Paraffin schützt Lack und Chrom vor kleinen Schrammen und hält den Autos auch sonst jeden unliebsamen Kontakt vom Leib. Möwenkot? Keine Gefahr.

Um ihn von der Schutzhaube zu befreien, wird der Getz mit einem Petroleumgemisch besprüht. Ein bisschen ruhen lassen das scharfe Zeug und dann weiter in die 32 Meter lange Waschstraße. Dort weicht das angefressene Wachs schließlich, es hat seinen Zweck erfüllt.

Auf einem Förderband zuckelt der Getz nun durch die 42 Meter lange Prüfanlage. Alles, was noch am Auto klebt oder hängt, innen und außen, wird von den Arbeitern am Band entfernt.

Es ist fast wie mit den unzähligen Nadeln, Preisschildern, Papp- und Papiereinlagen bei einem neuen Oberhemd - ganz genau hingucken, sonst bleibt doch noch was zurück. Und wie beim neuen Hemd besser gleich mal prüfen, ob alles in Ordnung ist.

Der Getz geht flott durch, alles sauber, alles okay. Also runter vom Band und hin zur Sonderbehandlung in der Hi-Fi-Abteilung.

Massenandrang: Jedes Jahr kommen hunderttausende Neuwagen in Bremerhaven an. (Foto: Foto: ddp)

Das kommt immer mal wieder vor, dass die Autos mit Zubehör ausgestattet werden. Ein Sonnendach vielleicht oder ausgefeilte Elektronik. Navigationssystem, Freisprechanlage, DVD-Anlage, so etwas. Es können auch Ledersitze sein oder besondere Lackierungen.

"Wir sind die größte Werkstatt Europas", sagt Jens Riepenhusen. Seine Firma, die E.H.H. Autotec, fertigt in Bremerhaven jeden Tag rund 1000 Autos ab. Sie ist hier der Platzhirsch.

Ankunft der Weltneuheiten

320.000 Fahrzeuge im Jahr von 16 unterschiedlichen Herstellern und Importeuren: Porsche, Opel, Mazda, Land Rover, MG Rover, Volvo, Jaguar, Citroën, Euro Motors, Ford, Peugeot, BMW, Hyundai, Mitsubishi, Mercedes und Suzuki.

Allein Daimler Chrysler liefert aus seinen Fertigungshallen in den USA bis zu 90.000 Autos. Die neue M-Klasse und bald auch die R-Klasse, die von 2006 an gekauft werden kann.

So gut wie alle Fahrzeuge kommen frisch aus der Fabrik. Ein immer währender Autosalon. Ein Laufsteg im Hafen. Und Riepenhusen schaut zuerst hin. "Ich bin ein Auto-Freak", bekennt der 43-Jährige. Die Weltneuheiten, gerade erst vorgestellt auf den großen Automessen in Genf, Detroit, Tokio oder Frankfurt - klar ist er scharf drauf.

Motive fürs Autoquartett

Gerne auch Oldtimer, die per Einzelverschiffung nach Bremerhaven kommen. "Ein Mercedes Pagode kürzlich, das war was, ein Traum", schwärmt der Geschäftsführer. Heute steht ein roter Flitzer am Kai, ganz allein, wie zufällig.

Ein Fiat Spider, vermutet Riepenhusen, so genau weiß er das überraschenderweise nicht. "Wären Sie so freundlich?", fragt er den Fotografen. Aber ja doch, kein Problem. Fotografieren könnte man hier ständig, lauter Motive fürs Auto-Quartett.

Der kleine Hyundai - das ist das Massengeschäft. Keine Primadonna, die sich auf dem Laufsteg in ihrer Eitelkeit sonnt. Zu hunderten werden die Wagen aus der Medea geholt.

Aus dem Dunkeln des Autofrachters ins gleißende Licht der Prüfanlage. Waschen, legen, föhnen. Hübsch machen für den Händler. Damit am Ende alles picobello ist, was aus Bremerhaven kommt.

© SZ vom 8. 10. 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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