Neue S-Klasse:S läuft wie geschmiert

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Im Kampf um die Spitze in der Oberklasse fordern die Stuttgarter die Konkurrenten mit reichlich PS und innovativer Elektronik.

Michael Harnischfeger

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(Foto: Foto: Mercedes-Benz)

(SZ vom 7. / 8. 9. 2002) Möchte man in Zeiten wie diesen Automanager sein? Die Wirtschaft schwächelt, Kunden zögern, die Konkurrenz macht Druck.

In der Oberklasse diesseits von Maybach und Rolls-Royce heißt das: BMW möchte pro Jahr 50.000 Siebener bauen, Audi 30.000 A8, VW 20.000 Phaeton, Jaguar 40.000 XJ und Mercedes 90.000 Mal eine S-Klasse.

Macht unterm Strich 230.000 Luxuslimousinen weltweit. Das Problem aller aber ist, dass es - so Joachim Kramer, Leiter Produktmanagement S-Klasse bei Mercedes- Benz - jährlich nur rund 160.000 Kunden gibt.

Da muss man sehen, wo man bleibt.

Was für die Stuttgarter heißt: wie gehabt auf dem ersten Platz. Und da nun ein schärferer Wind weht, konnte sich die aktuelle Modellpflege der S-Klasse nicht nur auf optische Finessen und bessere Materialqualität im Innenraum beschränken.

Gewuchert wird vielmehr mit den Pfunden der Entwicklungsabteilung - allem voran mit dem vorausschauenden Sicherheitssystem Pre-Safe, das die Gurte vorspannt und die Sitze in eine optimale Position bringt, wenn ein Unfall droht.

Auch das nun serienmäßige Comand-System mit größerem Monitor und verbesserter Bedienbarkeit oder die optional lieferbaren dynamischen Multikontursitze mit aufblasbaren Luftpolstern für mehr Seitenhalt in Kurven seien erwähnt.

Wieder mit 4matic

Doch da es so viel Neues gibt, dass manches Verkaufsgespräch kaum kürzer sein dürfte als ein Wagner-Abend in Bayreuth, ist hier die Beschränkung auf jene Punkte gefordert, die beim Autoquartett über Sieg oder Niederlage entscheiden: Da gibt es stärkere Motoren - 320 CDI mit 150 kW (204 PS), 350 mit 3,7 Liter Hubraum und 180 kW (245 PS) -, erstmals den Allradantrieb 4Matic gegen rund 3.600 Euro Mehrpreis und ein neues Top-Modell, den S600.

Dessen Zwölfzylinder mit Doppelturboaufladung stammt aus dem Maybach und wurde leicht gedrosselt, ohne dass der Fahrer Mangel leiden müsste: Mit 368 kW (500 PS) und gewaltigen 800 Newtonmetern Drehmoment bei nur 1.800 Umdrehungen stößt die ausschließlich mit langem Radstand für 126.556 Euro lieferbare Limousine in Leistungsbereiche vor, die sprachlos machen können.

Denn auch jenseits der 200 km/h geht es mit solcher Wucht voran, dass allenfalls kompromisslose Sportwagen folgen können. Doch während die röcheln, kreischen, brüllen oder trompeten, säuselt im Mercedes nur der Wind ums Haus.

Beängstigender Druck

Das könnte fast heimelig wirken, wäre da nicht dieser fast schon beängstigende Druck im Rücken, bis schließlich - politisch korrekt - bei Tempo 250 elektronisch abgeriegelt wird. Dass dieser in Relation zur Leistung sparsame Motor - laut Werk 14,8 Liter / 100 Kilometer - die Grenzen des Heckantriebs auslotet, wird bei zügiger Fahrweise offenbar.

Nicht nur beim nur 4,8 Sekunden kurzen Sprung von Null auf 100 km/h, auch beim schnellen Abbiegen oder beim Herausbeschleunigen aus Kurven haben Antriebsschlupfregelung oder ESP alle Hände voll zu tun und regeln die überschüssigen Kräfte für den Fahrer deutlich spürbar weg.

Bei Nässe dürfte dann so kaum noch etwas vom Drehmoment an die Hinterräder gelangen, ein S600 4Matic wäre also eine feine Sache.

Allradantrieb nicht überall möglich

Doch der große Motor, der im geweiteten Vorderwagen fast so stramm sitzt wie ein Dübel im Mauerwerk, lässt schlicht zu wenig Platz für den Allradantrieb. Kein Problem, ist sich Produktmanager Kramer sicher, da der der S600-Käufer nur selten diese Grenzbereiche suche, sondern die vielen Zylinder und PS hauptsächlich aus Komfortgründen sein Eigen nennen wolle.

Mag hier das Argument noch stimmig sein, zieht es beim S55AMG, der in wenigen Wochen nachgereicht wird, nicht mehr recht. Denn auch die ausgewiesen sportlichste Variante der S-Klasse für wenigstens 115.536 Euro (Langversion: 119.480 Euro) muss ohne Allradantrieb auskommen: Der Achtzylinder- Kompressor, mit 700 Newtonmetern und ebenfalls 368 kW (500 PS) nicht gravierend schwächer als der Zwölfzylinder, ist ebenfalls zu groß.

Dass Mercedes die 4Matic nur für die schwächeren Variationen 350 (62.698 Euro), 430 (73.544 Euro) und 500 (80.272 Euro) liefern kann, wird in Wolfsburg und Ingolstadt wohl für Freude sorgen.

Leistungsloch

Mit einem Lächeln zur Kenntnis nehmen dürfte man dort auch, dass im S-Klasse-Programm ein großes Leistungsloch zwischen dem S500 (225 kW / 306PS) und den zwei Power-Varianten klafft.

Dass die 500 PS der S-Klasse den allmählich ins Absurde abdriftenden Prestigekampf um die stärkste Limousine nicht beenden, ist wohl sicher. VW-Chef Pischetsrieder ließ wissen, man könne immer noch drauflegen, egal, was andere so auffahren.

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